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»Genau das war auch meine Ansicht. Ich bin der Sache auf den Grund gegangen. Es gelang mir, Kontakt mit einigen Zeloten zu bekommen. Ich erfuhr von ihnen, daß Simon der Zelot zu ihnen gehört hatte, jetzt aber als Verräter galt, weil er sich Jesus angeschlossen hatte. Dieser Jesus wird nämlich von den Zeloten als Bedrohung empfunden: Er tritt für Gewaltlosigkeit ein. Er lehnt die Methoden der Zeloten ab. Gewinnt er noch mehr Anhänger unter ihnen und in der Bevölkerung, so würde das für die Widerstandsbewegung einen herben Verlust bedeuten.«

»Wenn ich dich recht verstehe, gibt es also zwei Arten von Unruhestiftern, die um dieselben Anhänger und Sympathisanten konkurrieren: auf der einen Seite die Zeloten, auf der anderen Seite Jesus?«

»Ich würde es so ausdrücken: Die Zeloten weisen auf das Problem in unserem Land. Jesus könnte die Lösung für dieses Problem sein oder genauer: Er hat mich auf eine Lösung gebracht.«

»Das mußt du mir genauer erklären.«

Metilius sah mich interessiert an. Offenbar war er ratlos, wie sich die römische Verwaltung in dieser Situation verhalten sollte. Er schien dankbar für jede Idee.

Ich holte tief Luft. Das war die Chance, auf die ich gewartet hatte. Vielleicht die einzige Chance, um Barabbas retten zu können. Alles hing jetzt davon ab, ob ich Metilius überzeugen konnte.

»Ich habe in den Dörfern Galiläas nach den Ursachen geforscht, deretwegen die jungen Leute Haus und Hof verlassen, um sich in den Bergen den Zeloten anzuschließen. Schuld daran ist die bedrängende wirtschaftliche Lage der kleinen Leute: Wenn sie sich aufgrund von Mißernten oder anderen Schicksalsschlägen verschulden müssen, können sie keine Steuern zahlen und ziehen die Flucht zu den Zeloten der Sklaverei und dem Schuldgefängnis vor. All diese jungen Leute sind nicht als Terroristen geboren, sie werden es aufgrund der Verhältnisse. Würde man ihnen eine Alternative zu ihrem terroristischen Leben anbieten, eine realistische Aussicht, wieder in ein normales Leben zurückzukehren, so würden viele sich von ihrem Banditenleben abwenden.

Ich mache daher folgenden Vorschlag, der drei Punkte umfaßt.«

Metilius war aufs äußerste gespannt. Er stützte sich mit gespreizten Händen auf dem Tisch ab und beugte sich vor, als wollte er sicher gehen, keines meiner Worte zu überhören. Ich fuhr fort:

»Erstens: Der römische Präfekt von Judäa und Samaria verkündet eine allgemeine Amnestie für Straftaten, die jemand als Mitglied einer zelotischen Bande verübt hat; die Amnestie gilt für alle, die bereit sind, ins normale Leben zurückzukehren.«

Metilius entspannte sich. Er richtete sich auf und begann wieder, unruhig auf und ab zu gehen. Aus einem kurzen Blick, den er mir zuwarf, sprach tiefe Enttäuschung. Ich wußte, daß ich verloren hatte. Trotzdem sprach ich weiter:

»Zweitens: Durch einen allgemeinen Schulderlaß wird dafür gesorgt, daß kleine Leute, die zu den Zeloten fliehen könnten, eine neue Chance erhalten.226

Drittens: Der Staat siedelt in Grenzgebieten Leute an, die ohne Land sind – vor allem ehemalige Zeloten. Diese Leute sind im Kampf geübt und können Schutzfunktionen gegen äußere Feinde übernehmen.

Nur wenn wir die eigentliche Ursache des Übels bekämpfen, können wir dem Land einen dauerhaften Frieden verschaffen.«

Nach einer Pause sagte Metilius: »Und was hat Jesus mit dieser Lösung zu tun?«

Ich antwortete: »Seine Bewegung ist ein Beweis dafür, daß eine Menge Zeloten tatsächlich bereit wären, ihr bisheriges Leben aufzugeben, wenn sie nur eine Möglichkeit dazu hätten. Der Rückweg ins normale Leben ist ihnen versperrt, sei es, weil sie etwas verbrochen haben, sei es, weil ihr kleiner Besitz inzwischen verkauft ist. Das ungebundene Wanderleben Jesu bietet ihnen eine Möglichkeit, ihr Banditenleben zu verlassen. Das Leben mit Jesus ist hart: Es setzt äußerste Bedürfnislosigkeit voraus. Wenn ehemalige Zeloten es dem Zelotendasein vorziehen, um wieviel mehr werden sie die Rückkehr in ein normales Leben begrüϐen!«

»Aber sichert ihnen dieser Jesus Amnestie und Schulderlaß zu?«

»Er kann nicht für den Staat und für die Gläubiger der Leute sprechen. Aber er sichert allen Gottes Amnestie zu. Gott erläßt alle Schuld, wenn ein Mensch umkehrt und ein neues Leben beginnt! Und er verpflichtet uns, daß wir untereinander unsere Schulden erlassen!«227

»Wanderphilosophen haben oft schöne Ideen. Aber die politische Wirklichkeit ist rauher als diese Ideen!«

»Wäre eine Amnestie nicht auch politisch geboten? Die Lage ist gespannt. Noch ist die Bevölkerung unruhig über die Todesfälle bei der Demonstration im letzten Jahr, noch hat sie sich mit der Tötung unschuldiger galiläischer Pilger nicht abgefunden, noch kann sie die Hinrichtung des Täufers nicht verwinden. Um die Lage zu entspannen, wäre ein deutliches Zeichen des guten Willens angebracht. Die Römer müssen zeigen, daß sie einen Schlußstrich unter die Konflikte der Vergangenheit ziehen wollen. Sonst eskaliert die Gewalt, und jene Kräfte im Volk erhalten Auftrieb, die meinen, Gewalt lasse sich nur durch Gegengewalt eindämmen. Bald ist Passa. Ein Fest wäre die beste Gelegenheit zur Verkündigung einer allgemeinen Amnestie für zelotische Straftaten.«

Metilius schüttelte resigniert den Kopf.

»Aber ist ein allgemeiner Schuldenerlaß nicht ganz unrealistisch? Wie soll der Staat alle Gläubiger im Lande dazu bewegen, auf die Eintreibung ihrer Schulden zu verzichten?«

»In unserem Land wäre es möglich. Wir haben ein altes Gesetz, das sagt: Alle sieben Jahre sollen alle Schulden erlassen werden.228 Dies Gesetz wird selten praktiziert, aber es existiert. Man muß es nur wieder in Kraft setzen. Darüber könnte man mit dem Hohenpriester und dem Synhedrium verhandeln. Das Synhedrium ist an einer Entspannung der Lage interessiert.«

Metilius schaute mich irritiert an: »Dein Vorschlag ist so radikal, daß ich nicht weiß, was ich sagen soll.«

»Eine Amnestie erschiene mir das Dringlichste. Sie müßte bald ausgesprochen werden, ehe neue Unruhen entstehen.«

»Nur der Präfekt selbst kann darüber entscheiden! Und auch er hat nur begrenzte Befugnisse.«

»Man sollte ihm meinen Vorschlag zumindest vorlegen.«

Metilius zögerte: »Stammen diese Ideen von Jesus?«

Ich verneinte: »Es sind meine Ideen!«

»Ich sehe eine Nähe zwischen deinen Vorschlägen und den Absichten dieses Jesus. Du willst die Gesellschaft reformieren, Jesus will den Tempel – vielleicht eure ganze Religion – reformieren. Jesus sagt: Der Tempel funktioniert nicht mehr als zentraler Ort der Sündenvergebung. Auch außerhalb des Tempels wird sie angeboten: durch Taufe oder Anschluß an ihn. Du sagst: Die Gesellschaft funktioniert nicht mehr bei einer unerträglichen Verteilung der Lasten. Wir müssen neue Wege des Schuldenerlasses suchen. Jesus bietet eine Amnestie Gottes an. Du verlangst eine Amnestie des Staates. Solche Gedanken hängen doch irgendwie zusammen.«

Da sagte ich: »Darfich mit einem Gleichnis antworten?« Ich erzählte ein Gleichnis Jesu, ließ aber jeden Hinweis auf die kommende Gottesherrschaft weg:

»Gott ist wie ein Herr, der mit den Verwaltern seiner Güter abrechnen wollte. Gleich zu Beginn brachte man ihm einen Mann, der ihm einen Millionenbetrag schuldete. Da er nicht zahlen konnte, befahl der Herr, ihn selbst mit Frau und Kindern und seinem ganzen Besitz zu verkaufen und den Erlös für die Tilgung der Schulden zu verwenden. Aber der Schuldner warf sich vor ihm nieder und bat: ›Hab doch Geduld mit mir! Ich will dir ja alles zurückzahlen. ‹ Da bekam der Herr Mitleid; er gab ihn frei, und auch die Schuld erließ er ihm.

Kaum draußen, traf dieser Mann auf einen Mitverwalter, der ihm einen geringen Betrag schuldete. Den packte er an der Kehle, würgte ihn und sagte: ›Gib zurück, was du mir schuldest!‹ Der Schuldner fiel auf die Knie und bettelte: ›Hab Geduld mit mir! Ich will es dir ja zurückgeben!‹ Aber darauf wollte sein Gläubiger nicht eingehen, sondern ließ ihn sofort ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld beglichen hätte.