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»Aber er wurde doch aus politischen Gründen hingerichtet, als Messiasanwärter?«

Metilius bestätigte: »Das stimmt. Das Orakel gegen den Tempel und seine Haltung in religiösen Fragen haben vor Pilatus keine Rolle gespielt. Pilatus hat ihn als jemanden verurteilt, der als Königsanwärter die römische Herrschaft gefährdete. Das war der entscheidende Grund.«

»Und mit dieser Anklage hat ihn der jüdische Staatsrat an die Römer ausgeliefert? Warum?«

»Die Motive des Staatsrates sind ganz deutlich: Er ist wie jede politische Instanz an der Erhaltung seiner Macht interessiert. Er weiß, daß sie begrenzt ist. Er hat seine Existenzberechtigung für uns Römer nur dadurch, daß er bessere Ruhe im Lande schafft, als wenn wir alles selbst in die Hand nehmen. Er muß also um jeden Preis Unruhen vermeiden. Das ist sein entscheidendes Interesse. Denn die Römer würden sofort eingreifen, wenn er die Lage nicht mehr kontrolliert. Notfalls würden wir den Staatsrat abschaffen.«252

»Aber war diese Befürchtung gegenüber Jesus berechtigt? War er wirklich ein Unruhestifter?«

»Vielleicht war er ganz harmlos. Aber seine Bewegung hätte leicht zu Unruhen führen können. Leute, die mit ihm vom Land nach Jerusalem zum Passa geströmt waren, haben ihn als Messias begrüßt.253 Er hat im Tempelhof die Händler gestört. Er hat die Erwartung geweckt, jetzt müsse etwas Entscheidendes geschehen. Die Herrschaft Gottes werde kommen. Die Lage war gespannt!«

»Hielt man ihn selbst gar nicht für so gefährlich?«

»Nein, gefährlich war die große Menge beim Passafest. Wir haben unsere Erfahrungen. Wegen dieser großen Menge kommt der römische Präfekt an Festtagen mit einer Kohorte zur Verstärkung der ständig anwesenden Soldaten, um von vornherein Unruhen zu dämpfen. Kennst du nicht die Geschichte von jenem Furz, der fast einen Krieg ausgelöst hätte?«254

Ich schüttelte den Kopf. Metilius erzählte: »Als sich einmal die Menge zum Fest der ungesäuerten Brote in Jerusalem versammelt und die römische Kohorte auf dem Dach der Säulenhalle um das Heiligtum Aufstellung genommen hatte – wie gesagt bewachen sie immer an Festtagen in voller Bewaffnung das versammelte Volk, damit es keinen Aufstand beginne – da erhob ein Soldat sein Gewand, bückte sich und kehrte in unanständiger Weise den Juden den Hintern zu; zugleich gab er einen entsprechenden Laut von sich. Darüber geriet das Volk in hellen Zorn und forderte mit Geschrei vom Präfekten die Bestrafung des Soldaten. Einige junge Männer, die wenig beherrscht waren, und andere aus dem Volk, die ohnehin zum Aufstand neigten, schritten zum Kampf, hoben Steine auf und begannen, auf die Soldaten zu werfen. Der Präfekt fürchtete nun, das ganze Volk wolle ihn angreifen; er ließ daher noch mehr Schwerbewaffnete anrücken. Als sich diese in die Hallen ergossen, befiel die Juden ein unwiderstehliches Erschrecken; sie wandten sich um und versuchten, aus dem Heiligtum in die Stadt zu fliehen. Die Gewalt der sich an den Ausgängen zusammengedrängten Masse war so groß, daß sie sich untereinander niedertraten und erdrückten, wobei 3000 getötet wurden.

So etwas kann jederzeit bei Festen passieren. Die Leute sind erregt. Zwar wird ihr Übermut durch die Soldaten im Zaum gehalten. Andererseits aber reizt die Anwesenheit von Soldaten erst recht die Leute auf. Besonders wenn die Soldaten antisemitische Provokationen begehen. Deshalb meine ich, der Kaiser solle diese Soldaten abziehen und gegen römische Soldaten eintauschen. Solche unnötigen Provokationen wie dieser Furz würden gewiß seltener.«

»Aber Jesus hat die Leute ja nicht in dieser Weise provoziert!«

»Diese Störungen der Opfertierverkäufer und Geldwechsler waren eine Provokation, gewiß ganz anderer Art. Aber wenn aus einem Furz fast ein Krieg entsteht, was kann dann aus einer Provokation gegen Händler im Tempelvorhof entstehen! Der jüdische Staatsrat, das Synhedrium, hat daher richtig gehandelt, als er Jesus auslieferte.«

»Hat man ihn gleich bei diesen Störungen im Tempelhof inhaftiert?«

»Nein, das wäre unklug gewesen. Das hätte erst recht zu Unruhen geführt. Wir wußten ja: an sich war dieser Jesus ganz harmlos. Aber wenn eine erregte Menge dabei war, dann konnte er unabsehbare Folgen hervorrufen. Das Synhedrium hat ihn deswegen bei Nacht und Nebel inhaftiert, als er mit seinen engsten Anhängern allein war.«

»Woher wußte man denn seinen Aufenthaltsort?«

»Ein Anhänger hat ihn gegen Geld verraten!«

Ich fragte Metilius: »Hältst du diesen Jesus für schuldig? Hat er zu Recht den Tod erlitten?«

Metilius zögerte: »Ich glaube, er war unschuldig! Er hätte vielleicht Schwierigkeiten bereitet. Aber das ist kein Verbrechen!«

»Und wer ist dann deiner Meinung nach schuld am Tod Jesu?«

Wieder dachte Metilius lange nach: »Es ist falsch, nach Schuldigen zu suchen. Vielleicht ist es überhaupt falsch, nach einer Schuld zu fragen. Sein Tod hat viele Ursachen. Eine Ursache sind die Spannungen zwischen Syrern und Juden. Ohne den Antisemitismus in den römischen Kohorten bis hin zum Präfekten wäre alles anders verlaufen. Ursache sind die Spannungen zwischen Juden und Römern. Ohne die Angst der Römer vor messianischen Unruhen wäre Jesus nicht inhaftiert worden. Ursache sind ferner Spannungen zwischen Stadt- und Landbevölkerung: Vielleicht hätte das Jerusalemer Volk den andern freigebeten, wenn es nicht gegenüber allen Propheten vom Lande mißtrauisch wäre, die ihren heiligen Tempel angreifen. Ursache sind aber auch die Spannungen zwischen Aristokratie und einfachem Volk: Die Aristokratie will ihre Macht aufrechterhalten. Deswegen liefert sie verdächtige Unruhestifter an die Römer aus. Und sie will die Juden beherrschen. Deshalb wacht sie argwöhnisch über dem Gesetz, das ihre Einkünfte und Macht begründet. Alles kommt hier zusammen: Dieser Jesus ist zwischen die Räder geraten. Er wurde von den Spannungen zerrieben, unter denen das ganze Volk leidet.«

»Aber hat nicht Pilatus die Hauptverantwortung? Ist er nicht schuld?«

»Wenn man nach einem bestimmten Verantwortlichen sucht, dann ist es Pilatus. Er hat das Urteil gefällt. Er ist im juristischen Sinne verantwortlich.«

»Warum hat er ihn verurteilt? Warum hat er ihn nicht als einen Wirrkopf laufen lassen?«255

»Ich glaube, Pilatus hatte Angst, daß ihn all diese Spannungen und Konflikte erdrücken würden. Er zog es vor, Jesus sterben zu lassen, um selbst zu überleben.«

»Meinst du, daß er erfolgreich sein wird? Daß er jetzt unbesorgt weiterregieren kann?«

Metilius zuckte mit den Achseln: »In diesem Land ist noch viel möglich. Wie oft habe ich meine Einschätzung der Situation ändern müssen! Wie viel mußte ich hinzulernen! Ich wage keine Voraussagen mehr. Ich bin noch nicht einmal sicher, daß die Sache mit Jesus jetzt ausgestanden ist.«

»Was soll denn noch kommen, wo er doch tot ist?«

»Er hat Anhänger. Auch nach dem Tod Johannes des Täufers dachte man zuerst: Jetzt ist die Sache erledigt. Aber dann trat Jesus auf.«

»Weißt du irgend etwas über seine Anhänger?«

»Sie haben sich in Jerusalem versammelt. Sie glauben, Jesus sei nicht tot. Sie wollen ihn in Visionen lebendig gesehen haben!«

»Nach dem Tod des Täufers sagten auch einige: Jesus sei der von den Toten erstandene Täufer.«

»Dann würde das traurige Spiel wieder von vorne beginnen! Aber diese Anhänger glauben nicht, daß er ins Leben zurückgekehrt ist, sondern zu Gott. Gott habe ihn von den Toten erweckt!«

»Aber das ist doch absurd!«

»Warum? Es ist nicht absurder als der Glaube an Gott, der die Welt in jedem Augenblick aus dem Nichts erschafft. Ich muß dir gestehen: Als ich dich nach der Schöpfung aus Nichts fragte, hatte ich schon im Hinterkopf diese Frage nach Jesus. Kann es so etwas geben: Die Neuschaffung eines Menschen aus dem Tod? Gibt es eine Schöpfung in der Gegenwart? Aber vielleicht gehen all diese Gedanken viel zu weit. Vielleicht handelt es sich nur um eine Trotzreaktion der Jünger, die den Tod ihres Meisters nicht akzeptieren können! Oder sonst irgend etwas.«