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Die Gottesherrschaft ist wie ein Mensch, der Samen auf die Erde streut, und er schläft und steht auf, nachts und tags, und der Same wächst und wird groß, er selbst weiß nicht wie. Von selbst trägt die Erde Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann den vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht es zuläßt, sendet er die Sichel, denn die Ernte ist da! 116

So harmlos stellt er sich das vor: Von selbst komme die Gottesherrschaft. So sanft und leise wie die Pflanzen aus dem Boden. Ja, manchmal spricht er in rätselhaften Worten von ihr, als sei sie schon da, obwohl doch jedermann sieht, daß die Römer noch über unser Land herrschen! Jeder sieht, daß sie nicht da ist. Er ist ein Spinner. Und Simon auch!«

»Wer?«

»Simon ist mein Freund, der uns verlassen hat. Unter den Anhängern Jesu wird er ﹥Simon der Zelot﹤ genannt. 117 Simon hat Jesus einmal gefragt, ob man sich denn gegen Unrecht nicht wehren müsse. Weißt du, was er geantwortet hat? Er sagte:

Ihr habt gehört, daß gesagt ist:

Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Ich aber sage euch:

Widersteht nicht dem Bösen.

Sondern wer dich auf die rechte Backe schlägt,

dem halte auch die andere hin.

Und dem, der dir vor Gericht das Hemd nehmen will,

dem laß auch den Mantel,

und wer dich zu einer Meile Dienstleistung erpreßt,

mit dem geh zwei! 118

Andreas, wer so was sagt, der spinnt. Wir sagen: Wenn dich jemand schlägt, schlag zurück! Wenn dir jemand das Hemd nimmt, zünd ihm das Haus an! Wenn dich jemand erpreßt, entführ ihm seine Kinder und erpresse ihn! Nur so kann das Unrecht eingedämmt werden!«

»Aber Simon, der Zelot, findet diese ausgefallenen Ansichten, die Jesus verbreitet, gut?«

»Ausgefallen ist ein schwacher Ausdruck! Man kann sich zur Not vorstellen, daß man von einem Freund lieber Unrecht leidet als ihm Unrecht tut – aber gegenüber Feinden? Ist es nicht unsere Pflicht, Freunden zu helfen und Feinden zu schaden? Als Simon ihn danach fragte, antwortete Jesus:

Ihr habt gehört, daß gesagt ist:

Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind!

Ich aber sage euch:

Liebt eure Feinde

und bittet für eure Verfolger,

damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet,

denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute

und er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. 119

Wer kann sich schon erlauben, so großzügig gegenüber seinen Feinden zu sein? Das kann nur, wer stark und unabhängig genug ist, daß ihm seine Feinde nichts anhaben können. Das können nur die großen Sieger, die Könige und Kaiser. Aber dieser Jesus zieht durch unser unterdrücktes Land und will den kleinen Leuten eine Haltung beibringen, die sich nur eine schmale Oberschicht als Luxus gelegentlich erlauben kann, die aber lähmt, was allein Veränderung bringen kann: die Solidarität der Unterdrückten gegen ihre Peiniger und ihren Haß gegen die Großen!«

»Lehrt er denn, man solle sich den Großen einfach fügen? Es kursieren scharfe Worte gegen die Reichen von ihm.«

»Das ist es ja gerade: Er bringt den Unmut des Volkes gegen die Großen zum Ausdruck. Er sagt zum Beispieclass="underline"

Ihr wißt,

daß die sogenannten Herrscher der Völker sie unterjochen

und ihre Großen sie unterdrücken.

So aber soll es nicht unter euch sein!

Sondern wer groß unter euch sein will,

der sei euer Diener.

Und wer der erste unter euch sein will,

der sei Sklave aller! 120

Das hören die Leute gerne. Sie meinen dann, es sei möglich, ohne Gewalt Unterdrückung und Ausbeutung abzuschaffen. Aber worin besteht diese Unterdrückung denn konkret? Sie besteht darin, daß die Leute Steuern zahlen müssen – und nicht wissen, woher sie das Geld nehmen sollen, daß sie sich verschulden und ihren Besitz verlieren. 121

Unterdrückung – das bedeutet: Die Herrschenden eignen sich so viel vom Ertrag des Landes an, daß das Volk ständig um das Existenzminimum fürchten muß. Solche Unterdrückung muß sich immer wieder um ihrer selbst willen erneuern. Die Steuer- und Abgabelast muß immer so hoch sein, daß die Bevölkerung in zwei Gruppen zerfällt: einerseits diejenigen, die an der Erhaltung der gegenwärtigen Verhältnisse interessiert sind, andererseits die große Menge, die um ihre Existenz bangt. Existenzsorgen nehmen ihr den Mut, die Verhältnisse im Großen ändern zu wollen. Karge Existenzmöglichkeiten aber suggerieren ihr, man könne auch unter den gegebenen Verhältnissen mit Fleiß und Glück über die Runden kommen. Wer scheitert, sei selbst schuld oder habe außergewöhnliches Pech. Das ist die Unterdrückung, die hier im Lande herrscht. Du siehst, wie entscheidend die Frage der Steuern ist.

Wir haben Jesus gefragt, was er denn gegen diese Unterdrükkung tun wolle? Wir fragten: Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht? Da ließ er sich einen Denar bringen und fragte zurück: Wen stellt das Bild auf der Münze dar? Und wen nennt die Inschrift?‹ Und als wir antworteten: ›Den Kaiser!‹, sagte er:

So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist

und Gott, was Gottes ist. 122

Immer weicht er aus, wenn es konkret wird! Er will den sanften Weg gehen!«

»Ist er wirklich so harmlos, wenn er sagt: Überall unterdrücken die Herrscher ihre Völker! Bei euch aber soll das anders sein? Viele sagen, es sei eine Illusion, ohne Unterdrückung Politik machen zu wollen. Jesus aber sagt: Und wenn alle anderen Völker und Gesellschaften ohne Unterdrückung nicht auskommen, ihr sollt anders sein. Eure Aufgabe ist es, die Spaltung des Volkes in Unterdrückte und Unterdrückende zu überwinden.«

»Jesus hat formuliert, was uns seit je auszeichnet. Alle unsere Nachbarn haben Staaten gebildet, in denen Könige und ihre Leute das Land besaßen, und die auf dem Land arbeitenden Bauern nur wenig bessergestellt waren als frei verkäufliche Sklaven. Wir aber haben uns von Anfang an dagegen gewehrt, unter solchen Verhältnissen zu leben. Und wir werden weiter dafür kämpfen!«

»Aber hat Gott nicht zugelassen, daß wir unter die Herrschaft anderer Völker gerieten? Wie könnten wir uns dagegen auflehnen?«

»Gott hat zugelassen, daß wir in Ägypten in Sklaverei gerieten. Aber seinen eigentlichen Willen offenbarte er, als er uns aus dieser Sklaverei befreite. Als wir dann in dies Land kamen, haben wir 200 Jahre lang ohne zentrale Regierung gelebt, als freie Bauern, die sich gegen ihre Feinde gegenseitig unterstützten. Wir haben gezeigt: Ein Volk kann auch mit einem Minimum an Herrschaft leben.«