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»Gut«, Steiner winkte leutselig ab.»Das soll anders werden. Es soll ein Geheimfonds aufgebracht werden.«Er blickte in seine Liste.»Wir haben schon namhafte Gaben. Aber auch geringe Spenden sind willkommen. Dieses hübsche Haus hier ist Ihr Eigentum, nicht wahr?«

»Ja. Es sind allerdings zwei Hypotheken darauf. Praktisch gehört es also eigentlich der Bank«, erklärte Ammers ziemlich eilig.

»Hypotheken sind dazu da, um weniger Steuer zu bezahlen. Ein Parteigenosse, der ein Haus besitzt, ist kein Windbeutel, der das Geld dafür nicht auf der Bank hat. Wie hoch soll ich Sie eintragen?«

Ammers sah ziemlich unentschlossen drein.»Gerade im Augenblick ist es nicht schlecht für Sie«, sagte Steiner ermunternd.»Wir schicken die Liste mit den Namen natürlich nach Berlin. Ich denke, wir können Sie mit fünfzig Franken eintragen.«

Ammers wirkte erleichtert. Er hatte mit mindestens hundert gerechnet. Er kannte die Unersättlichkeit der Partei.»Selbstverständlich!«erklärte er sofort.»Oder vielleicht sechzig«, fügte er hinzu.

»Gut, also sechzig.«Steiner schrieb.»Haben Sie außer Heinz noch einen anderen Vornamen?«

»Heinz, Karl, Goswin – Goswin mit einem „s“.«

»Goswin ist ein seltener Name.«

»Ja, aber echt deutsch! Altdeutsch. Ein König Goswin kam schon in der Völkerwanderung vor.«

»Ich glaube es.«

Ammers legte einen Fünfzig- und einen Zehnfrankenschein auf den Tisch. Steiner steckte das Geld ein.»Quittung ausgeschlossen«, sagte er.»Sie verstehen, warum!?«

»Selbstverständlich! Geheim! Hier in der Schweiz!«Ammers zwinkerte schlau.

»Und keinen unnützen Radau wieder, Parteigenosse! Lautlosigkeit ist der halbe Erfolg! Denken Sie also immer daran!«

»Sehr wohl! Ich weiß Bescheid! Es war nur ein unglücklicher Zufall.«

Steiner ging durch die verwinkelten Straßen zu Doktor Beer zurück. Er schmunzelte. Leberkrebs! Dieser Kern! Was für Augen er machen würde, wenn er die sechzig Franken von dieser Strafexpedition bekam!

17

Es klopfte. Ruth horchte zur Tür hinüber. Sie war allein. Kern war seit vormittags unterwegs, um Arbeit zu suchen. Sie zögerte einen Moment. Dann stand sie leise auf, ging in Kerns Zimmer und schloß die Verbindungstür hinter sich ab. Die Zimmer lagen über Eck. Das hatte für Razzien einen Vorteil. Man konnte von jedem Zimmer auf den Korridor gelangen, ohne von jemand gesehen zu werden, der vor der anderen Tür stand.

Ruth zog die Außentür von Kerns Zimmer lautlos zu. Dann ging sie den Korridor entlang um die Ecke.

Ein Mann von etwa vierzig Jahren stand vor ihrer Tür. Ruth kannte ihn vom Sehen. Er wohnte im Hotel und hieß Brose. Seine Frau lag seit sieben Monaten krank zu Bett. Beide lebten von einer kleinen Unterstützung der Flüchtlingshilfe und von etwas Geld, das sie mitgebracht hatten. Das war kein Geheimnis. Im Hotel Verdun wußte jeder über jeden nahezu alles.

»Wollen Sie zu mir?«fragte Ruth.

»Ja. Ich wollte Sie um etwas bitten. Sie sind Fräulein Holland, nicht wahr?«

»Ja.«

»Ich heiße Brose und wohne im Stock unter Ihnen«, sagte der Mann verlegen.»Ich habe eine kranke Frau unten und muß fort, Arbeit suchen. Da wollte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht etwas Zeit hätten…«

Brose hatte ein schmales, gequältes Gesicht. Ruth wußte, daß fast jeder im Hotel vor ihm davonlief, wenn er nur in Sicht kam. Er suchte dauernd nach Gesellschaft für seine Frau.

»Sie ist sehr viel allein – und Sie wissen ja, wie das ist -, da verliert sie leicht die Hoffnung. Es gibt Tage, da ist sie besonders traurig. Aber wenn sie etwas Gesellschaft hat, ist es gleich besser. Ich dachte, daß Sie sich vielleicht auch gern einmal unterhalten. Meine Frau ist klug…«

Ruth war gerade dabei, Pullover aus leichter Kaschmirwolle stricken zu lernen; man hatte ihr gesagt, ein russisches Geschäft in den Champs-Elysées kaufe so etwas, um es für den dreifachen Preis weiterzuverkaufen. Sie wollte weiterarbeiten und wäre wohl nicht gegangen – aber dieses hilflose Anpreisen:»Meine Frau ist klug«entschied. Es beschämte sie auf eine sonderbare Weise.»Warten Sie einen Augenblick«, sagte sie.»Ich hole ein paar Sachen; dann gehe ich mit Ihnen.«

Sie holte ihre Wolle und ihr Muster und ging mit Brose hinunter. Die Frau lag im ersten Stock in einem kleinen Zimmer nach der Straße hin. Broses Gesicht veränderte sich, als er mit Ruth eintrat. Er strahlte angestrengt.»Lucie, hier ist Fräulein Holland«, sagte er eifrig.»Sie möchte dir gern etwas Gesellschaft leisten.«

Zwei dunkle Augen in einem wachsbleichen Gesicht richteten sich mißtrauisch auf Ruth.»Ich gehe dann jetzt«, sagte Brose rasch.»Ich komme abends wieder. Heute wird es bestimmt etwas. Auf Wiedersehen.«

Er lächelte, winkte und zog die Tür hinter sich zu.

»Er hat Sie geholt, nicht wahr?«fragte die blasse Frau nach einer Weile.

Ruth wollte zuerst etwas anderes antworten, aber dann nickte sie.

»Ich habe es mir gedacht. Danke, daß Sie gekommen sind. Aber ich kann gut allein bleiben. Lassen Sie sich nicht in Ihrer Arbeit stören. Ich kann etwas schlafen.«

»Ich habe nichts vor«, sagte Ruth.»Ich lerne nur gerade strikken. Das kann ich hier auch. Ich habe mein Strickzeug mitgebracht.«

»Es gibt angenehmere Dinge, als bei einer Kranken zu sitzen«, sagte die Frau müde.

»Sicher. Aber es ist doch besser, als allein zu sitzen.«

»Das sagen alle immer, um einen zu trösten«, murmelte die Frau.»Ich weiß, Kranke will man immer trösten. Sagen Sie doch ruhig frei heraus, daß es Ihnen unangenehm ist, bei einer unbekannten, schlechtgelaunten Kranken zu sitzen, und daß Sie es nur tun, weil mein Mann Sie überredet hat.«

»Das ist richtig«, erwiderte Ruth.»Ich habe auch gar nicht die Absicht, Sie zu trösten. Aber ich bin froh, einmal mit jemand reden zu können.«

»Sie können doch ausgehen!«sagte die Kranke.

»Das tue ich nicht gern.«

Ruth sah auf, weil keine Antwort kam. Sie blickte in ein fassungsloses Gesicht. Die Kranke hatte sich aufgestützt und starrte sie an, und plötzlich stürzten ihr die Tränen wie Sturzbäche aus den Augen. Das Gesicht war in einer Sekunde wie überschwemmt.»Mein Gott«, schluchzte sie,»das sagen Sie so einfach – und ich -, wenn ich nur einmal auf die Straße gehen könnte…«

Sie fiel in die Kissen zurück. Ruth war aufgestanden. Sie sah die grau-weißen Schultern zucken, sie sah das armselige Bett im staubigen Nachmittagslicht, und sie sah dahinter die sonnige, klare Straße, die Häuser mit den kleinen Eisenbalkonen, und groß über den Dächern eine riesige leuchtende Flasche – die Reklame für den Aperitif Dubonnet, die sinnlos bereits im Nachmittag glühte – und es erschien ihr einen Augenblick lang, als wäre das alles weit weg, auf einem anderen Planeten.

Die Frau hörte auf zu weinen. Sie richtete sich langsam auf.»Sie sind noch da?«fragte sie.

»Ja.«

»Ich bin hysterisch und nervös. Ich habe manchmal so Tage. Bitte seien Sie mir nicht böse.«

»Nein. Ich war gedankenlos, das war alles.«

Ruth setzte sich wieder neben das Bett. Sie legte das Muster des Pullovers, das sie mitgebracht hatte, vor sich hin und begann, es weiter zu kopieren. Sie sah die Kranke nicht an. Sie wollte das fassungslose Gesicht nicht noch einmal sehen. Ihre eigene Gesundheit erschien ihr prahlerisch dagegen.

»Sie halten die Nadeln nicht richtig«, sagte die Kranke nach einer Weile.»Sie kommen so viel langsamer vorwärts. Sie müssen das anders machen.«

Sie nahm die Nadeln und zeigte es Ruth. Dann nahm sie ihr das gestrickte Stück aus der Hand und betrachtete es.»Hier fehlt eine Masche«, erklärte sie.»Wir müssen das wieder aufmachen. Sehen Sie, so.«

Ruth blickte auf. Die Kranke lächelte sie an. Ihr Gesicht war jetzt aufmerksam und gesammelt und ganz mit der Arbeit beschäftigt. Es zeigte nichts mehr von dem Ausbruch kurz vorher. Die blassen Hände arbeiteten leicht und schnell.

»So«, sagte sie eifrig,»nun versuchen Sie es einmal.«