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»Was wird aus der Sache werden?«frage ich Georg.

»Nichts. Keiner der Täter wird gefunden werden.«

»Und Wolkenstein?«

»Dem passiert auch nichts. Nur der Tischler würde bestraft werden, wenn er noch lebte. Nicht die anderen. Politischer Mord, wenn er von rechts begangen wird, ist ehrenwert und hat alle mildernden Umstände. Wir haben eine Republik; aber wir haben die Richter, die Beamten und die Offiziere der alten Zeit intakt übernommen. Was ist da zu erwarten?«

Wir starren in das Abendrot. Der Zug pufft schwarz und verloren heran wie eine Begräbniskutsche. Sonderbar, denke ich, wir alle haben doch so viele Tote im Kriege gesehen, und wir wissen, daß über zwei Millionen von uns nutzlos gefallen sind – warum sind wir da so erregt wegen eines einzelnen, und die zwei Millionen haben wir schon fast vergessen? Aber das ist wohl so, weil ein einzelner immer der Tod ist – und zwei Millionen immer nur eine Statistik.

IX

Ein Mausoleum!«sagt Frau Niebuhr.»Ein Mausoleum und nichts anderes!«

»Gut«, erwidere ich.»Also ein Mausoleum.«

Die kleine, verschüchterte Frau hat sich in der kurzen Zeit, seit Niebuhr tot ist, stark verändert. Sie ist scharf, redselig und zänkisch geworden und eigentlich bereits eine ziemliche Pest.

Ich verhandle seit zwei Wochen mit ihr über ein Denkmal für den Bäcker und denke jeden Tag milder über den Verstorbenen. Manche Menschen sind gut und brav, solange es ihnen schlecht geht, und sie werden unausstehlich, wenn sie es besser haben, besonders in unserm geliebten Vaterlande; die unterwürfigsten und schüchternsten Rekruten wurden da später oft die wüstesten Unteroffiziere.

»Sie haben ja keine zur Ansicht«, sagt Frau Niebuhr spitz.

»Mausoleen«, erkläre ich,»gibt es nicht zur Ansicht. Die werden nach Maß angefertigt wie die Ballkleider von Königinnen. Wir haben ein paar Zeichnungen dafür da und müssen vielleicht sogar eine Extrazeichnung für Sie entwerfen.«

»Natürlich! Es muß etwas ganz Besonderes sein. Sonst gehe ich zu Hollmann und Klotz.«

»Ich hoffe, Sie sind schon dort gewesen. Wir haben es gern, wenn unsere Kunden sich bei der Konkurrenz informieren. Bei einem Mausoleum kommt es ja nur auf die Qualität an.«

Ich weiß, daß sie dort gewesen ist. Der Reisende von Hollmann und Klotz, Tränen-Oskar, hat es mir erzählt. Wir haben ihn kürzlich getroffen und versucht, ihn zum Verräter zu machen. Er schwankt noch, aber wir haben ihm höhere Prozente angeboten als Hollmann und Klotz, und um sich während der Bedenkzeit freundlich zu erweisen, arbeitet er einstweilen für uns als Spion.»Zeigen Sie mir Ihre Zeichnungen!«befiehlt Frau Niebuhr wie eine Herzogin.

Wir haben keine, aber ich hole ein paar Kriegerdenkmalsentwürfe hervor. Sie sind effektvoll, einundeinhalb Meter hoch, mit Kohle und bunter Kreide gezeichnet und mit stimmungsvollem Hintergrund geschmückt.

»Ein Löwe«, sagt Frau Niebuhr.»Er war wie ein Löwe! Aber wie ein springender, nicht wie ein sterbender. Es müßte ein springender Löwe sein.«

»Wie wäre es mit einem springenden Pferd?«frage ich.»Unser Bildhauer hat darin vor einigen Jahren den Wanderpreis von Berlin-Teplitz gewonnen.«

Sie schüttelt den Kopf.»Ein Adler«, sagt sie nachdenklich.

»Ein wirkliches Mausoleum sollte eine Art Kapelle sein«, erkläre ich.»Bunte Scheiben wie eine Kirche, ein Marmorsarkophag mit einem bronzenen Lorbeerkranz, eine Marmorbank zum Ausruhen und zum stillen Gebet für Sie, rundherum Blumen, Zypressen, Kieswege, ein Vogelbad für unsere gefiederten Sänger, eine Grabeinfassung von niedrigen Granitsäulen und Bronzeketten, eine schwere Eisentür mit dem Monogramm, dem Familienwappen oder dem Wahrzeichen der Bäckerinnung -«

Frau Niebuhr lauscht, als spiele Moritz Rosenthal ein Nocturne von Chopin.»Klingt ganz gut«, sagt sie dann.»Aber haben Sie nicht etwas Originelles?«

Ich starre sie ärgerlich an. Sie starrt kalt zurück – das Urbild des ewigen Kunden mit Geld.

»Es gibt schon originelle Sachen«, erwidere ich sanft und giftig.»Zum Beispiel solche wie auf dem Campo Santo in Genua. Unser Bildhauer hat dort jahrelang gearbeitet. Eines der Glanzstücke ist von ihm – eine weinende Frauengestalt, über einen Sarg gebeugt, im Hintergrund der auferstandene Tote, der von einem Engel himmelwärts geführt wird. Der Engel sieht zurück und segnet mit der freien Hand die trauernde Hinterbliebene. Alles das in weißem carrarischem Marmor, der Engel entweder mit angelegten oder ausgebreiteten Flügeln -«

»Ganz nett. Was gibt es sonst noch?«

»Man stellt häufig auch den Beruf des Verschiedenen dar. Man könnte zum Beispiel einen Bäckermeister beim Brotkneten aushauen. Hinter ihm steht der Tod und tippt ihm auf die Schulter. Der Tod kann mit oder ohne Sense gezeigt werden, entweder in ein Bahrtuch gekleidet, oder aber nackt, das heißt in diesem Falle als Gerippe, eine sehr schwierige bildhauerische Leistung, besonders bei den Rippen, die ja einzeln sehr vorsichtig ausgemeißelt werden müssen, damit sie nicht brechen.«

Frau Niebuhr schweigt, als erwarte sie mehr.»Die Familie kann natürlich auch noch hinzugefügt werden«, fahre ich fort.»Betend zur Seite oder schreckerfüllt dem Tode wehrend. Das sind aber Objekte, die in die Billionen gehen und ein oder zwei Jahre Arbeit erfordern. Ein großer Vorschuß und Ratenzahlungen wären dazu unerläßlich.«

Ich habe plötzlich Angst, daß sie einen der Vorschläge annehmen könnte. Kurt Bach kann höchstens einen windschiefen Engel modellieren; aber viel weiter geht seine Kunst nicht. Immerhin, zur Not könnten wir die Bildhauerarbeiten anderswo bestellen.

»Und sonst?«fragt Frau Niebuhr unerbittlich.

Ich überlege, ob ich diesem unbarmherzigen Teufel etwas von dem Grabmal in Form eines Sarkophags erzählen soll, dessen Deckel sich etwas verschoben hat und aus dem eine skelettige Hand herausgreift – aber ich lasse es. Unsere Positionen sind zu ungleich; sie ist der Käufer und ich bin der Verkäufer, sie kann mich schikanieren, ich sie nicht – denn vielleicht kauft sie doch etwas.

»Das wäre alles für den Augenblick.«

Frau Niebuhr wartet noch einen Moment.»Wenn Sie weiter nichts haben, muß ich zu Hollmann und Klotz gehen.«

Sie sieht mich mit ihren Käferaugen an. Den Trauerschleier hat sie über den schwarzen Hut emporgeschlagen. Sie erwartet, daß ich jetzt ein wildes Theater mache. Ich tue es nicht.»Sie werden uns damit ein Vergnügen machen«, erkläre ich statt dessen kalt.»Es ist unser Prinzip, die Konkurrenz heranzuziehen, damit man sieht, wie leistungsfähig unsere Firma ist. Bei Aufträgen mit so viel Bildhauerarbeit kommt es natürlich sehr auf den Künstler an, sonst hat man plötzlich, wie kürzlich bei der Arbeit eines unserer Konkurrenten, dessen Namen ich verschweigen möchte, einen Engel mit zwei linken Füßen. Auch schielende Mütter Gottes sind schon dagewesen und ein Christus mit elf Fingern. Als man es merkte, war es dann zu spät.«

Frau Niebuhr läßt den Schleier herunter wie einen Theatervorhang.»Ich werde schon aufpassen!«

Ich bin überzeugt, daß sie das tun wird. Sie ist ein gieriger Genießer ihrer Trauer und schlürft sie in vollen Zügen. Es wird noch lange dauern, bis sie etwas bestellt; denn solange sie sich nicht entscheidet, kann sie alle Grabsteingeschäfte drangsalieren – nachher aber nur noch das eine, bei dem sie bestellt hat. Sie ist jetzt gewissermaßen noch ein flotter Junggeselle der Trauer – später ist sie wie ein verheirateter Mann, der treu sein muß.

Der Sargtischler Wilke kommt aus seiner Werkstatt. In seinem Schnurrbart hängen Hobelspäne. Er hält ein Kistchen appetitlicher Kieler Sprotten in der Hand und ißt sie schmatzend.