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»Lehren das alle eure Gelehrten?«

»jeder Jude wird mir zustimmen!«

»Auch Johannes der Täufer? Erzähltest du nicht vorhin, er fordere die Menschen auf, sich im Jordan taufen zu lassen, um Vergebung der Sünden zu erlangen? Stellt er damit nicht eure ganze Religion in Frage? Was soll noch der Tempel, wenn man unabhängig von ihm Versöhnung erlangen kann? Und wie steht es mit den Essenern? Sie nehmen demonstrativ nicht am Tempelkult teil!«

Ich mußte Metilius ein Kompliment machen. Er hatte recht, hier lag ein Widerspruch.

 

Metilius war jetzt in Fahrt: »Auf der einen Seite gibt es also bei euch Leute, die die Stellung des Tempels untergraben. Die nennt ihr Heilige. Auf der anderen Seite tasten wir Römer durch einige ungeschickte Handlungen die Heiligkeit des Tempels an. Wir aber werden als Frevler hingestellt.«

Ich wandte ein: »Keiner unserer Heiligen wird je ein heidnisches Symbol in die Nähe des Tempels bringen wollen! Das ist der Unterschied.«

 

»Mag sein!« sagte Metilius. Er ging wieder aufgeregt im Zimmer auf und ab. Endlich rief er: "Jetzt weiß ich, warum unsere Politik immer wieder mit der Heiligkeit eures Tempels kollidiert! Der Tempel ist bei euch selbst umstritten! Weil er von innen her in Frage gestellt wird, reagiert ihr allergisch nach außen. Der Fanatismus, mit dem ihr den Tempel gegen unsere angeblichen Übergriffe verteidigt, gilt in Wirklichkeit euren eigenen Leuten!«

Metilius sagte es mit Nachdruck, als hätte er eine große Erkenntnis gemacht. Meiner Meinung nach unterschätzte er die Rolle der Römer.

»Der Tempel mag bei uns umstritten sein. Aber er ist umstritten, weil er für uns von unendlichem Wert ist. Gerade weil unser Gott unsichtbar ist und ohne Bilder verehrt werden will, gerade darum hängt unser Herz an dem einzigen sichtbaren Ort in der Welt, an dem er versprochen hat, nahe zu sein!«

 

Wir unterhielten uns noch lange über die religiöse und politische Lage im Land. Metilius war ein intelligenter Mann. Er begriff schnell, worum es in unserer Religion geht. Er war in einem Punkt völlig glaubwürdig: Er wollte mit möglichst wenig Unterdrükkung und Blutvergießen Frieden und Ordnung im Lande aufrecht erhalten. Er hatte gute Absichten. Und doch diente er einem System, das mir im Traum als tierische Bestie begegnet war und das mich noch immer in seinen unbarmherzigen Klauen festhielt. Heute hatte ich wieder etwas von dieser Unbarmherzigkeit gespürt. In dem Augenblick, als ich schon gehofft hatte, ihm entronnen zu sein, hatte es mich wieder gepackt. Wieder mutete es mir Verrat an meinem Volk zu – diesmal möglicherweise Verrat an Leuten, die mir nahestanden. Und das alles im Namen von Frieden und Ordnung? War das ein menschlicher Friede?

Im Traum war mir damals ein »Mensch« erschienen, der das Untier besiegte und mich von einem Alpdruck befreit hatte. Aber jetzt spürte ich nichts davon. Ich war froh, als ich wieder bei Timon und Malchos in unserem Quartier war und mich mit harmlosen Gesprächen ablenken konnte. Immer wieder schweiften meine Gedanken zu Barabbas, den ich kannte, und zu Jesus, den ich nicht kannte und über den ich in den nächsten Wochen Material sammeln sollte. Was war das für ein Mensch, ein Asket wie Bannos? Ein Prophet wie der Täufer? Ein Spinner? Ein Terrorist?

Sehr geehrter Herr Kratzinger,

 

Sie werfen noch einmal die Grundsatzfrage auf: Zwei Jahrhunderte historisch-kritischer Exegese haben uns zur Skepsis gegenüber der historischen Auswertbarkeit unserer Quellen erzogen. Wir wissen: Die Quellen sind tendenziös, einseitig und enthalten weniger historische Information als eine religiöse Botschaft. Diese Skepsis werde in meiner Jesuserzählung übersprungen! Sie fragen konkret: Was wissen wir denn wirklich von Pilatus?

Gewiß, alle Quellen stammen von fehlbaren Menschen. Aber wenn Menschen unfähig sind, die historische Wahrheit unverfälscht zu übermitteln, so sind sie ebenso unfähig, die Quellen so umzuprägen, daß die historische Wahrheit ganz verlorengeht. Beides stößt bei unvollkommenen Menschen auf Grenzen.

Darfich Sie zu einem Gedankenexperiment einladen? Angenommen, es hätte in Palästina im 1.Jh. n.Chr. ein »Komitee zur Irreführung späterer Historiker« gegeben, das sich verschworen hätte, uns ein historisch unzutreffendes Bild von den damaligen Ereignissen zu hinterlassen – auch das mächtigste Komitee wäre nicht mächtig genug, um alle Quellen kontrollieren und umprägen zu können. Sollte es tatsächlich ganz verschiedene Schriftsteller oder deren Abschreiber überredet haben, Notizen über Pilatus in ihr Werk aufzunehmen, Notizen, die wir jetzt bei Philo, Josephus, Tacitus und in den Evangelien lesen? Sollte es durch Palästina gezogen sein, um an zufälligen Orten Kupfermünzen des Pilatus zu verstecken? Sollte es gar eine Inschrift in Auftrag gegeben haben, nach der Pilatus ein »Tiberieum« seinem Kaiser widmete – und die später als Treppenstufe im Theater von Cäsarea unauffällig der Nachwelt erhalten blieb? Unmöglich!

Die Zufälligkeit der Relikte und Quellen zu Pilatus machen uns gewiß: Pilatus hat gelebt. Was die Evangelien über ihn schreiben, widerspricht nicht den anderen Quellen, läßt sich aber aus ihnen nicht ableiten. Die Evangelien haben bei Pilatus zweifellos einen »historischen Hintergrund«. Für Herodes Antipas könnte man einen ähnlichen Nachweis führen. Denn auch hier können wir urchristliche Aussagen an außemeutestamentlichen Quellen überprüfen. Muß man dann aber nicht per Analogieschluß schließen: Auch die in den Evangelien enthaltenen Jesusüberlieferungen haben einen historischen Hintergrund? Was nicht heißt, daß sie mit der historischen Wahrheit identisch sind. Sie sehen, daß ich nicht ganz so skeptisch urteile wie Sie. Eben deshalb möchte ich auf Ihr kritisches Urteil nicht verzichten.

 

Ich bleibe bis zum nächsten Mal

mit herzlichen Grüßen

Ihr

Gerd Theißen

8. KAPITEL

Nachforschungen in Nazareth

Endlich war ich wieder zu Hause in Sepphoris. Meine Familie hatte von meiner Inhaftierung gehört und war überglücklich, mich wiederzusehen. Ich verschwieg, was der Preis für meine Freilassung war. Berechnende Klugheit und Scham verschlossen mir den Mund. Wie sehr wünschte ich, alles sei ein Irrtum, ein böser Traum, den man beim Erwachen abschüttelt. Aber es war kein Traum. Es war kein Irrtum. Es war Realität.

Mit Baruch kamen wir überein, daß er in unser Geschäft eintreten solle. Er war intelligent, konnte schreiben und rechnen. Vor allem hatte er bei den Essenern gelernt, wie man Warenlager verwaltet. Er war ein guter Verwalter.

Doch ich will gleich zur Hauptsache kommen: zu meinen Nachforschungen über Jesus.Das Nächstliegende war, zunächst seine Heimatstadt zu besuchen. Dort mußten Angehörige leben oder Leute, die ihn kannten. Wir kauften in Nazareth ohnehin oft Oliven. Diese Oliven verarbeiteten wir in Sepphoris zu Öl und verkauften das Öl mit großem Gewinn an Juden in den syrischen Städten. Die kauften bevorzugt galiläisches Olivenöl, weil es als rein galt und nicht in Berührung mit Heiden gekommen war, ja, sie bezahlten für unser »reines« Öl einen weit höheren Preis als für das Öl heidnischer Konkurrenten.98 Uns war das recht. Unser Geschäft blühte.

Ich zog also mit Timon und Malchos nach Nazareth. Gewöhnlich kauften wir bei einem der größeren Bauern unsere Oliven. Aber diesmal war ich daran interessiert, einfache Leute kennenzulernen. Es war nicht schwer. Ein Bauer namens Tholomäus war sofort bereit, mir seine Ernte zu verkaufen. Er wohnte zusammen mit seiner Frau Susanna in einem ärmlichen Haus. Sie waren um die 50 Jahre alt und lebten allein. Vielleicht waren sie kinderlos? Vielleicht waren die Kinder schon erwachsen? Wir feilschten lange über den Kaufpreis. Ich drückte ihn nicht allzu weit herunter, denn ich wollte Tholomäus bei guter Laune halten, um von ihm möglichst viel zu erfahren. Nach dem Geschäft kamen wir ins Gespräch. Wir saßen vor seinem Haus mit seiner Frau und sprachen über das Wetter, die Ernte und den Olivenhandel, während Timon und Malchos die gekauften Oliven auf unsere Esel packten.