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„Das Vaterunser mit ihm beten, Bruder. Was sonst?“ Der Mixer dachte eine Zeitlang nach. „Er ist vor einer Stunde gegangen“, sagte er dann.

„Kommt er nochmals wieder?“

„Keine Ahnung.“

„Schön. Da werde ich warten. Geben Sie mir einen Wodka.“

Steiner wartete ungefähr eine Stunde. Er überlegte, was er alles zu Geld machen könne. Aber er kam nicht höher als auf etwa siebzig Schilling.

Die Mädchen hatten ihn nur flüchtig gemustert. Sie saßen noch einige Zeit herum, dann stelzten sie hinaus. Der Mixer begann mit einem Knobelbecher vor sich hin zu würfeln. „Wollen wir einen austrudeln?“ fragte Steiner.

„Von mir aus.“

Sie würfelten und Steiner gewann. Sie spielten weiter. Steiner warf zweimal nacheinander in zwei Würfen vier Asse. „Mit Assen scheine ich Glück zu haben“, sagte er.

„Sie haben überhaupt Glück“, erwiderte der Mixer. „Was sind Sie astrologisch?“

„Das weiß ich nicht.“

„Sie scheinen ein Löwe zu sein. Mindestens haben Sie die Sonne im Löwen. Ich verstehe ein bisschen davon. Letzte Runde, was? Fred kommt doch nicht mehr. Er ist noch nie um diese Zeit gekommen. Braucht Schlaf und ruhige Hände.“

Sie knobelten, und Steiner gewann wieder. „Sehen Sie“, sagte der Mixer befriedigt und schob ihm fünf Schilling hinüber, „Sie sind bestimmt ein Löwe. Mit starkem Neptun, denke ich. In welchem Monat sind Sie geboren?“

„August.“

„Dann sind Sie ein typischer Löwe. Glänzende Chancen dieses Jahr!“

„Dafür nehme ich einen ganzen Urwald voll Löwen auf mich.“ Steiner trank sein Glas aus. „Wollen Sie Fred sagen, dass ich hier war? Steiner hätte nach ihm gefragt. Ich komme morgen wieder vorbei.“

„Schön.“

Steiner ging zur Pension zurück. Der Weg war lang, und die Straßen waren leer. Der Himmel hing voller Sterne, und über die Mauern kam ab und zu der schwere Geruch blühenden Flieders. Mein Gort, Marie, dachte er, es kann doch nicht ewig dauern…

4

Kern stand in einer Drogerie in der Nähe des Wenzelplatzes. Er hatte im Schaufenster ein paar Flaschen Toilettewasser entdeckt, die das Etikett aus dem Laboratorium seines Vaters trugen.

„Farr-Toilettewasser!“ Kern drehte die Flasche, die der Drogist vom Regal geholt hatte, in der Hand.

„Wo haben Sie denn das her?“

Der Drogist zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht mehr. Es kommt aus Deutschland. Wir haben es schon lange. Wollen Sie die Flasche kaufen?“

„Nicht nur die eine. Sechs…“

„Sechs?“

„Ja, sechs zunächst. Später noch mehr. Ich handle damit. Natürlich muss ich Prozente haben.“

Der Drogist sah Kern an. „Emigrant?“ fragte er.

Kern stellte die Flasche auf den Ladentisch. „Wissen Sie“, sagte er ärgerlich, „diese Frage langweilt mich allmählich, wenn sie von Zivilisten gestellt wird.

Besonders, wenn ich eine Aufenthaltserlaubnis in der Tasche habe. Sagen Sie mir lieber, wieviel Prozent Sie mir geben wollen?“

„Zehn.“

„Das ist lächerlich. Wie soll ich da etwas verdienen?“

„Sie können die Flaschen mit fünfundzwanzig Prozent haben“, sagte der Besitzer des Ladens, der herangekommen war. „Wenn Sie zehn nehmen, sogar mit dreißig. Wir sind froh, wenn wir den alten Kram loswerden.“

„Alten Kram?“ Kern blickte den Mann beleidigt an. „Das ist ein ganz hervorragendes Toilettewasser, wissen Sie das?“

Der Besitzer des Ladens bohrte sich gleichgültig einen Finger ins Ohr. „Mag sein. Dann sind Sie sicher auch mit zwanzig Prozent zufrieden.“

„Dreißig ist das mindeste. Das hat doch nichts mit der Qualität zu tun. Sie können mir dreißig Prozent geben, und das Toilettewasser kann trotzdem gut sein, oder nicht?“

Der Drogist verzog die Lippen. „Alle Toilettewasser sind gleich. Gut sind nur die, für die Reklame gemacht wird. Das ist das ganze Geheimnis.“

Kern sah ihn an. „Reklame wird für dieses bestimmt nicht mehr gemacht. Danach ist es allerdings sehr schlecht. Dann wären fünfunddreißig Prozent die richtige Provision.“

„Dreißig“, erwiderte der Besitzer. „Ab und zu wird doch danach gefragt.“

„Herr Bureck“, sagte der Drogist, „ich glaube, wir können sie ihm mit fünfunddreißig geben, wenn er ein Dutzend nimmt. Der Mann, der ab und zu danach fragt, ist immer derselbe. Er kauft auch nicht; er will uns nur das Rezept verkaufen.“

„Das Rezept? Lieber Gott, das fehlt uns noch!“ Bureck hob abwehrend die Hände.

„Das Rezept?“ Kern horchte auf. „Wer ist denn das, der Ihnen das Rezept verkaufen will?“

Der Drogist lachte. „Irgend jemand, der behauptet, er hätte früher selbst das Laboratorium gehabt. Natürlich alles Schwindel! Was die Emigranten sich immer so ausdenken!“

Kern war einen Augenblick atemlos. „Wissen Sie, wo der Mann wohnt?“ fragte er.

Der Drogist zuckte die Achseln. „Ich glaube, wir haben die Adresse irgendwo ’rumliegen. Er hat sie uns ein paarmal gegeben. Warum?“

„Ich glaube, es ist mein Vater.

Die beiden starrten Kern an. „lst das wahr?“ fragte der Drogist.

„Ja, ich glaube, dass er es ist. Ich suche ihn schon lange.“

„Bertha!“ rief der Besitzer aufgeregt zu einer Frau hinüber, die an einem Bürotisch im Hintergrund der Drogerie arbeitete. „Haben wir noch die Adresse des Herrn, der uns das Rezept für Toilettewasser verkaufen wollte?“

„Meinen Sie Herrn Stran oder den alten Quatschkopf, der hier ein paarmal ’rumgestanden hat?“ rief die Frau zurück.

„Verdammt!“ Der Besitzer des Ladens sah Kern geniert an. „Entschuldigen Sie!“ Er ging rasch nach hinten.

„Das kommt davon, wenn man mit seinen Angestellten schläft“, erklärte der Drogist hämisch hinter ihm her.

Der Besitzer kam nach einer Weile schnaufend mit einem Zettel zurück. „Hier haben wir die Adresse. Es ist ein Herr Kern. Siegmund Kern.“

„Das ist mein Vater.“

„Tatsächlich?“ Der Mann gab Kern den Zettel.

„Hier ist die Adresse. Er war vor etwa drei Wochen das letztemal hier. Entschuldigen Sie die Bemerkung vorhin. Sie wissen ja…“

„Es macht gar nichts. Ich möchte nur gern gleich gehen. Ich komme dann nachher zurück wegen der Flaschen.“

„Natürlich! Das hat ja Zeit!“

Das Haus, in dem Kerns Vater wohnen sollte, lag in der Tuzarova ulice, in der Nähe der Markthallen. Es war dunkel und muffig und roch nach feuchten Wänden und Kohldunst.

Kern stieg langsam die Treppen hinauf. Es war sonderbar, aber er hatte etwas Furcht, seinen Vater nach so langer Zeit wiederzusehen – er war zu sehr gewohnt, dass nie etwas besser wurde.

In der dritten Etage klingelte er. Nach einer Weile schlurfte es hinter der Tür, und das Pappschild hinter dem runden Loch des Spions verschob sich. Kern sah ein schwarzes Auge auf sich gerichtet.

„Wer ist da?“ fragte eine mürrische Frauenstimme.

„Ich möchte jemand sprechen, der hier wohnt“, sagte Kern.

„Hier wohnt niemand.“

„Doch! Sie wohnen ja schon hier!“ Kern sah auf das Schild an der Tür. „Frau Melanie Ekowski, nicht wahr? Aber Sie möchte ich nicht sprechen.“

„Na, also.“

„Ich möchte einen Mann sprechen, der hier wohnt.“

„Hier wohnt kein Mann.“

Kern blickte das runde, schwarze Auge an. Vielleicht stimmte es, und sein Vater war längst ausgezogen. Er fühlte sich plötzlich leer und enttäuscht.

„Wie soll er denn heißen?“ fragte die Frau hinter der Tür.

Kern hob voll neuer Hoffnung den Kopf. „Das möchte ich nicht durchs ganze Haus schreien. Wenn Sie die Tür öffnen, werde ich es Ihnen sagen.“

Das Auge verschwand vom Guckloch. Eine Kette rasselte. Das ist ja eine Festung, dachte Kern. Er war ziemlich sicher, dass sein Vater doch noch hier wohnte; die Frau hätte sonst nicht weiter gefragt. Die Tür öffnete sich. Eine kräftige Tschechin mit roten Backen und breitem Gesicht betrachtete Kern von oben bis unten.

„Ich möchte Herrn Kern sprechen.“