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Chusa dachte nach: »Man müßte an ein paar fromme Leute rankommen. Vielleicht ein paar Pharisäer. Auf ihre Warnung würde Jesus bestimmt hören.«

Ich hatte noch einen Einwand: »Kann er in Judäa dem Antipas nicht noch mehr Schwierigkeiten machen als in Galiläa? Stell dir vor, Pilatus spielte ihn gegen Antipas aus: Was käme ihm gelegener, als wenn die ganze jüdische Öffentlichkeit erführe, daß Antipas die Sitten der Väter verläßt?«

Chusa lachte: »Wer galiläische Pilger umbringt, warum soll der nicht auch einen galiläischen Propheten umbringen? Im übrigen, Propheten lassen sich nicht von den Römern engagieren, um uns schlecht zu machen. Da kennst du unsere Propheten schlecht!«

Wir unterhielten uns noch lange, tranken und aßen. Chusa nahm zum Abschluß seine Zither und sang seine Lieblingslieder: die Lieder Salomos. Er sang sie als Lieder für Johanna.

»Wie schön bist du,

meine Freundin, wie schön:

Deine Augen glänzen wie Tauben

hinter deinem Schleier hervor!...«85

Zweifellos: Johanna war eine sehr schöne Frau.

Sehr geehrter Herr Kratzinger,

 

der Zufall will es, daß Sie gerade in diesem Semester ein Seminar über Johannes den Täufer halten. Sie waren versucht, das letzte Kapitel mit Ihren Studenten zu lesen. Aber Sie befürchteten dann doch, daß meine Erzählung – an der mühsamen Analyse der Quellen vorbei – historische Erkenntnis suggeriert, wo poetische Fiktion vorliegt.

Ich teile diese Befürchtung nicht. Mir ist beim Schreiben aufgegangen, daß die Gespräche des Buches wissenschaftliche Diskussionen in einer Hinsicht angemessener wiedergeben als gelehrte Abhandlungen: In Abhandlungen kommt man nach vielen Pro und Contra zu einem Ergebnis, das man so plausibel wie möglich darstellt – und das auf dem Weg vom Gedanken zur Druckerschwärze viel plausibler wird, als es wirklich ist. Ein erzählter Dialog kann dagegen offen enden. Niemand muß das letzte Wort haben. Wer von den Gesprächsteilnehmern die Wahrheit sagt, darf in der Schwebe bleiben.

Der offene Schluß entspricht dem tatsächlichen Forschungsprozeß. Denn was ist Geschichtswissenschaft anderes als ein immerwährendes Gespräch über die Vergangenheit, bei dem niemand das letzte Wort hat? Im Unterschied zu erzählten Dialogen verläuft das wissenschaftliche Gespräch nach strengen »Spielregeln«, die wir »historische Methoden« nennen. Sie sind auf langen Erfahrungen basierende Abmachungen darüber, welche Art von Argumenten zugelassen werden und welche nicht. Werturteile sind z.B. keine Argumente bei der Rekonstruktion historischer Sachverhalte. Eine Textvariante kann mir gefallen, aber deswegen ist sie nicht ursprünglich.

Wenn Andreas sich in vielen Gesprächen ein Bild von den Ereignissen macht, so bildet er den historischen Forschungsprozeß ab, ohne sich seinen methodischen Spielregeln unterwerfen zu müssen. Das Nachdenken über seine Dialoge hat mich zu vielen wissenschaftlichen Gedanken angeregt. Ich habe Stoff für neue Abhandlungen bekommen.

Vielleicht lesen sie das Kapitel am Ende Ihres Seminars doch noch Ihren Studenten vor.

 

Ich bleibe

mit herzlichen Grüßen

Ihr

Gerd Theißen

7. KAPITEL

Jesus – ein Sicherheitsrisiko?

Ich kehrte nach Jerusalem zurück, um Metilius Bericht zu erstatten. Da Johannes der Täufer tot war, betrachtete ich meinen Auftrag als beendet. Bald, so hoffte ich, würde ich wieder als einfacher Getreidehändler mit Malchos und Timon durch Palästina ziehen.

Die Straße nach Jerusalem führt steil bergauf. Aus der fruchtbaren Oasenlandschaft Jerichos kommend, betritt man eine öde Gebirgswüste. Erodierende Felsen begrenzen den Blick. Die Hitze erschwert jede Bewegung. Nähert man sich dem Gipfel des Gebirges, vermehren sich die Zeichen des Lebens. Das Grün in den Bergnischen nimmt zu. Fußpfade schlängeln sich durchs Gelände, Spuren von Menschen. Ein leichter Luftzug durchkreuzt die Hitze. Erwartungen greifen über den Horizont: Man ahnt jenseits der Höhe ein anderes Land.

Und endlich ist es soweit: Die Stadt wird sichtbar. Über dem dunklen Gewirr von Gassen und Häusern schwebt der Tempel. Gleißendes Sonnenlicht bricht sich in seinen Steinen. Eine mächtige Plattform wuchtet seine Bauten in die Höhe. Säulenhallen rahmen die Plattform ein. Sie umgeben einen riesigen Platz, den »Vorhof der Heiden«, der für alle Menschen offen ist. In seiner Mitte liegt der innere Tempelbezirk. Ihn dürfen nur Juden betreten. Dort steht der eigentliche Tempel. Nur die Priester haben Zugang zu ihm. Aber auch sie bleiben vom Allerheiligsten ausgeschlossen, jenem geheimnisvollen Raum im Inneren des Tempels, den nur der Hohepriester einmal im Jahr betritt, um das Volk mit Gott zu versöhnen. Und doch nähern sich ihm viele Gedanken jeden Tag. Denn dort ist Gott gegenwärtig. Von dort geht eine Kraft aus, deren Gewalt das Herz auf ein unbekanntes Zentrum ausrichtet, das man niemals sehen, nie hören, nie erleben und nie fühlen wird.

Ich blieb stehen. Immer wenn ich Jerusalem sehe, ist mir, als kehrte ich in meine Heimat zurück. Auf den Lippen summte ich ein Lied, das unsere Vorfahren im Exil gedichtet haben. Was damals Babylon war, ist heute Rom, was damals Exil war, ist heute die Unterdrückung im eigenen Lande:86

»An den Wassern Babylons

sitzen wir und weinen,

wenn wir an Zion denken.

An die Weidenbäume haben

wir unsere Zither gehängt.

Die uns unterdrücken, wollen,

daß wir ihnen schöne Lieder singen.

Aber wie können wir schöne Lieder singen,

wenn wir verbannt sind?

Verdorren soll meine Zunge,

wenn ich dich vergesse,

jerusalem,

wenn du Jerusalem mir nicht lieber wärst

als alle Freuden und Feste!

O Babylon,

Unterdrückerin!

Wohl dem, der heimzahlt,

was du uns getan!

Wohl dem, der deine Kinder packt

und sie am Felsen zerschmettert!«

Solange die Römer mein Schicksal bestimmten, war ich im eigenen Land gefangen! Aber ich war zuversichtlich. Bald würden alle Verwicklungen ein Ende finden. Hatte ich meine Aufgabe nicht gut erledigt? Hatte ich nicht dank Baruch und Chusa mehr über Essener und Täufer erfahren, als ich jemals gehofft hatte? Es lag ganz bei mir, was ich an die Römer weitergab. Ich hatte die Zuversicht, daß ich die rechte Auswahl würde treffen können. Nichts, was unserem Land schadete, würde über meine Lippen kommen, nichts, aber auch gar nichts. In dieser Stimmung kam ich zu Metilius.

Metilius hatte die Nachricht vom Tode des Täufers schon erhalten. Er machte einen gespannteren Eindruck als bei unserem letzten Gespräch.

»Andreas, du kommst im richtigen Augenblick! Die Lage ist ernst. Herodes Antipas hat uns offiziell mitgeteilt, er sei einem Aufruhr durch Hinrichtung Johannes des Täufers zuvorgekommen.«

Ich erzählte Metilius einiges von dem, was ich über die Hintergründe dieser Hinrichtung erfahren hatte. Metilius hörte aufmerksam zu. Dann sagte er: