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Hanns Alverdes predigte unbeirrt weiter:»Nicht fragen: Ist dieser hier ein guter Mensch oder ein schlechter? Ist er ein Christ oder ist er keiner? Ist seine Haut weiß oder ist sie schwarz? Solche Fragen gehören ins Private. Im Geschäft heißt es: A hat das eine, B hat das andere, C braucht das eine, D braucht das andere, und alle haben sie keine Zeit, einander zu besuchen, keine Zeit oder keine Lust. Geschäfte aber kann man auch mit dem Feind machen, man braucht nur jemanden, der sie für einen abwickelt. Wenn dir der Feind die Kugeln verkauft, die du zu deiner Verteidigung gegen ihn brauchst, kauf sie ihm ab, bezahle ihn anständig, du nimmst ihm damit einen Grund, gegen dich Krieg zu führen. Und wenn er dir so sehr zuwider ist, daß du ihm nicht in die Augen schauen möchtest, engagiere einen Scout, der die Verhandlungen für dich führt. Die Franzosen und die Engländer, die Portugiesen und die Spanier, die Holländer und die Belgier, mein Gott, sie alle plagen sich mit ihren Kolonien ab, verprügeln die schwarzen Hintern, anstatt ihnen Hosen aus Manchester oder Paris oder Antwerpen anzupassen. Was bringt’s am Ende? Wenig. Seien wir ehrlich: heutzutage nur noch wenig. Mühe, Sorge, bisweilen Blut und einen recht matten Schimmer Ehre. Vor allem aber Haß und Aufruhr. Wir Deutschen in Afrika müssen uns ein Beispiel an den Juden in der Welt nehmen: nirgends sich einmischen, überall mitmischen. Sollen die großen Herren der Welt sich ruhig zusammensetzen, mit Lineal und Bleistift bewaffnet, und diesen Kontinent unter sich aufteilen!«faßte er, auf die internationale Kongo-Konferenz anspielend, seine Rede zusammen.»Ich bin ein deutscher Scout, und als solcher kenne ich keine Grenzen. Ich handle mit allen und mit allem.«

Nicht daß sich der Direktor von der Begeisterung seines Gastes anstecken ließ; aber das Heimweh und die Einsamkeit und der Teufel der Organisationslosigkeit, der alle Mühe in Müdigkeit untergehen ließ wie in einem Sumpf, hatten ihn restlos resignieren lassen, so daß er inzwischen in der Lage war, die Dinge realistisch zu sehen. Und realistisch betrachtet, gab es in der Rede des jungen Mannes nichts, was seinen Widerspruch erregte.

«Daß der Deutsche der Jude Afrikas ist«, brummte er,»das gefällt mir. Sagen Sie es nur niemandem weiter.«

Alverdes hatte, was die Lage der deutschen Kolonien in Afrika betraf, recht: Friede war mehr als ein ethisches Postulat, er war ein politisch lebensnotwendiges Programm. Die deutschen Handelsgesellschaften waren lang bar jeden Schutzes durch das Reich gewesen. Bismarck im fernen Berlin hatte sich heftig gegen die Forderungen der deutschen Handelskammern gewehrt, die in Afrika geregelte Handelskolonien errichten wollten. Er hatte nicht an eine Realisierung von Profiten irgendwelcher Art, die aus diesem Stück Erde gewonnen werden könnten, geglaubt. Nur um einem deutschen Minderwertigkeitsgefühl entgegenzusteuern (war auf Kaiser Wilhelm II. gemünzt), rentierten sich Investitionen und Verwaltungsaufwand nicht, war seine Rede gewesen. Jeder Mann, der diesen Kontinent kannte, wußte, daß die Portugiesen und Belgier im Norden und die Engländer und Holländer im Süden die in jeder Hinsicht profitabelsten Ländereien bereits unter sich aufgeteilt hatten. Die noch freien Streifen dazwischen bestanden zum größten Teil aus Wüste. — Erst nach Bismarcks Entlassung waren den Weltmachtsgelüsten des Kaisers die Zügel genommen. Dieser Teil Afrikas wurde ein Teil des Deutschen Reiches.

Wenige Monate nach diesem Gespräch wurde der» Direktor «entlassen. Der neue Landeshauptmann, wie der Reichskommissar nun genannt wurde, war Major Leutwein. Die Gebäude der deutschen Kolonialgesellschaft in Angra Pequena fand er» unmöglich«, er verlegte sein Quartier weiter ins Landesinnere nach Otjimbingwe. Dort mietete er von der Rheinischen Mission deren Augustineum als Büro. Er errichtete die erste deutsche Militärstation.

Hanns Alverdes wurde seine rechte Hand. Leutwein gefielen die Ansichten dieses jungen Mannes, seine Art: Enthusiasmus gepaart mit Gelassenheit — einer Gelassenheit, die manchmal sogar Züge von Gleichgültigkeit und Phlegma zeigte, so als setzte er in jugendlichem Feuer Taten, interessiere sich aber nicht für die Folgen.

Die praktischen Fähigkeiten von Hanns Alverdes lernte Leutwein bei einer Inspektionsreise in den Süden des Landes kennen. Bei Osona gerieten sie — Leutwein, sein Sekretär Nels, Alverdes und der Polizeimeister von Goldammer — in eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Eingeborenenstämmen. Der Landeshauptmann und seine Männer warteten zu Pferd abseits des Feldes, nur symbolisch Deckung nehmend hinter einigen mageren Bäumchen, bei ihnen Alverdes. Nels und von Goldammer drängten darauf zu verschwinden, bevor sie entdeckt würden. Die beiden waren überzeugt, die halbnackten schwarzen Männer, die dort unten mit Speeren und Knüppeln aufeinander losgingen, würden sich sofort einig sein und sich zusammentun, wenn sie Weiße sähen.

Alverdes dagegen riet Leutwein abzusteigen, aus dem Schatten der Bäume zu treten, sich frei drei Schritte neben die Pferde zu stellen, die Arme zu verschränken, sich zu zeigen und zu warten.»Wir werden Vorteil daraus ziehen«, sagte er und ritt mit erhobenen Armen und laut rufend hinunter in die Senke, auf das staubige Durcheinander zu.

Die drei Deutschen oben auf dem Hügel, die sich abwechselnd das Fernglas reichten, sahen, wie ihr Landsmann in dem hellen Khakianzug mit den pfauenfedergeschmückten Häuptlingen verhandelte. Sie sahen, wie sich die Krieger nach verschiedenen Seiten zurückzogen. Und sie sahen, wie Alverdes mit den beiden Häuptlingen, die links und rechts von seinem Pferd gingen — während er ritt! — , den Hügel heraufkam.»Ein gutes Geschäft!«hörten sie ihn rufen.»Ein gutes Geschäft!«

Das Geschäft, das Alverdes den Häuptlingen Maherero vom Stamm der Herero und Hendrik Witbooi, dem» Kapitän «der Nama, vorgeschlagen hatte, war von verblüffend kindlicher Einfachheit: Die Deutschen würden Sorge tragen, daß alle Verletzten des Gefechts wieder gesund und stark würden; dafür sollten die Häuptlinge versprechen, für die Zeit der Genesung Frieden zu halten. Und ebenso habe es bei allen weiteren Konflikten zu geschehen.

«Und was schaut für das Deutsche Reich dabei heraus?«fragte Leutwein.

Das schaute dabei heraus: Witbooi, der Angreifer, versprach am selben Abend (tatsächlich am Lagerfeuer) feierlich, in alle Zukunft deutsche Staatsangehörige unbehelligt durch sein Land ziehen zu lassen. Maherero unterzeichnete sogar einen Vertrag mit dem Deutschen Reich. Darin verpflichteten sich die Herero, keinem Angehörigen einer anderen Nation größere Rechte und Vergünstigungen zu gewähren als den Deutschen. Auf alle Waren sollten die Herero deutschen Händlern Option geben. (»Auch Land ist Ware!«— fügte Leutwein dem ansonsten von Alverdes verfaßten Text hinzu.) Das Deutsche Reich werde sich im Gegenzug auch im Land der Herero an die deutschen Gesetze halten und die Herero mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor Übergriffen anderer Stämme oder Nationen schützen. Wie das Deutsche Reich letzteres bewerkstelligen wollte, wo doch die deutsche Schutzmacht zu dieser Zeit inklusive Polizeimeister von Goldammer aus exakt einundzwanzig Mann bestand, wurde nicht vermerkt. Warum auch! Kapitän Maherero konnte zwar ein klein wenig lesen und schreiben, aber nur auf holländisch. Der Vertrag aber war in Deutsch gehalten. Wie sich später herausstellte, wußte Maherero in keinem Augenblick, was die Prozedur bedeutete. Er meinte, es handle sich um ein» exotisches «Ritual, eine Art Glückszauber. Er orientierte sich lediglich an dem freundlichen, ehrlichen Gesicht von Hanns Alverdes. — Und Hanns Alverdes meinte es ja auch ehrlich, und seine Freundlichkeit war nicht gespielt. Das Ergebnis, sagte er sich, würde seine Ideen befördern. Und nur darauf kam es schließlich an.