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»Aber dann mußten auch wir Herrscher akzeptieren! Auch wir erlebten, wie mit dem Königtum eine herrschende Klasse groß wurde.«

»Ohne Könige wären wir in Abhängigkeit von anderen Völkern geraten. Aber wir haben uns von Anfang an dagegen gewehrt, daß unsere Könige wie Pharaonen regierten! Mit den Königen traten Propheten auf. Sie kritisierten im Namen Gottes unsere Herrscher, wenn ihre Macht zu groß wurde. Und als die Könige scheiterten, haben unsere Propheten darin eine Strafe für ihren Machtmißbrauch nach innen und außen gesehen. Wieder hat Gott gezeigt, daß er nicht auf seiten der Herrschenden steht.«

»Aber dann gerieten wir in Abhängigkeit von Babyloniern, Persern und Griechen!«

»Gott schickte uns neue Propheten, als wir im babylonischen Exil gefangen waren. Er verhieß einen neuen Auszug aus Ägypten. Er bediente sich des persischen Königs Kyros, der die Babylonier besiegte und uns freiließ.«

»Aber die Perser blieben unsere Herrscher! Und Gott hat es gewollt!«

»Die Perser ließen zu, daß wir unser Leben nach den Geboten Gottes einrichteten. Als das Volk durch Verarmung und Verschuldung in zwei Klassen auseinanderzufallen drohte, hat der persische Statthalter Nehemia eine große Reform im Namen Gottes durchgeführt: Alle Schulden wurden erlassen. Alle Israeliten wurden frei.« 123

»Zeigt Nehemias Reform nicht, daß es noch einen anderen Weg als den der Gewalt gibt?«

»Unter günstigen Umständen: ja. Aber es herrschen selten günstige Umstände. Sie veränderten sich unter den Griechen und Syrern. Die griechischen Eroberer staunten über die vielen freien Kleinbauern bei uns. 124 Aber sie respektierten unsere Traditionen nicht. Alles eroberte Land betrachteten sie als ihr Eigentum, alle auf ihm Lebenden als ihren Besitz. Nur in ihren Städten gaben sie einer kleinen Gruppe von Bürgern die Freiheit. Auch in unserem Land wollten sie solche Verhältnisse einführen. Einigen reichen Juden erlaubten sie, in Jerusalem eine freie griechische Stadt zu gründen. Mit der Übernahme griechischer Lebensform sollten sie ihre Religion mit dem griechischen Glauben verschmelzen: Unser Tempel wurde damals dem Zeus gewidmet! Dagegen erhob sich ein Aufstand auf dem Land. Mit dem Glauben an Gott stand die Freiheit aller auf dem Spieclass="underline" die Freiheit und die Lebenschancen vieler kleiner Bauern. 125 Seitdem wissen wir: Wenn wir den Glauben an Gott aufgäben, hätten wir kein Mittel mehr, uns gegen die Unfreiheit zu wehren, unter der alle umliegenden Völker leben. Nur der Respekt vor unseren religiösen Traditionen hindert die Römer bis heute, alle Freiheiten zu beseitigen. Und deshalb wehren wir uns so fanatisch gegen jeden Angriff auf unseren Glauben.«

»Aber wären jetzt nicht wieder Zeiten, die eine Reform verlangen? Wie unter Nehemia?«

»Ich halte das für eine Illusion! Ohne den Druck der Gewalt wird sich in diesem Land nichts ändern! Du siehst doch, wie die Römer immer zielstrebiger unser Land in ihr Reich eingliedern: Zuerst ließen sie es noch durch unsere eigenen Herrscher regieren. Dann ersetzten sie unsere Fürsten durch die Herodäer, die den Römern ihre ganze Macht verdanken. Schließlich übernahmen sie in Judäa und Samarien selbst die Regierung. Zwanzig Jahre lang respektierten sie unsere religiösen Traditionen. Jetzt aber versuchen sie, die Sonderstellung des Tempels in Frage zu stellen! Sie lassen heidnische Münzen prägen! Sie bringen Kaiserbilder nach Jerusalem! Schritt für Schritt ebnen sie alles ein, was uns von anderen Völkern trennt. Bald wird niemand mehr sagen können: Überall unterdrücken die Herrscher ihre Völker. So soll es nicht unter euch sein!‹ Vielmehr wird man sagen: Überall regieren die Römer als Wohltäter der Völker. So auch bei euch! Niemand wird dann noch Unterdrückung Unterdrückung und Ausbeutung Ausbeutung nennen. Jetzt ist daher die Stunde des gewaltsamen Widerstands! Jetzt ist nicht die Stunde des Nehemia! Jetzt ist nicht die Stunde des Jesus von Nazareth.«

»Aber auch Jesus will, daß sich die Dinge verändern!«

»Das ist es gerade: Er weckt die Hoffnung, es könne sich etwas verändern ohne Widerstand und Blutvergießen! Er ist schlimmer als die, die sagen, man müsse sich in alles schicken! Er will gleichzeitig Veränderung und Frieden – das ist eine Illusion! Eine gefährliche Illusion!«

»Aber habt nicht auch ihr Illusionen? Hat Simon vielleicht erkannt, daß mit eurer Methode nichts besser wird? Hat er sich Jesus angeschlossen, weil es der einzige Weg schien, aus diesen Höhlen herauszukommen?«

»Simon ist ein Problem. Wenn sein Beispiel Schule macht, werden uns noch viele verlassen. Deswegen haben einige vorgeschlagen, wir sollten ihn als Verräter umbringen!«

»Um Gottes willen!«

»Ich habe es verhindert.«

Barabbas hatte es leise gesagt. In mir aber löste es eine tiefe Bewegung aus. Dankbarkeit und Sympathie strömten in die Gleichgültigkeit der Nacht. Alles schien auf uns zu blicken, als hätte das Universum ein Interesse daran, ein Leben zu retten. Erwartete nicht alles, daß ich auch Barabbas hier herausholte?

»Barabbas – ich bitte dich: Hör mit diesem Höhlenleben auf! Du brauchst ja nicht den Weg Simons zu gehen. Es gibt noch andere Wege!«

»Das ist nicht so leicht: Wenn ich hier abhaue, gibt es niemanden mehr, der verhindert, daß sogenannte Verräter umgebracht werden! Mit anderen Worten: Sie werden versuchen, mich umzubringen. Sie brauchen es nicht einmal selbst zu tun. Sie brauchen nur an die Behörden zu verraten, daß ich einen römischen Soldaten und einen Großgrundbesitzer getötet habe! Ich muß hier bleiben.«

Wir mußten aufbrechen, um vor Tagesanbruch zurückzugelangen. Bevor wir in die Höhle stiegen, flüsterte ich Barabbas zu: »Wie es auch kommt, ich werde dir helfen. Du könntest in die Diaspora verschwinden! Du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde dir immer helfen. Ich verspreche es dir!«

Wir kletterten vorsichtig zurück, ohne bemerkt zu werden. Ich legte mich nieder, fand aber keinen Schlaf. Wieder jagten wirre und unzusammenhängende Bilder durch meine Schlaflosigkeit. Aber allmählich ordneten sie sich. Immer klarer trat mein Dilemma hervor.

Da reiste ich für die Römer durchs Land. Innerlich hatte ich ihnen jede Loyalität aufgekündigt. Ich wollte das Schicksal meines Volkes über die römischen Interessen stellen. Hier fand ich nun eine Gruppe, die sich ganz mit den Interessen unseres Volkes identifizierte – und die mich genauso schlecht behandelte wie die Römer. Was war hier anders als bei Pilatus? Ich sah nur Erpressung und Gegenerpressung, Unterdrückung und Gegendruck, Terror von oben und unten!

Es gab auf beiden Seiten verständige Menschen. Metilius war kein Unmensch. Konnten solche römische Beamte nicht Frieden schaffen? Konnten auch sie nur bestenfalls Unterdrückung weise organisieren, so daß unnötiges Leid vermieden wurde? Konnte Politik mehr erreichen? War Metilius eine Ausnahme?

Und Barabbas: War nicht auch er eine Ausnahme? Stand er nicht allein mit seinen Ideen? Auch er wollte nur ein Minimum an Gegengewalt, nur ein Minimum an Terror – und doch konnte er sich den unheimlichen Konsequenzen des einmal eingeschlagenen Wegs nicht entziehen!

Zwischen zwei Fronten mußte ich meinen Weg gehen. Ich war weder hier noch dort zu Hause. Da sprach ich zu Gott: 126

Herr, mein Gott,

wie kann ich mir selbst treu bleiben?

Ich komme auf schiefe Bahnen,

wohin ich auch gehe.

Könnte ich reden wie andere,

dann spürte ich keinen Schmerz!

Sie behaupten,

die Welt sei so eingerichtet,

daß nur Gewalt und Unterdrückung zum Ziel kommen!