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»Was uns Sorge macht, ist, daß die Hinrichtung des Täufers zeitlich mit Ereignissen zusammenfällt, die auf eine erhöhte Aktivität von Widerstandskämpfern deuten:

Kurz vorher gab es diese unglückselige Demonstration gegen Pilatus, bei der du inhaftiert wurdest. Während deiner Abwesenheit hat es einen zweiten Zwischenfall in der Nähe Jerusalems gegeben: Eine römische Soldatenabteilung hatte eine Gruppe galiläischer Pilger auf Waffen hin durchsucht. Dabei stellte sich heraus, daß einige Pilger bewaffnet waren. Vermutlich waren es Terroristen. Es kam zu einem Gefecht. Mehrere Pilger wurden getötet – wahrscheinlich unschuldige Menschen, die gar keine Ahnung hatten, wer in ihrer Mitte mitgepilgert war. Nun sind die Leute empört über uns Römer- und nicht über die Terroristen!«87

Metilius ging auf und ab. Er fuhr fort: »Um das Unglück voll zu machen, wurde vor kurzem auf der Straße zwischen Cäsarea und Jerusalem ein Sklave des Kaisers, der in wichtigen Verwaltungsangelegenheiten unterwegs war, von Terroristen überfallen und ausgeraubt.88 Der Sklave und seine Begleiter konnten entkommen, aber eine große Geldmenge fiel in die Hände der Terroristen. Wir haben sofort eine Kohorte in das Gebiet gesandt. Doch die Terroristen waren wie vom Erdboden verschluckt. Aus der Bevölkerung war nichts herauszuholen. Niemand wollte etwas gesehen, niemand vom Überfall gewußt haben. Unsere Soldaten wurden nervös und zündeten zur Abschreckung alle Dörfer in der Nähe des Überfalls an. Die Bevölkerung soll wissen, daß sie bei künftigen Terroranschlägen die Wahl hat, die Terroristen auszuliefern oder...«

Metilius beendete den Satz nicht. Es war offensichtlich, wie widerlich er die römischen Vergeltungsmaßnahmen fand. Sie waren einer umsichtigen Staatsführung nicht würdig. Er räusperte sich und faßte zusammen:

»Alle diese Nachrichten weisen darauf hin, daß der terroristische Widerstand etwas vorhat. Er beschafft sich in Raubüberfällen Geld, transportiert Waffen und könnte die gegenwärtige Empörung in der Bevölkerung nutzen, um größere Aktionen zu starten. Wir sind sehr besorgt.«

Metilius ahnte etwas Richtiges. Unter der Oberfläche gärte es im Land.

»In dieser schwierigen Situation ist es für uns entscheidend, wie wir mögliche Anhänger des Täufers einschätzen sollen: Werden sie mit den Terroristen gemeinsame Sache machen? Oder werden sie sich zerstreuen und verlieren?«

 

Die Römer hatten offensichtlich Angst, daß sich verschiedene Gruppen gegen sie zusammenschließen und in der Bevölkerung Unterstützung finden könnten. Die Lage war für sie undurchsichtig. Ihre Angst konnte sie zu noch drastischeren Maßnahmen verleiten – und das konnte den Widerstand weiter anstacheln. Ich versuchte daher zu beruhigen:

»Was Essener und Täufer angeht, so bin ich sicher, daß sie keine gemeinsame Sache mit den Terroristen machen. Es handelt sich um religiöse Bewegungen, deren Ziel es ist, daß die Menschen in Übereinstimmung mit den Geboten Gottes leben. Sie streben keine politischen Änderungen an.«

»Aber nähren sie nicht die Erwartung, es stehe eine große Wende bevor?« warf Metilius ein.

»Sie werden nie versuchen, diese Wende von sich aus herbeizuführen. Sie warten auf Gott, der die große Wende bringen wird.«

»Aber wenn jemand aufträte und sagte: Jetzt bringt Gott die große Wende – würden nicht alle glauben: Jetzt ist die Zeit der Römerherrschaft vorbei?«

Metilius hatte recht. Aber ich mußte ihn von seinen richtigen Gedanken abbringen. Ich mußte versuchen, ihn zu beruhigen. In einem langen Gespräch führte ich alles an, was Essener und Täufer als harmlose Gruppen erscheinen ließ. Metilius blieb skeptisch. Er hatte sich informiert:

»Was mich immer noch nachdenklich macht: Warum ziehen sich diese Leute in die Wüste zurück? – Ich habe inzwischen in euren heiligen Schriften gelesen.« Auf meinen fragenden Blick hin fügte er hinzu: »Nicht im hebräischen Urtext, sondern in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung.89 Die Wüste hat dort eine ganz bestimmte Bedeutung: Gott führte eure Vorfahren durch die Wüste in dies Land und vertrieb alle Feinde vor euch. Bevor David König wurde, lebte er als Banditenführer in der Wüste und machte König Saul das Leben schwer. Gegen die Herrschaft der syrischen Könige führten fromme Israeliten von der Wüste aus Krieg, es gelang ihnen, die Syrer zu vertreiben. Kurz, wer grundsätzliche Opposition treiben wollte, zog sich in die Wüste zurück und erwartete, daß Gott aus der Wüste kommen würde, um seine Feinde aus dem Land zu vertreiben. Ja man kann sagen: Euer Gott ist ein Wüstengott. Er wohnt auf dem Sinai.«

Ich wandte ein: »Es gibt ein altes Prophetenorakel, das sagt: ›In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg‹. Sowohl der Täufer wie die Essener berufen sich darauf. Die Essener verstehen unter diesem Wegbereiten Gesetzesstudium. Der Täufer sagt: Man bereite Gott den Weg, indem man seine Sünden bekennt, sich im Jordan taufen läßt und sein Leben bessert.90 Von solchen Bewegungen geht für die Römer keine Gefahr aus.«91

Metilius war hartnäckig. Er traute dem Täufer noch immer nicht und fragte:

»Hat Antipas nicht recht, wenn er den Wüstenprediger Johannes als gefährlichen Rebellen hinrichten läßt?«

»Antipas wird gegenüber den Römern Unterdrückung immer als Verhinderung von Aufruhr rechtfertigen. Der entscheidende Grund für die Hinrichtung des Täufers liegt aber im privaten Bereich: in der Heiratsaffäre des Antipas. Auch die Täuferanhänger legen darauf den Akzent. Einer von ihnen hält Ehescheidung für ein Zugeständnis an die menschliche Unvollkommenheit, lehnt sie aber grundsätzlich ab.«

»Hast du diesen Täuferjünger gesprochen?«

»Nein, aber ich habe aus zuverlässigen Quellen von ihm gehört.«

»Wie heißt er?«

»Jesus von Nazareth!«

Metilius dachte nach.

»Den Namen habe ich noch nie gehört. Wo liegt das, Nazareth?«

»In Galiläa, nicht weit von Sepphoris entfernt!«

»Galiläa!« Metilius sprang auf. »Wir haben den begründeten Verdacht, daß Terroristen in Galiläa Schlupfwinkel haben, von denen aus sie Aktionen untemehmen.«

»Terroristen interessieren sich nicht für Ehegesetze. Dieser Jesus scheint ein ganz normaler jüdischer Lehrer zu sein. Unsere Rabbinen diskutieren alle Fragen des menschlichen Zusammenlebens.«

»Du irrst: Die Terroristen könnten im Augenblick durchaus ein Interesse an Ehefragen haben. Wenn sie einen Aufstand gegen Antipas und uns vorbereiten, müssen sie den Antipas im Volk unbeliebt machen. Womit könnten sie das leichter tun als dadurch, daß sie seine Ehe anprangern!«

»Aber deswegen muß dieser Jesus doch kein Terrorist sein!«

»Natürlich nicht! Aber daß er aus Galiläa kommt, macht stutzig. Bedenke, erst vor kurzem verbargen sich Terroristen in einer aus Galiläa kommenden Pilgergruppe!«

»Aber wenn alle Galiläer als Terroristen verdächtig wären, wäre es da nicht unklug, sich ausgerechnet unter Galiläern zu tarnen?«

Metilius ignorierte meinen Einwand.

»Der erste Aufstand gegen die Römer wurde von Judas dem Galiläer geführt.92 Du kennst seinen Namen. Du weißt genau, wo er zum ersten Mal in Erscheinung trat: in Sepphoris! Und jetzt kommt aus einem kleinen Dorf bei Sepphoris dieser Jesus, der Schüler eines wegen Aufruhr hingerichteten Propheten!« Er legte eine kurze Pause ein. Dann drehte er sich zu mir um. »Du erhältst ab sofort einen neuen Auftrag: Du sollst herausbringen, ob dieser Jesus ein Sicherheitsrisiko für den Staat ist und ob er Verbindung zu den Widerstandskämpfern hat!«

Ich war entsetzt. Ich hatte gehofft, wieder meiner normalen Arbeit nachgehen zu können. Was jetzt auf mich zukam, war viel unangenehmer als Erkundigungen über Essener und Täufer. Hier kamen bewaffnete Widerstandskämpfer ins Spiel. Ich machte Einwände:

»Meine Familie gilt in Galiläa als prorömisch. Wie soll ich da das Vertrauen von antirömischen Widerstandskämpfern gewinnen?«

»Das wird kein großes Problem sein: Wir haben dafür gesorgt, daß bekannt wurde, du seist bei einer antirömischen Demonstration inhaftiert worden.«