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»Gar nichts, Herr Levi. Ich habe kaufen gesagt. Kaufen.«

»Mit Geld?«

»Ja, mit barem Geld.«

»Aha, ich weiß schon! Irgendso ungarisches oder rumänisches oder entwertetes österreichisches Geld oder Inflationsscheine natürlich, wer kennt sich denn da aus! Erst neulich hat so einer mit’m gewichsten Schnurrbart wie Karl der Große…«

Kern holte einen Hundertfrancschein hervor und legte seine Brieftasche auf den Tisch. Levi erstarrte und stieß einen hohen Pfiff aus.»Sie sind bei Kasse? Das erstemal, daß ich so was sehe! Junger Mann, die Polizei…«

»Verdient!«sagte Kern.»Ehrlich verdient. Und nun, wo ist der Ring?«

»Momenterl!«Levi rannte fort und kam mit dem Ring von Ruths Mutter zurück. Er putzte ihn mit seinem Rockärmel blank, blies behutsam darauf, putzte ihn noch einmal und legte ihn dann auf ein Stück Samt, als wäre er ein zwanzigkarätiger Diamant.»Ä scheenes Stick«, sagte er andächtig.»Ä wirkliche Rarität!«

»Herr Levi«, sagte Kern.»Sie haben uns damals hundertfünfzig Francs für den Ring gegeben. Wenn ich Ihnen hundertachtzig wiedergebe, haben Sie zwanzig Prozent verdient. Das ist ein guter Vorschlag, was?«

Levi hörte nichts.»Ein Stück zum Verlieben«, träumte er verzückt.»Kein moderner Schund. Ware! Reelle Ware! Ich wollte es selbst behalten. Ich habe so ä kleine Sammlung, privat, für mich persönlich!«

Kern zählte hundertachtzig Francs auf den Tisch.

»Geld!«sagte Levi verächtlich,»was ist heute Geld? Bei der Entwertung! Sachwerte, das ist richtig. So ä Ringelchen, da hat man Freude daran, und es steigt noch im Wert. Doppelte Freude! Und grad Gold ist so gestiegen«, meinte er sinnend.»Vierhundert Francs wäre billig für so ein schönes Stück. Liebhaberpreise könnt man dafür haben!«

Kern erschrak.»Herr Levi!«

»Ich bin ein Mensch«, sagte Levi entschlossen,»ich trenne mich. Ich will Ihnen die Freude machen. Ich will nichts verdienen, weil heute Silvester ist! Dreihundert Francs, fertig, und wenn ich verblute.«

»Das ist ja das Doppelte!«sagte Kern empört.

»Das Doppelte! Das sagen Sie so dahin, ohne zu wissen, was Sie reden. Das Doppelte ist die Hälfte, sagt schon der Rabbi Michael von Howorodka irgendwo. Haben Sie schon mal was von Spesen gehört, junger Mann? Das kostet und kostet! Steuern, Miete, Kohlen, Abgaben, Verluste! Für Sie ist das nichts, aber für mich is es enorm! Das kommt jeden Tag dazu auf so ä Ringelchen!«

»Ich bin ein armer Teufel, ein Emigrant…«

Levi winkte ab.»Wer ist kein Emigrant? Wer kaufen will, ist immer reicher, als wer verkaufen muß. Na, und wer von uns beiden will kaufen?«

»Zweihundert Francs«, sagte Kern,»und das ist das letzte.«

Levi nahm den Ring, blies darauf und trug ihn fort. Kern steckte das Geld ein und ging zur Tür. Als er sie öffnete, schrie Levi von hinten:»Zweihundertfuffzich, weil Sie jung sind und ich ein Wohltäter sein will!«

»Zweihundert«, gab Kern von der Tür zurück.

»Schalom alechem!«grüßte Levi.

»Zweihundertzwanzig.«

»Zweihundertfünfundzwanzig, ehrlich und treu, weil ich morgen Miete zahlen muß.«

Kern kehrte zurück und legte das Geld hin. Levi packte den Ring in einen kleinen Pappkasten.»Das Schächtelchen haben Se gratis«, sagte er,»und die hübsche blaue Watte auch. Ruiniert haben Sie mich!«

»Fünfzig Prozent«, knurrte Kern.»Wucherer!«

Levi nahm das letzte Wort gar nicht zur Kenntnis.»Glauben Sie mir«, erwiderte er lediglich treuherzig,»in der Rue de la Paix bei Cartier kostet so ein Ring sechshundert. Wert ist er dreihundertfünfzig. Diesmal stimmt’s.«

Kern fuhr zurück zum Hotel.»Ruth!«sagte er in der Tür.»Es geht mächtig aufwärts mit uns! Hier! Der letzte Mohikaner ist heimgekehrt.«

Ruth öffnete die Schachtel und sah hinein.»Ludwig«, sagte sie.

»Unnütze Dinge, weiter nichts!«erklärte Kern schnell und verlegen.»Wie sagt Steiner? Sollen die meiste Wärme geben. Wollte es auch mal versuchen. Und nun setz ihn auf! Wir essen heute alle zusammen in einem Restaurant. Wie richtige Arbeiter mit Wochenlohn!«

Es war zehn Uhr abends. Steiner, Marill, Ruth und Kern saßen in der»Mère Margot«. Die Kellner begannen die Stühle zusammenzustellen und mit Reisigbesen und Wasser den Boden zu fegen. Die Katze an der Kasse dehnte sich und sprang herab.

Die Patronne schlief, fest in eine Strickjacke gewickelt. Nur ab und zu öffnete sie ein wachsames Auge.

»Ich glaube, man will uns hier herausschmeißen«, sagte Steiner und winkte dem Kellner.»Es wird auch Zeit. Wir müssen zu Edith Rosenfeld. Vater Moritz ist heute angekommen.«

»Vater Moritz?«fragte Ruth.»Wer ist das?«

»Vater Moritz ist der Veteran der Emigranten«, erwiderte Steiner.»Fünfundsiebzig Jahre alt, kleine Ruth. Kennt alle Grenzen, alle Städte, alle Hotels, alle Pensionen und Privatquartiere, in denen man unangemeldet wohnen kann, und die Gefängnisse von fünf Kulturstaaten. Er heißt Moritz Rosenthal und stammt aus Godesberg am Rhein.«

»Dann kenn’ ich ihn«, sagte Kern.»Ich bin einmal mit ihm von der Tschechoslowakei nach Österreich gegangen.«

»Ich mit ihm von der Schweiz nach Italien«, sagte Marill.

Der Kellner brachte die Rechnung.»Ich habe mit ihm auch ein paar Grenzen gemacht«, sagte Steiner.»Haben Sie eine Flasche Kognak zum Mitnehmen?«fragte er dann den Kellner.»Courvoisier? Zum Ladenpreis natürlich.«

»Einen Moment. Ich werde die Patronne fragen.«

Der Kellner ging zu der schlafenden Strickjacke hinüber. Sie öffnete ein Auge und nickte. Der Kellner kam zurück, holte eine Flasche von den Regalen und gab sie Steiner, der sie in die Seitentasche seines Mantels steckte.

In diesem Augenblick ging die Tür zur Straße auf, und eine schattenhafte Gestalt trat ein. Die Patronne fuhr sich über den Mund, gähnte und öffnete beide Augen.

Die Kellner machten ärgerliche Gesichter.

Der Mann, der hereingekommen war, ging schweigend wie ein Mondsüchtiger durch die ganze Wirtsstube zu dem großen Rost hinüber, an dem über glühenden Holzkohlen sich ein paar Brathühner am Spieß drehten.

Der Mann examinierte die Hühner mit Röntgenaugen.»Was kostet das da?«fragte er dann den Kellner.

»Sechsundzwanzig Francs.«

»Und das da?«

»Sechsundzwanzig Francs.«

»Kosten alle sechsundzwanzig Francs?«

»Ja.«

»Warum sagen Sie mir das nicht gleich?«

»Weil Sie mich nicht gleich danach gefragt haben.«

Der Mann sah auf. Durch das Mondsüchtige brach einen Moment eine gesunde Wut durch. Dann deutete er auf das größte Huhn.»Geben Sie mir das da!«

Kern stieß Steiner an. Steiner saß aufmerksam da. Um seinen Mund zuckte es.

»Mit Salat, Bratkartoffeln, Reis?«fragte der Kellner.

»Mit nichts. Mit Messer und Gabel. Geben Sie es her.«

»Das Poulet!«sagte Kern leise.»Das alte Poulet, tatsächlich!«

Steiner nickte.»Er ist es! Das Poulet aus dem Gefängnis in Wien.«

Der Mann ließ sich an einem Tisch nieder. Er nahm seine Brieftasche heraus und überzählte sein Geld. Dann steckte er sie wieder fort und entfaltete feierlich die Serviette. Vor ihm prangte das gebratene Huhn. Der Mann hob die Hände wie ein Priester, als wolle er es segnen. Eine strahlende, wilde Genugtuung umschwebte ihn. Dann hob er es von der Schüssel auf seinen Teller hinüber.

»Wir wollen ihn nicht stören«, grinste Steiner leise.»Er hat sich sein Brathuhn sicher hart verdient.«

»Im Gegenteil, ich schlage vor, daß wir sofort flüchten!«erwiderte Kern.»Ich habe ihn bisher zweimal erlebt. Beide Male im Gefängnis. Jedesmal war er verhaftet worden im Moment, wo er ein Brathuhn essen wollte. Danach muß die Polizei jede Sekunde kommen!«