Inhaltsverzeichnis
Widmung
Vorwort
1. KAPITEL – Das Verhör
2. KAPITEL – Die Erpressung
3. KAPITEL – Die Entscheidung des Andreas
4. KAPITEL – Der Ermittlungsauftrag
5. KAPITEL – Die Wüstengemeinde
Über die Essener
6. KAPITEL – Ein Mord und seine Analyse
WOZU BIST DU HIER? SEI FRÖHLICH!
7. KAPITEL – Jesus – ein Sicherheitsrisiko?
8. KAPITEL – Nachforschungen in Nazareth
9. KAPITEL – In den Höhlen von Arbela
10. KAPITEL – Terror und Feindesliebe
11. KAPITEL – Konflikt in Kapernaum
12. KAPITEL – Menschen an der Grenze
13. KAPITEL – Eine Frau protestiert
14. KAPITEL – Bericht über Jesus oder: Jesus wird getarnt
ÜBER JESUS ALS PHILOSOPHEN
ÜBER JESUS ALS DICHTER
15. KAPITEL – Tempel- und Sozialreform
16. KAPITEL – Die Angst des Pilatus
17. KAPITEL – Wer war schuld?
18. KAPITEL – Der Traum vom Menschen
Anstatt eines Nachworts
Anhang – Die wichtigsten Quellen zu Jesus und seiner Zeit
Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Verfassers zur Thematik dieses Buches:
Copyright
FÜR OLIVER UND GUNNAR
Anstatt eines Vorworts
Sehr geehrter Herr Kollege Kratzinger,
vielen Dank für Ihren Brief. Es ist wahr, was gerüchteweise bis zu Ihnen gedrungen ist: Ich schreibe an einer Jesuserzählung. Sie beschwören mich, dies Buch nie zu veröffentlichen. Sie fürchten um meinen Ruf als Wissenschaftler und sorgen sich um das Ansehen der neutestamentlichen Exegese. Ihre Sorgen wären berechtigt, handelte es sich um einen jener Jesusromane, in denen mit Phantasie ausgemalt wird, worüber historische Quellen schweigen, und die geschichtliche Wahrheit der Wirkung geopfert wird. Ich darf Sie beruhigen: Ich habe große Scheu, etwas über Jesus zu schreiben, was nicht auf Quellen basiert. In meinem Buch steht nichts über Jesus, was ich nicht auch an der Universität gelehrt habe.
Frei erfunden ist dagegen die Rahmenhandlung. Ihre Hauptgestalt, Andreas, hat nie gelebt, hätte aber in der Zeit Jesu leben können. In der Erzählung von ihm sind viele historische Quellen verarbeitet. Seine Erfahrungen sollen veranschaulichen, was damals Menschen in Palästina immer wieder erleben konnten.
Sie werden fragen: Wird der Leser dies Gewebe von »Dichtung und Wahrheit« durchschauen, wird er Erfundenes von Historischem unterscheiden können? Um dies zu ermöglichen, sind dem Text fortlaufend Anmerkungen beigegeben, in denen die verarbeiteten Quellen zitiert sind. Natürlich steht es jedem Leser frei, diese Anmerkungen zu überschlagen.
Was ich mit dem Buch eigentlich will, fragen Sie. Im Grunde nur eins: Ich möchte in erzählender Form ein Bild von Jesus und seiner Zeit entwerfen, das sowohl dem derzeitigen Stand der Forschung entspricht als auch für die Gegenwart verständlich ist. Die Erzählung soll so gestaltet sein, daß nicht nur das Ergebnis, sondern der Prozeß des Forschens dargestellt wird. Ich wähle die erzählende Form, um Erkenntnisse und Argumente der Wissenschaft auch Lesern nahe zu bringen, die keinen Zugang zu historischen Studien haben.
Vielleicht darf ich Ihnen das erste Kapitel zur Stellungnahme schicken. Ich würde mich freuen, wenn sie nach seiner Lektüre positiver über mein Vorhaben urteilen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Gerd Theißen
1. KAPITEL
Das Verhör
Die Zelle war dunkel. Eben noch hatten sich Menschen in Panik um mich gedrängt. Jetzt war ich allein. Mein Schädel brummte. Meine Glieder schmerzten. Die Soldaten hatten harmlos ausgesehen, hatten mitdemonstriert und mitgeschrien. Niemand konnte ahnen, daß sie Spitzel waren, bis sie ihre versteckten Knüppel herausholten und auf uns einschlugen. Die meisten von uns flohen. Einige wurden auf der Flucht totgetrampelt, andere wurden von knüppelnden Soldaten erschlagen.
Ich hatte keinen Grund gehabt zu fliehen. War ich doch nur zufällig mit Timon und Malchos vorbeigekommen. Nicht die Demonstration hatte mich interessiert. Mich interessierte Barabbas, den ich unter den Demonstranten entdeckt hatte. Ich wollte gerade zu ihm, als die Panik ausbrach und alles im Durcheinander der Schreie, Prügel, Pfiffe und Tritte unterging. Als ich wieder zu mir kam, war ich inhaftiert. Timon auch. Ob Malchos entkommen war?
Jetzt hockte ich in dieser Finsternis. Ich spürte die Schmerzen in meinem Körper. Es waren nicht nur die Schläge und Fesseln, die weh taten. Was die Glieder verkrampfte, war mehr: Es war die Erniedrigung durch brutale Gewalt. Es war die Angst vor weiterer Erniedrigung, der ich ohnmächtig ausgesetzt sein würde.
Eine Wache ging draußen auf und ab. Ich hörte Stimmen. Jemand schloß auf. Ich wurde in Fesseln zum Verhör geschleppt – irgendwo im Jerusalemer Amtssitz des römischen Präfekten. Ein Offizier saß mir gegenüber. Ein Schreiber führte Protokoll.
»Sprichst du Griechisch?« lautete die erste Frage.
»Alle Gebildeten sprechen bei uns Griechisch«, antwortete ich.
Der Mann, der mich verhörte, hatte ein fein gegliedertes Gesicht. Seine wachen Augen musterten mich eindringlich. Unter anderen Umständen wäre er mir vielleicht sympathisch gewesen.
»Wie heißt du?«
»Andreas, Sohn des Johannes.«
»Woher stammst du?«
»Aus Sepphoris in Galiläa.«
»Beruf?«
»Obst- und Getreidehändler.«
Der Offizier machte eine Pause und wartete, bis der Schreiber alles mit kratzender Feder notiert hatte.
»Was suchst du in Jerusalem?« setzte er sein Verhör fort.
»Ich habe am Pfingstfest teilgenommen.«
Er hob den Blick und sah mir direkt in die Augen: »Warum hast du gegen Pilatus demonstriert?«
»Ich habe nicht demonstriert. Ich bin zufällig in die Demonstration hineingeraten.«
Hätte ich sagen sollen, daß ich einen alten Bekannten in der demonstrierenden Menge erkannt hatte? Auf keinen Fall! Barabbas war ein Römerhasser. Womöglich stand er auf den Fahndungslisten. Ich durfte mit ihm nicht in Verbindung gebracht werden.
»Du behauptest, du hättest nicht mitgeschrien: Kein Geld für Pilatus!«
»Ich weiß nicht einmal, worum es geht«, log ich.
Der Beamte lächelte abfällig. Wußte doch jeder, der sich damals in Jerusalem aufhielt, daß es sich um das Geld handelte, das Pilatus aus dem Tempelschatz nehmen wollte, um eine neue Wasserleitung für Jerusalem bauen zu lassen.1
»Du solltest wissen, daß man sich aus einer demonstrierenden Menge entfernt.«
»Niemand war bewaffnet. Alles verlief friedlich, bis die Soldaten eingriffen«, entgegnete ich hastig.
»Aber die Demonstration richtete sich gegen uns Römer. So was macht verdächtig. Warst du nicht schon einmal in Auseinandersetzungen zwischen Juden und Nichtjuden verwickelt? Kennen wir dich nicht schon?«
»Was für Auseinandersetzungen?«
»Ich meine Konflikte in unseren Städten, bei denen Hitzköpfe in deinem Alter aneinandergeraten. Es fängt mit dummen Streichen an und endet mit Straßenschlachten wie in Cäsarea!«2
»Meine Heimatstadt, Sepphoris, ist ruhig. Die Bewohner sind meist Juden – aber sie sind griechisch gebildet.«