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Watzek schüttelt den Kopf.»Nur Schläuche, um den Boden abzuspülen. Um darunter zu gehen, ist es jetzt schon zu herbstlich.«

Ich sehe das ein. Eiskaltes Wasser im November ist kein Vergnügen. Wenn Watzek Karl Brill wäre, hätte er allerdings da keine Sorgen. Karl ist der Mann, der im Winter das Eis des Flusses aufhackt und mit seinem Klub darin schwimmt.»Wie ist es mit Toilettenwasser?«frage ich.

»Das kann ich nicht versuchen. Die anderen würden mich für einen schwulen Bruder halten. Sie kennen die Leute vom Schlachthof nicht!«

»Wie wäre es, wenn Sie Ihren Beruf änderten?«

»Ich kann nichts anderes«, sagt Watzek trübe.

»Pferdehändler«, schlage ich vor.»Das ist so ähnlich.«

Watzek winkt ab. Wir sitzen eine Weile. Was geht mich das an? denke ich. Und wie kann man ihm schon helfen? Lisa liebt die Rote Mühle. Es ist nicht sosehr Georg; es ist der Drang über ihren Pferdeschlächter hinaus.»Sie müssen ein Kavalier werden«, sage ich schließlich.»Verdienen Sie gut?«

»Nicht schlecht.«

»Dann haben Sie Chancen. Alle zwei Tage ins Stadtbad, und einen neuen Anzug, den Sie nur zu Hause anziehen. Ein paar Hemden, eine oder zwei Krawatten, können Sie das schaffen?«

Watzek grübelt darüber nach.»Sie meinen, das könnte helfen?«

Ich denke an meinen Abend unter den prüfenden Augen von Frau Terhoven.»Man fühlt sich besser in einem neuen Anzug«, erwidere ich.»Ich habe das selbst erfahren.«

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich.«

Watzek sieht mit Interesse auf.»Aber Sie sind doch tadellos in Schale.«

»Das kommt darauf an. Für Sie. Für andere Leute nicht. Ich habe das gemerkt.«

»Wirklich? Kürzlich?«

»Heute«, sage ich.

Watzek reißt das Maul auf.»So was! Da sind wir ja fast wie Brüder. Da staunt man!«

»Ich habe mal irgendwo gelesen, alle Menschen wären Brüder. Da staunt man noch mehr, wenn man sich die Welt ansieht.«

»Und wir hätten uns fast erschlagen«, sagt Watzek glücklich.

»Das tun Brüder häufig.«

Watzek erhebt sich.»Ich gehe morgen baden.«Er tastet nach dem linken Auge.»Eigentlich wollte ich mir ja eine SA-Uniform bestellen. Die sind gerade herausgekommen in München.«

»Ein flotter, zweireihiger, dunkelgrauer Anzug ist besser. Ihre Uniform hat keine Zukunft.«

»Vielen Dank«, sagt Watzek.»Aber vielleicht schaffe ich beides. Und nimm’s nicht übel, Kamerad, daß ich dich abstechen wollte. Morgen schicke ich dir dafür auch eine schöne Portion erstklassiger Pferdewurst.«

XXIV

»Der Hahnrei«, sagt Georg,»gleicht einem eßbaren Haustier, sagen wir, einem Huhn oder einem Kaninchen. Man verspeist es mit Genuß, solange man es nicht persönlich kennt. Wächst man aber damit auf, spielt mit ihm, hegt und pflegt es – dann kann nur ein Rohling sich einen Braten daraus machen. Man soll Hahnreis deshalb niemals kennen.«

Ich deute wortlos auf den Tisch. Dort liegt zwischen den Steinproben eine dicke rote Wurst – Pferdewurst, ein Geschenk Watzeks, der sie morgens für mich hinterlassen hat.»Ißt du sie?«fragte Georg.

»Selbstverständlich esse ich sie. Ich habe schon schlechteres Pferdefleisch in Frankreich gegessen. Aber weiche nicht aus! Dort liegt die Spende Watzeks. Ich bin in einem Dilemma.«

»Nur durch deine Lust an dramatischen Situationen.«

»Gut«, sage ich.»Ich gebe das zu. Immerhin habe ich dir das Leben gerettet. Die alte Konersmann wird weiter aufpassen. Ist dir die Sache das wert?«

Georg holt sich eine Brasil aus dem Schrank.»Watzek hält dich jetzt für seinen Bruder«, erwidert er.»Ist das dein Gewissenskonflikt?«

»Nein. Er ist außerdem noch Nazi – das löscht die einseitige Bruderschaft wieder aus. Aber bleiben wir einmal dabei.«

»Watzek ist auch mein Bruder«, erklärt Georg und bläst den weißen Rauch der Brasil in das Gesicht einer heiligen Katharina aus bemaltem Gips.»Lisa betrügt mich nämlich ebenso wie ihn.«

»Erfindest du das jetzt?«frage ich überrascht.

»Nicht im geringsten. Woher soll sie sonst all ihre Kleider haben? Watzek, als Ehemann, macht sich darüber keine Gedanken, wohl aber ich.«

»Du?«

»Sie hat es mir selbst gestanden, ohne daß ich sie gefragt habe. Sie erklärte, sie wollte nicht, daß irgendein Betrug zwischen uns bestehe. Sie meinte das ehrlich – nicht witzig.«

»Und du? Du betrügst sie mit den Fabelfiguren deiner Phantasie und deiner Magazine.«

»Selbstverständlich. Was heißt überhaupt betrügen? Das Wort wird immer nur von denen gebraucht, denen es gerade passiert. Seit wann hat Gefühl etwas mit Moral zu tun? Habe ich dir dafür hier, unter den Sinnbildern der Vergänglichkeit, deine Nachkriegserziehung gegeben? Betrügen – was für ein vulgäres Wort für die feinste, letzte Unzufriedenheit, das Suchen nach mehr, immer mehr -«

»Geschenkt!«unterbreche ich ihn.»Der kurzbeinige, aber sehr kräftige Mann, den du soeben draußen mit einer Beule am Kopf in die Tür einbiegen siehst, ist der frisch gebadete Schlächter Watzek. Sein Haar ist geschnitten und noch naß von Bay Rum. Er will seiner Frau gefallen. Rührt dich das nicht?«

»Natürlich; aber er wird seiner Frau nie gefallen.«

»Warum hat sie ihn denn geheiratet?«

»Sie ist inzwischen sechs Jahre älter geworden. Geheiratet hat sie ihn im Kriege, als sie sehr hungrig war und er viel Fleisch besorgen konnte.«

»Warum geht sie nicht von ihm weg?«

»Weil er droht, daß er dann die ganze Familie umbringen will.«

»Hat sie dir das alles erzählt?«

»Ja.«

»Lieber Gott«, sage ich.»Und du glaubst das!«

Georg bläst einen kunstvollen Rauchring.»Wenn du stolzer Zyniker einmal so alt bist wie ich, wirst du hoffentlich auch herausgefunden haben, daß Glauben nicht nur bequem ist, sondern oft sogar stimmt.«

»Gut«, sage ich.»Wie ist es dabei aber mit dem Schlachtmesser Watzeks? Und mit den Augen der Witwe Konersmann?«

»Betrüblich«, erwidert er.»Und Watzek ist ein Idiot. Er hat augenblicklich ein besseres Leben als je zuvor – weil Lisa ihn betrügt und ihn deshalb besser behandelt. Warte ab, wie er schreien wird, wenn sie ihm wieder treu ist und ihre Wut darüber an ihm ausläßt. Und nun komm essen! Nachdenken können wir über den Fall immer noch.«

Eduard trifft fast der Schlag, als er uns sieht. Der Dollar ist nahe an die Billion herangeklettert, und wir scheinen immer noch eine unerschöpfliche Menge von Essenmarken zu haben.»Ihr druckt sie!«behauptet er.»Ihr seid Falschmünzer! Ihr druckt sie geheim!«

»Wir möchten eine Flasche Forster Jesuitengarten nach dem Essen«, sagt Georg würdig.

»Wieso nach dem Essen?«fragt Eduard mißtrauisch.»Was heißt das schon wieder?«

»Der Wein ist zu gut für das, was du als Essen in den letzten Wochen servierst«, erkläre ich.

Eduard schwillt an.»Auf Eßmarken vom vorigen Winter zu essen, für sechstausend lumpige Mark die Mahlzeit, und dann noch das Essen kritisieren – das geht zu weit! Man sollte die Polizei holen!«

»Hole sie! Noch ein Wort, und wir essen nur hier und trinken den Wein im Hotel Hohenzollern!«

Eduard wirkt, als müsse er platzen; aber er beherrscht sich, des Weines wegen.»Magengeschwüre«, murmelt er und entfernt sich eiligst.»Magengeschwüre habe ich gekriegt, euretwegen! Nur noch Milch darf ich trinken!«

Wir lassen uns nieder und sehen uns um. Ich spähe verstohlen und mit schlechtem Gewissen nach Gerda aus, sehe sie aber nicht. Dafür gewahre ich, munter und grinsend, eine vertraute Figur, die mitten durch den Saal auf uns los steuert.»Siehst du, was ich sehe?«frage ich Georg.

»Riesenfeld! Schon wieder hier! Nur wer die Sehnsucht kennt-«

Riesenfeld begrüßt uns.»Sie kommen gerade zur rechten Zeit, sich zu bedanken«, sagt Georg zu ihm.»Unser junger Idealist dort hat sich gestern für Sie duelliert. Amerikanisches Duell, Messer gegen Marmorbrocken.«

»Was?«Riesenfeld setzt sich und ruft nach einem Glas Bier.»Wieso?«

»Herr Watzek, der Mann der Dame Lisa, die Sie mit Blumen und Pralines verfolgen, hat angenommen, daß diese Sachen von meinem Kameraden drüben kämen, und ihm dafür mit einem langen Messer aufgelauert.«