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Chusa fuhr fort: »Fatal waren auch die außenpolitischen Auswirkungen. Die nabatäische Frau des Antipas bekam Wind von ihrer bevorstehenden Verstoßung und kam ihr durch Flucht zu ihrem Vater zuvor.75 Seitdem haben wir im Süden einen mächtigen Feind. Die Situation des Antipas ist prekär: Nach außen hin muß er mit Krieg rechnen. Denn sein ehemaliger Schwiegervater wird ihm nie die demütigende Verstoßung seiner Tochter verzeihen, zu der ja nach unserem Recht keine Notwendigkeit bestand. Im Innern aber regt sich eine mächtige Opposition, hinter der die zügellose Kraft religiösen Fanatismus’ steht.«

»Aber kann ihm diese Opposition im Innern gefährlich werden? Was kann ein einzelner Prophet schon ausrichten?«

»Denk an das Schicksal des Archelaos.76 Er verlor vor fast 25 Jahren seinen Thron. Seine Absetzung hatte viele Ursachen. Aber eine Ursache war gewiß seine unglückselige Heirat mit Glaphyra. Sie erinnert in manchem an die Heirat des Antipas mit Herodias. Auch Archelaos mußte sich von seiner ersten Frau scheiden lassen, um Glaphyra zu heiraten. Noch wichtiger war: Glaphyra war in erster Ehe mit Alexander, einem Halbbruder des Archelaos, verheiratet – einem jener Herodessöhne, die der große Herodes hat hinrichten lassen. Es war also eine Schwagerehe, die nach unseren Gesetzen nur in einem Fall erlaubt ist, dann nämlich, wenn nach dem Tod des Bruders keine Nachkommen vorhanden sind.77 Das aber war nicht der Fall. Glaphyra hatte Kinder von Alexander. Archelaos durfte sie nicht heiraten. Diese gesetzeswidrige Ehe hat ihm viel geschadet. Sein Ansehen im Volk sank rapide. Seine Gegner konnten ihn mit Erfolg beim Kaiser verklagen. Er wurde abgesetzt. Das alles ist bekannt. Wenn jetzt Antipas eine ähnliche Ehe eingeht wie sein Bruder – so muß das ja geradezu seine innenpolitischen Gegner herausfordern, seine Absetzung zu betreiben!«

»Aber befürchtet ihr im Ernst, daß der Täufer selbst einen gewaltsamen Aufstand machen oder mit dem auswärtigen Feind zusammenarbeiten könnte?«78

»Diese Gefahr war nie gegeben. Aber es hätte zu einem unglücklichen Zusammenwirken von innerer Opposition und äußerem Feind kommen können, ohne daß dem eine Verschwörung zugrunde hätte liegen müssen. Einer der Lieblingssprüche des Johannes steht im Buch des Propheten Jesaja:79

Stimme eines Rufenden in der Wüste:

Bereitet dem Herrn den Weg!

Macht gerade seine Pfade!

Stell dir vor, Aretas kommt mit einem Heer aus der Wüste. Und Johannes predigt als Begleitmusik: ›Bereitet dem Herrn den Weg!‹ Natürlich meint Johannes Gott. Ihm soll man in der Wüste den Weg bereiten. Aber wie schnell kann das abergläubische Volk die Devise ausgeben: Gemeint sei Aretas. Mit ihm komme das göttliche Strafgericht über Antipas. Diese Devise würde jedes jüdische Heer demoralisieren. Es gäbe Überläufer. Wir würden eine vernichtende Niederlage erleiden.«80

»Aber besteht diese Gefahr nicht weiterhin? Durch die Hinrichtung des Täufers hat Antipas neue Feinde bekommen.«

Chusa gab mir recht: »Die Lage ist nach wie vor gespannt. Antipas spekuliert darauf, daß die Kritik an seiner Ehe verstummt.«

»Meinst du, daß er damit Erfolg haben wird?«

Chusa zuckte die Schultern: »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«

Seine Befürchtungen waren berechtigt. Antipas wurde durch seine Ehe mit Herodias ins Unglück gestürzt. Sein ehemaliger Schwiegervater erhob bald Anspruch auf Gebiete an der südlichen Grenze. Es kam zum Krieg. Antipas wurde vernichtend geschlagen. Einige seiner Soldaten waren desertiert. Alle im Volk sagten damals: Diese Niederlage ist Gottes Strafe für den Mord am Täufer. Die Römer mußten eingreifen, um die Grenze gegen die Nabatäer zu sichern.81 Antipas aber begann heimlich, Waffen zu sammeln, um für einen neuen Krieg besser vorbereitet zu sein. Das wurde ihm zum Verhängnis! Als er auf Drängen der Herodias den Kaiser bat, ihn den Königstitel führen zu lassen, lancierten seine Feinde (vor allem sein Neffe) Gerüchte über geheime Waffenlager nach Rom. Antipas konnte sie nicht bestreiten. Der Kaiser witterte eine Verschwörung gegen sich. Antipas wurde abgesetzt und nach Gallien verbannt. Herodias aber hatte die Wahl, ihm in die Verbannung zu folgen oder nach Galiläa zurückzukehren. Sie wählte die Verbannung. Und bewies damit mehr Charakter und Liebe, als der böswillige Klatsch ihr zugebilligt hatte. All das geschah fast ein Jahrzehnt später.82 Jetzt aber saßen wir in Jericho. Johanna nahm noch einmal die Herodias in Schutz:

»Eins sollte klar sein. Herodias ist an der Hinrichtung des Täufers nicht schuld. Die Verantwortung trägt Antipas selbst. Er befahl die Hinrichtung aus politischen Gründen – in einer Zwangslage, in die ihn der fanatische Johannes selbst hineingebracht hatte. Glaub mir: Antipas selbst hat den Täufer noch oft im Gefängnis gesprochen, um ihn zu einer stillschweigenden Duldung seiner Ehe zu bewegen. Aber alles war vergebens. Jetzt wälzt man die Schuld auf Herodias.«

Ich warf ein: »Vielleicht wird es jetzt um die ganze Geschichte still werden. Aber das hängt von den Anhängern des Täufers ab. Gibt es Schüler?«

 

Johanna nickte mit dem Kopf: »Einen von ihnen habe ich kennengelernt. Ich diskutierte mit ihm darüber, ob es denn gerecht sei, daß bei uns ein Mann seine Frau entlassen kann, nicht aber eine Frau ihren Mann. Weißt du, was er mir antwortete:

Wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet,

begeht Ehebruch gegen seine Frau.

Und ebenso begeht eine Frau,

die ihren Mann entläßt und einen anderen heiratet,

Ehebruch.83

Das hat mir gefallen. Hier sind wenigstens beide gleichberechtigt.«

Chusa schaute etwas erstaunt seine Frau an: »Aber der ist ja noch radikaler als Johannes der Täufer. Der bestand nur auf der Einhaltung der überkommenen Gesetze. Sein Schüler aber will die Gesetze ändern, dazu noch in unrealistischer Weise. Denn das geht ja ganz an der Wirklichkeit vorbei, Ehescheidungen zu verbieten.«

Johanna verteidigte sich: »Keine Ehescheidung ist gut. Es ist immer traurig, wenn zwei auseinandergehen.«

Chusa hakte noch einmal nach: »Ich glaube, dieser Johannesschüler ist auch so ein Spinner, von denen wir genug haben.«

Ich merkte, wie Johanna zusammenzuckte. Einen Augenblick lang hatte ich den Gedanken: Ob die beiden miteinander Probleme haben? Ich mußte vom Thema »Ehescheidung« herunter. Daher fragte ich:

»Wie heißt denn dieser Nachfolger des Täufers?«

»Ich glaube: Jesus von Nazareth.«

»Und wo lebt er?«

»Er zieht in Galiläa durchs Land.«

Chusa seufzte: »Ausgerechnet durch unser Land! Könnte er seine neuen Ansichten nicht in Judäa verbreiten? Da müßte sich dann Pilatus mit ihm herumärgern.«

Ich meinte: »Wenn er keinen festen Aufenthaltsort hat, kommt er vielleicht noch nach Judäa.«

Chusa hatte eine Idee: »Wie wär es, wenn wir ihm den Boden ein wenig heiß machen? Wir streuen das Gerücht aus, Antipas wolle ihn hinrichten lassen. Und gleichzeitig geben wir einen diskreten Wink, er möge über die Landesgrenzen verschwinden.84 Dann wären wir ihn los. Wie wär es, wenn du diese Sache in die Hand nähmst?« wandte er sich an mich. »Nazareth liegt ja nur zehn Kilometer von Sepphoris entfernt. Du kennst dich in der Gegend aus.«

Ich erschrak: Hier tat sich eine Falle auf. Wenn Pilatus erführe, daß ich ihm einen Propheten auf den Hals jagte – nein, das ging nicht. Ich wandte ein:

»Dieser Jesus muß den Wink zum Verschwinden von Leuten bekommen, denen er vertrauen kann. Nazareth ist ein kleines Dorf. Wir von der Stadt haben bei den Leuten auf dem Land nicht viel zu sagen. Wir sind für sie nur die Reichen, die griechisch Gebildeten, die mit den Herodäern und Römern zusammenarbeiten.«