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Und ich will dich loben und preisen

in der Gemeinde!« 10

Ich zählte die Tage an den kargen Essensrationen, die man mir regelmäßig zuschob. Die erste Woche verstrich. Nichts tat sich. Die zweite Woche verstrich. Sie schien mir wie ein Jahr. Endlich, in der dritten Woche wurde ich herausgeholt.

Wollte man mich freilassen? Ich schöpfte Hoffnung. Zunächst ging es durch ein Labyrinth von Gängen. Dann wurde ich in einen großen Raum geschoben. Ich stand geblendet vom Licht, das durch die Fenster hereinflutete. Allmählich erkannte ich Einzelheiten. Vor mir stand ein Richterstuhl auf erhöhtem Podest. Auf ihm saß ein kleiner Mann. Er trug eine kostbare weiße Toga mit Purpurstreifen. An seiner Hand glänzte ein goldener Ring – Zeichen dessen, daß er römischer Ritter war. Der Soldat, der mich hereingeführt hatte, flüsterte mir zu: Der Präfekt. Das also war Pontius Pilatus, der Präfekt von Judäa und Samarien. 11

Ein Verhör an höchster Stelle. Hier mußte sich mein Fall entscheiden. Wenn nur nichts von Barabbas rausgekommen war!

Pilatus las in einer Rolle, als ich den Raum betrat. Rechts und links von ihm standen zwei Soldaten der Leibgarde. Ein Schreiber führte Protokoll. Ohne seinen Blick zu heben, begann Pilatus:

»Andreas, Sohn des Johannes, ich habe das Protokoll des Verhörs gelesen. Du behauptest, nur zufällig in die Demonstration gegen mich hineingeraten zu sein. Wir haben inzwischen Informationen über dich eingeholt. Wir haben sehr viel erfahren. Warum hast du uns Wichtiges verschwiegen?«

»Ich habe keine Ahnung, was noch besonders wichtig gewesen wäre«, sagte ich zögernd.

»Es ist wichtig.«

Er schaute mich unbeeindruckt an und fuhr mit monotoner Stimme fort:

»Es fehlt etwas in deinem Lebenslauf.«

»Ich weiß nicht, was die römische Behörde noch interessieren könnte.«

»Wo warst du nach Abschluß der Grammatikschule?« 12

Aha, das war es also! Irgendjemand hatte mir einmal gesagt: Vor der Staatspolizei die Wahrheit sagen, aber möglichst wenig von ihr. Also sagte ich:

»Ich war in der Wüste bei einem Asketen, einem gewissen Bannos, – ein Jahr lang.«

»So – und da hast du Askese getrieben und sonst nichts?«

»Ich wollte den Weg zum wahren Leben finden. Ich habe das Gesetz unseres Gottes studiert.«

»Warum hast du das verschwiegen?«

»Warum sollte ich dies Jahr erwähnen? Es war eine rein religiöse Angelegenheit.«

»Diese ›rein religiöse Angelegenheit‹ erlaubt auch andere Deutungen. Erstens: Du warst ein Jahr bei den Widerstandskämpfem untergetaucht. Zweitens: Du wirst bei einer Demonstration gegen den römischen Präfekten inhaftiert. Drittens: Diese Demonstration wird von einigen Scharfmachern aus dem Untergrund gelenkt.«

»Soll ich etwa dieser Scharfmacher und Drahtzieher sein? Das ist Unsinn!«

»Aber es ist möglich.«

»Ich war in der Wüste, um in der Einsamkeit nachzudenken. Nicht jeder, der das normale Leben zeitweise hinter sich läßt, ist ein Unruhestifter und Terrorist. Ich bin für den Frieden.«

»Du hast deinen Wüstenaufenthalt verschwiegen. Das ist verdächtig.«

Ich kam ins Schwitzen. Die Haare klebten auf meiner Stirn. Meine Kleider stanken. Drei Wochen hatte ich sie nicht wechseln können. Man hatte mir nicht gestattet, mich zu waschen. Äußerlich mußte ich ein jämmerliches Bild abgeben. Aber auch in mir geriet alles durcheinander. Ich war zwar wirklich – wie viele andere – aus religiösen Gründen in der Wüste gewesen, um dort in der Einsamkeit einer Oase das Leben zu durchdenken und nach Gottes Willen zu fragen. 13 Aber ich hatte dort auch Barabbas kennengelemt. Ob Pilatus davon wußte? Der aber wiederholte nur:

»Das alles ist sehr verdächtig!«

»Alles wird verdächtig, wenn man es mit mißtrauischen Augen ansieht. Ich bin nur durch Zufall in die Demonstration hineingeraten. Ich habe ein gutes Gewissen. Deswegen bin ich auch nicht wie alle anderen weggelaufen«, beteuerte ich.

Pilatus wirkte noch immer völlig teilnahmslos. Was wollte er von mir?

»Ich könnte ein Gerichtsverfahren einleiten«, sagte er nach einer kurzen Pause.

»Man wird mich freisprechen müssen!«

»Vielleicht. Aber ich könnte dich nach Rom zur weiteren Untersuchung schicken.«

»Auch dort wird man mich freisprechen.«

»Das dauert zwei Jahre. Zwei Jahre Gefängnis wären dir sicher!« Er sah mich an und lächelte vielsagend.

Worauf wollte er hinaus? Er konnte nicht jeden Verdächtigen nach Rom schicken. Dann hätte er halb Palästina aufs Schiff verfrachten müssen. Andererseits stand fest, daß er mir schaden konnte, unabhängig davon, ob ich schuldig gesprochen würde oder nicht. Pilatus fuhr fort:

»Ich mache dir ein faires Angebot. Du bist sofort frei, wenn du dich bereit erklärst, uns Material über bestimmte religiöse Bewegungen im Land zu liefern.«

»Das ist Erpressung!«

In mir kochte es vor Wut und Empörung. Ich hätte Pilatus ins Gesicht spucken mögen. Dieser Mensch versuchte, mich schamlos zu erpressen und sprach von Fairneß.

»Sagen wir, es ist ein Geschäft, das auf gegenseitigen Interessen beruht.«

»Ich will nicht spionieren.«

»Das Wort ›Spion‹ sollten wir in diesem Zusammenhang nicht benutzen. Sprechen wir lieber von ›recherchieren‹. Du sollst niemanden anzeigen oder denunzieren.«

Wie zynisch Pilatus redete! Als wüßte er nicht, daß es auf Denunziation hinausliefe, wenn man über eine Gruppe von Menschen berichtet, ihre Ideen seien nicht im Sinne der römischen Besatzung. Ich beherrschte mich und versuchte so ruhig wie möglich zu sagen:

»Keinem meiner Landsleute wird der Unterschied zwischen Spionieren und Recherchieren einleuchten.«

»Wir würden dich als -«, Pilatus wandte den Kopf etwas zur Seite. Dann schien er das richtige Wort gefunden zu haben,»- als Berater in religiösen Fragen betrachten.«

Ich schwieg.

»Gut, wie du willst! Dann werden wir eben ein Verfahren gegen dich in Gang setzen und deine Zeit in der Wüste – oder wo immer du warst – unter die Lupe nehmen!«

»Also doch Erpressung!«

Hatte Pilatus etwas über meine Beziehungen zu Barabbas herausgefunden? Wozu war er fähig? Es gab böse Gerüchte über ihn, Gerüchte von Mißhandlungen und Gewalttaten. Konnte er mich nicht einfach verschwinden lassen? Konnte er nicht jederzeit falsche Aussagen gegen mich arrangieren? Konnte er mich nicht durch Folter zu jedem Geständnis bewegen? Und wenn ich nachgäbe? Aber ich wehrte mich noch mit aller Kraft gegen diesen Gedanken.

»Andreas, du bist empört. Ich verstehe dich. Du bist noch jung. Aber ich habe in einem langen Leben gelernt, daß Menschen freiwillig nur schwer zu nützlichen Handlungen zu bewegen sind. Man muß nachhelfen.«

Seine Stimme klang noch immer so distanziert und nüchtern wie am Anfang unserer Unterhaltung. Ich hatte den Eindruck, daß ihn mein persönliches Schicksal kalt ließ. Im Grunde schien es ihm gleichgültig zu sein, ob ich auf sein Angebot einging oder nicht. Und das machte mir Angst.

»Von mir aus nenne es Erpressung. Versuche es einmal von meiner Warte aus zu sehen: Ich bin in diesem Land für Frieden und Ordnung verantwortlich. Das ist eine schwere Aufgabe. Warum? Weil wir Römer ständig eure religiösen Empfindlichkeiten verletzen, obwohl wir das nicht wollen. Nimm diese Wasserleitungsaffäre als Beispiel. Meine Idee war, für Jerusalem endlich eine vernünftige Wasserversorgung bauen zu lassen. Meine besten Architekten und Bauleute sollten damit beauftragt werden. Nur, zur Finanzierung reichten die Gelder nicht aus. Experten bestätigten mir, daß für die Wasserversorgung in Jerusalem die Tempelkasse zuständig ist. 14 Geld ist in ihr genug da. Jeder Jude zahlt jährlich eine Tempelsteuer. Also trat ich an den Tempel mit dem Ansinnen heran, die Wasserleitung aus Mitteln des Tempels zu finanzieren. Völlig in Übereinstimmung mit euren Gesetzen. Was geschah? Ein paar fromme Fanatiker wittem Unheil. Sie geben die Parole aus: Kein heiliges Geld für den unheiligen Pilatus! Keinen Pfennig aus dem Tempelschatz für die Römer! Als wäre es darum gegangen, Geld für gottlose Zwecke zu beschlagnahmen! Als ginge es nicht darum, Geld für eine Wasserleitung bereitzustellen, von der der Tempel und ganz Jerusalem profitieren würden. Nun stehen wir Römer wieder als tyrannische Machthaber da, die eure religiösen Gesetze nicht beachten – und sogar den Tempelschatz plündern wollen!«