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»Nach Hause! Du Saufaus und Raufbold!«sagt Lisa und geht. Watzek folgt ihr gehorsam. Sie wandern über den Neumarkt, ein einsames Paar. Niemand folgt ihnen. Georg hilft Lotz, seinen künstlichen Arm wieder halbwegs zurechtzubiegen.

»Kommt«, sagt Ledderhose.»In meinem Lokal können wir noch trinken. Geschlossene Gesellschaft!«

Wir sitzen eine Zeitlang mit Bodo und seinem Verein. Dann gehen wir nach Hause. Der Morgen schleicht grau herauf. Ein Zeitungsjunge kommt vorbei. Riesenfeld winkt ihm zu und kauft ein Blatt. Mit großen Lettern steht auf der Vorderseite:

Ende der Ination! Eine Billion ist eine Mark!

»Nun?«sagt Riesenfeld zu mir.

Ich nicke.

»Kinder, es kann tatsächlich sein, daß ich pleite bin«, erklärt Willy.»Ich habe noch auf Baisse spekuliert.«Er sieht betrübt auf seinen grauen Anzug und dann auf Renée.»Na, wie gewonnen, so zerronnen – was ist schon Geld, wie?«

»Geld ist sehr wichtig«, erwidert Renée kühl.»Besonders, wenn man es nicht hat.«

Georg und ich gehen die Marienstraße entlang.»Sonderbar, daß Watzek von mir und Riesenfeld Prügel bekommen hat«, sage ich.»Nicht von dir. Es wäre doch natürlicher gewesen, wenn du und er gekämpft hätten.«

»Natürlicher schon; aber nicht gerechter.«

»Gerechter?«frage ich.

»In einem verzwickten Sinne. Ich bin jetzt zu müde, es herauszufinden. Männer mit kahlen Köpfen sollten sich nicht mehr schlagen. Sie sollten philosophieren.«

»Da wirst du ein sehr einsames Leben vor dir haben. Die Zeit sieht nach Schlagen aus.«

»Ich glaube nicht. Irgendein scheußlicher Karneval ist zu Ende gegangen. Sieht es heute nicht nach einem kosmischen Aschermittwoch aus? Eine mächtige Seifenblase ist geplatzt.«

»Und?«sage ich.

»Und?«erwidert er.

»Irgend jemand wird eine neue, mächtigere blasen.«

»Vielleicht.«

Wir stehen im Garten. Grau rinnt der milchige Morgen um die Kreuze. Die jüngste Knopf-Tochter erscheint, halb ausgeschlafen. Sie hat auf uns gewartet.»Vater sagt, für zwölf Billionen können Sie den Grabstein zurückkaufen.«

»Sagen Sie ihm, wir bieten acht Mark. Und auch das nur bis heute mittag. Geld wird sehr knapp werden.«

»Was?«fragt Knopf aus seinem Schlafzimmer heraus. Er hat gelauscht.

»Acht Mark, Herr Knopf. Und heute nachmittag nur noch sechs. Das Geld geht herunter. Wer hätte das je gedacht, was? Anstatt herauf.«

»Lieber behalte ich ihn in alle Ewigkeit, ihr verfluchten Leichenräuber!«krächzt Knopf und schlägt das Fenster zu.

XXV

Der Werdenbrücker Dichterklub gibt mir in der altdeutschen Stube der»Walhalla«einen Abschiedsabend. Die Dichter sind unruhig und tun, als wären sie bewegt. Hungermann tritt als erster auf mich zu.»Du kennst meine Gedichte. Du hast selbst gesagt, daß sie eines deiner stärksten dichterischen Erlebnisse waren. Stärker als Stefan George.«

Er sieht mich intensiv an. Ich habe das nie gesagt. Bambuss hat es gesagt; dafür hat Hungermann über Bambuss gesagt, daß er ihn für bedeutender als Rilke halte. Aber ich widerspreche nicht. Ich sehe den Dichter Casanovas und Mohammeds erwartungsvoll an.

»Also gut«, fährt Hungermann fort, wird aber abgelenkt.»Woher hast du übrigens diesen neuen Anzug?«

»Ich habe ihn mir heute von einem Schweizer Honorar gekauft«, erwidere ich mit der Bescheidenheit eines Pfauen.»Es ist mein erster neuer Anzug, seit ich Soldat Seiner Majestät wurde. Kein umgearbeiteter Militärrock. Echtes, richtiges Zivil! Die Inflation ist vorbei!«

»Ein Schweizer Honorar? Du bist also bereits international bekannt? Nun ja«, sagt Hungermann überrascht und sofort leicht verärgert:»Von einer Zeitung?«

Ich nicke. Der Autor Casanovas macht eine abschätzige Bewegung.»Dachte ich! Meine Sachen sind natürlich nichts für den Tagesverbrauch. Höchstens für literarische Zeitschriften ersten Ranges. Was ich vorher meinte, ist, daß ein Band Gedichte von mir unglücklicherweise vor drei Monaten bei Arthur Bauer in Werdenbrück erschienen ist! Ein Frevel!«

»Hat man dich dazu gezwungen?«

»Ja, moralisch. Bauer hat mich belogen. Er wolle enorme Reklame machen, den Verlag erweitern, Mörike, Goethe, Rilke, Stefan George, vor allem Hölderlin mit mir erscheinen lassen – und nichts davon hat er gehalten.«

»Er hat Otto Bambuss herausgebracht«, erwidere ich.

Hungermann winkt ab.»Bambuss – unter uns, ein Pfuscher und Nachempfinder. Hat mir nur geschadet. Weißt du, wieviel Bauer von meinem Werk verkauft hat? Nicht mehr als fünfhundert Exemplare!«

Ich weiß von Bauer, daß die Gesamtauflage zweihundertfünfzig Exemplare war; verkauft worden sind achtundzwanzig, davon heimlich von Hungermann angekauft neunzehn. Und zum Druck gezwungen wurde nicht Hungermann, sondern Bauer. Hungermann, als Deutschlehrer am Realgymnasium, hat Arthur erpreßt, da er sonst einen andern Buchhändler an seiner Schule empfehlen würde.

»Wenn du jetzt in Berlin an der Zeitung bist«, erklärt Hungermann,»du weißt, daß Kameradschaft unter Künstlern das edelste Gut ist!«

»Ich weiß es.«Hungermann zieht ein Bändchen seiner Gedichte aus der Tasche.»Hier – mit Widmung. Schreib darüber in Berlin. Und schick mir zwei Belegexemplare. Ich werde dir dafür hier in Werdenbrück die Treue halten. Und wenn du drüben einen guten Verleger findest – der zweite Band der Gedichte ist in Vorbereitung.«

»Gemacht.«

»Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann.«Hungermann schüttelt mir feierlich die Hand.»Bringst du nicht auch bald etwas heraus?«

»Nein. Ich habe es aufgegeben.«

»Was?«

»Ich will noch warten«, sage ich.»Ich will mich erst einmal in der Welt umsehen.«

»Sehr weise!«erklärt Hungermann nachdrücklich.»Wenn nur mehr Leute das machen würden, anstatt unreifes Zeug zu schmieren und den Könnern dadurch im Wege zu stehen!«

Er schaut scharf im Raume umher. Ich erwarte irgendein belustigtes Zwinkern von ihm; aber er ist plötzlich seriös. Ich bin für ihn eine Geschäftsmöglichkeit geworden; da hat ihn der Humor sofort verlassen.»Sag den anderen nichts von unserer Abmachung«, schärft er mir noch ein.

»Sicher nicht«, erwidere ich und sehe Otto Bambuss sich heranpirschen.

Eine Stunde später habe ich von Bambuss die»Stimmen der Stille«mit schmeichelhafter Widmung in der Tasche, dazu in Schreibmaschinen-Durchschlägen die exotischen Sonette»Die Tigerin«, die ich in Berlin anbringen soll – von Sommerfeld trage ich die Abschrift seines Buches vom Tode in freien Rhythmen bei mir – von anderen Mitgliedern ein Dutzend weitere Arbeiten in Kopien – und von Eduard den Durchschlag seines Päans auf den Tod eines Freundes, hundertundachtundsechzig Zeilen, die Valentin, dem Kameraden, Mitkämpfer und Menschen gewidmet sind. Eduard arbeitet schnell.

Es ist plötzlich alles weit weg.

Es ist so weit weg wie die Inflation, die vor zwei Wochen gestorben ist – oder die Kindheit, die von einem Tage zum andern in einem Militärrock erstickt wurde. Es ist so weit weg wie Isabelle.

Ich sehe die Gesichter an. Sind es noch die Gesichter staunender Kinder, die dem Chaos oder dem Wunder gegenüberstehen, oder sind es bereits die Gesichter betriebsamer Vereinsmeier? Ist in ihnen noch etwas von dem hingerissenen und entsetzten Antlitz Isabelles, oder sind es nur die Imitatoren und geschwätzigen Wichtigtuer des Zehntel-Talents, das jede Jugend hat und dessen Verglimmen sie großsprecherisch und neidisch besingen, anstatt ihm schweigend zuzuschauen und einen Funken davon in ihr Dasein hinüberzuretten?

»Kameraden«, sage ich.»Ich trete hiermit aus eurem Klub aus.«

Alle Gesichter wenden sich mir zu.»Ausgeschlossen! Du bleibst korrespondierendes Mitglied des Klubs in Berlin«, erklärt Hungermann.