»Sepphoris sagst du? Hat es nicht auch in Sepphoris Unruhen gegeben? Wie war das mit der Revolte nach dem Tod des Herodes? Eure Stadt war ein richtiges Terroristennest!« 3 schrie er mich unvermittelt an.
»Das ist nicht wahr. Vor 33 Jahren gab es in ganz Palästina einen Aufstand gegen Römer und Herodäer. Die Aufständischen eroberten im Handstreich unsere Stadt und zwangen ihre Bewohner zum Krieg gegen die Römer. Die Stadt hat es büßen müssen. Der römische General Quintilius Varus sandte Truppen gegen sie, ließ sie erobern, verbrennen, die Bevölkerung töten oder in die Sklaverei verkaufen. Es war eine schreckliche Katastrophe für unsere Stadt!«
Wie konnte ich ihn nur von diesem Thema wegbringen? Nicht alle waren damals getötet und versklavt worden. Einigen war die Flucht gelungen. Zu ihnen gehörte auch der Vater des Barabbas. Barabbas hatte es mir oft erzählt. Ob sie mich seinetwegen verhörten? Aber was konnten sie von unserer Freundschaft wissen? Auf jeden Fall mußte ich von allem ablenken, was in Verbindung mit ihm stand. Noch einmal betonte ich:
»Alle Bewohner von Sepphoris haben für den Aufstand büßen müssen – auch Varus ereilte sein Schicksaclass="underline" Wenig später ist er in Germanien mit drei Legionen umgekommen!«
»Worüber man sich in Sepphoris gefreut hat!« Die Stimme des Offiziers klang immer noch wütend.
»Hier konnte sich niemand mehr freuen. Alle waren tot oder versklavt. Die Stadt war ein Ruinenfeld. Sie wurde neu aufgebaut von Herodes Antipas, dem Sohn des Herodes. Er siedelte dort Leute an, die zu den Römern standen. Auch mein Vater ist damals nach Sepphoris gekommen. Wir sind eine neue Stadt. Frag die Galiläer um uns herum: Unsere Stadt gilt als römerfreundlich. Aus diesem Sepphoris komme ich.«4
»Das werden wir alles untersuchen. Noch eine Frage: Welche Stellung hat deine Familie in der Stadt?«
»Mein Vater ist Dekurio, Mitglied des Rates.«
Unsere Stadt war wie eine griechische Stadt organisiert. Es gab eine Bürgerversammlung, einen Rat, Wahlen und städtische Ämter. Ich spielte bewußt darauf an, weil ich wußte: Die Römer unterstützten die republikanischen Städte und die Wohlhabenden in ihnen.
»Dein Vater muß reich sein, wenn er zu den Dekurionen in Sepphoris gehört. Was ist er von Beruf?«
»Getreidehändler wie ich.«
»Mit wem handelt ihr?«
»Galiläa versorgt die Städte an der Mittelmeerküste mit Landwirtschaftsprodukten: Cäsarea, Dor, Ptolemais, Tyros und Sidon. Auch die römischen Kohorten in Cäsarea habe ich schon mit Getreide beliefert.«
»Das läßt sich überprüfen. Habt ihr Geschäftsbeziehungen zu Herodes Antipas?«
»Natürlich! Ihm gehören die größten Güter in Galiläa. Früher hatte er seine Residenz in Sepphoris. Ich habe oft mit seinen Verwaltern zu tun.«
Ich merkte, wie der Untersuchungsoffizier beim Thema ›Herodes Antipas‹ interessiert aufhorchte.
»Was hält man in Sepphoris von Herodes Antipas?«
»Er kann sich auf uns in der Stadt verlassen. Auf dem Land gibt es dagegen immer noch Vorbehalte gegen die Herodäer.«
Der Offizier nahm ein Schriftstück in die Hand. Er schien es schnell durchzulesen, warf einen fragenden Blick auf mich und fuhr fort:
»Hier liegt das Protokoll der Vernehmung eures Sklaven Timon. Da hört sich manches anders an. Willst du wirklich behaupten, daß ihr loyale Anhänger des Herodes Antipas seid?«
Ich erschrak. Sie hatten Timon verhört! Bei Sklaven geschah das auf der Folter. Timon konnte alles mögliche über mich und meine Familie erzählt haben. Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoß und spürte Angst im ganzen Körper.
»Also los! Was habt ihr gegen Herodes Antipas?«
»Wir unterstützen seine Herrschaft. Alle angesehenen Leute in Sepphoris und Tiberias unterstützen sie«, beteuerte ich.
»Warum macht man sich dann bei euch zu Hause über ihn lustig?«
»Wieso?«
»Euer Sklave sagt: ihr nennt ihn einen degradierten König, ein schwankendes Rohr, einen Fuchs!«
Ich lachte erleichtert:
»Er sollte einst Nachfolger des Königs Herodes werden. Aber Herodes veränderte mehrfach sein Testament. Antipas erbte weder Königswürde noch Reich, nicht einmal das größte und beste Stück, sondern nur ein Viertel von ihm: Galiläa und Peräa.«
»Und nun träumt er davon, einmal alles zu besitzen?« Plötzlich war es still im Raum. Sogar der Schreiber hatte aufgehört zu schreiben und schaute mich an.
»Vielleicht. Auf jeden Fall hat er einmal davon geträumt«, antwortete ich.
»Und das mit dem schwankenden Rohr?«
Ich hatte das beruhigende Gefühl, daß Antipas wichtiger wurde als ich. Wollte der Beamte über ihn Informationen sammeln? Etwas zuversichtlicher fuhr ich fort:
»Das mit dem ›schwankenden Rohr‹ ist eine Redensart. Als Antipas vor 10 Jahren seine Hauptstadt von unserer Stadt nach Tiberias verlegte, eine Stadt, die er zu Ehren des Kaisers gegründet hatte, gab es Kritik. Natürlich waren wir in Sepphoris nicht glücklich über diese Verlegung der Hauptstadt. In einer Hauptstadt lassen sich bessere Geschäfte machen als in der Provinz. Deswegen wurde Antipas in Sepphoris viel kritisiert.«
»Und was hat das mit dem ›schwankenden Rohr‹ zu tun?«
»Das kam so. Antipas ließ in seiner neuen Hauptstadt Münzen prägen. Normalerweise zeigen Münzen die Bilder der Fürsten. Aber nach jüdischem Gesetz ist es verboten, Menschen oder Tiere abzubilden! Also wählte Antipas ein harmloses Motiv, etwas, was für seine neue Hauptstadt am galiläischen See charakteristisch ist: Schilf, schwankendes Rohr – und das steht nun auf seinen ersten Münzen gerade dort, wo sonst sein Bild gestanden hätte. Daher spottet man über ihn als ein ›schwankendes Rohr‹. Das ist alles.«5
»Zwischen wem schwankt Antipas?«
»Er schwankt zwischen Sepphoris und Tiberias.«
»Nur zwischen Städten?«
»Er schwankt auch zwischen Frauen!«
»Du meinst die Affäre mit Herodias!«
»Ja, sein Schwanken zwischen seiner ersten Frau, der Nabatäerprinzessin, und Herodias.«
»Schwankt er nicht auch zwischen Nabatäem und Römern? Immerhin war er mit einer Tochter des Nabatäerkönigs verheiratet!«
Aha – deswegen interessierten sich die Römer für den schwankenden Antipas! Ruhig sagte ich- und es entsprach der Wahrheit:
»Nein! Antipas ist wie sein Vater Herodes absolut prorömisch.«
»Aber wie reimt sich das dazu, daß er gleichzeitig streng jüdisch ist. Er lehnt Bilder ab, wie du sagtest.«
»Das tun alle Juden.«
»Wirklich? Euer Sklave Timon erzählte uns, in einem Nebenraum stünde in eurem Haus ein Götzenbild!«
»Das ist eine Statue, die uns ein heidnischer Geschäftsfreund geschenkt hat. Wir wollten ihn nicht durch Zurückweisung des Geschenkes verletzen«, sagte ich verlegen.
»Das ist ja interessant: Ihr habt Götterbilder in euren Häusern versteckt!«
»Selbst Antipas hat Tierbilder in seinem Palast!6 Und wie ihr wißt, läßt sein Bruder Philippus auf seinen Münzen sogar den Kaiser abbilden!«
»Was, Tierbilder? Stimmt das wirklich?«
»Ich habe sie selbst gesehen. Sie sind in Tiberias in seinem neuen Palast. Im eigenen Hause sind die wohlhabenden Leute großzügiger mit den jüdischen Gesetzen als in der Öffentlichkeit.«
»Na, wie wäre es, wenn man unters Volk brächte: Antipas treibt heimlich Götzendienst! Und manche Leute in Sepphoris sind nicht viel besser!«
»Bilder sind keine Götter. Die Bilder sind von Handwerkern gemacht. Sie sind Dinge wie alle anderen Dinge. Wenn so ein ›Ding‹ bei uns herumsteht, treiben wir deshalb noch keinen Götzendienst.«
»Das verstehe ich nicht. Alle Welt verehrt die Götter durch Statuen.«
»Nie werden wir verehren, was Menschen geschaffen haben. Gott ist unsichtbar. Man kann sich kein Bild von ihm machen.«
Es entstand eine Pause. Der Offizier schaute mich nachdenklich an. War es nicht eine Dummheit, in meiner Situation zu betonen, was uns Juden von allen Völkern unterscheidet – auch von diesem römischen Offizier vor mir? Endlich sagte er ruhig: