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Einer ihrer Besitzer, mein Ururgroßvater, der vor ungefähr zweihundertundfunfzig Jahren lebte, wurde bei einem Besuche, den er in England machte, mit einem Dichter bekannt, der zwar nichts weniger als Plagiarius,[204] aber ein desto größerer Wilddieb war und Shakespear[205] hieß. Dieser Dichter, in dessen Schriften jetzt, zur Wiedervergeltung vielleicht, von Engländern und Deutschen abscheulich gewilddiebt wird, borgte manchmal diese Schleuder und tötete damit so viel von Sir Thomas Lucys Wildbret, dass er mit genauer Not dem Schicksale meiner zwei Freunde zu Gibraltar entging. Der arme Mann wurde ins Gefängnis geworfen,[206] und mein Ältervater bewirkte seine Freiheit auf eine ganz besondere Art. Die Königin Elisabeth,[207] die damals regierte, wurde, wie Sie wissen, in ihren letzten Jahren ihrer selbst überdrüssig.[208] Ankleiden, Auskleiden, Essen, Trinken und manches andere, was ich nicht zu nennen brauche, machten ihr das Leben zur unerträglichen Last. Mein Ältervater setzte sie in den Stand, alles dies nach ihrer Willkür ohne oder durch einen Stellvertreter zu tun. Und was meinen Sie, dass er für dieses ganz unvergleichliche Meisterstück magischer Kunst sich ausbat? – Shakespears Freiheit. – Weiter konnte ihm die Königin nicht das geringste aufdringen. Die ehrliche Haut[209] hatte diesen großen Dichter so liebgewonnen, dass er gern von der Anzahl seiner Tage etwas abgegeben hätte, um das Leben seines Freundes zu verlängern.

Übrigens kann ich Ihnen, meine Herren, versichern, dass die Methode der Königin Elisabeth, gänzlich ohne Nahrung zu leben, so originell sie auch war, bei ihren Untertanen sehr wenig Beifall gefunden hat, am wenigsten bei den beef-eaters,[210] wie man sie gewöhnlich noch heutigestages nennt. Sie überlebte aber selbst ihre neue Sitte nicht über achthalb Jahr.

Mein Vater, von dem ich diese Schleuder kurz vor meiner Reise nach Gibraltar geerbt habe, erzählte mir folgende merkwürdige Anekdote, die auch seine Freunde öfters von ihm gehört haben und an deren Wahrheit niemand zweifeln wird, der den ehrlichen Alten gekannt hat.»Ich hielt mich«, sagte er,»bei meinen Reisen geraume Zeit in England auf und ging einstens an dem Ufer der See unweit Harwich[211] spazieren. Plötzlich kam ein grimmiges Seepferd in äußerster Wut auf mich los. Ich hatte nichts als die Schleuder bei mir, mit der ich dem Tier so geschickt zwei Kieselsteine gegen den Kopf warf, dass ich mit jedem ein Auge des Ungeheuers einschlug. Darauf stieg ich auf seinen Rücken und trieb es in die See; denn in demselben Augenblick, in dem es sein Gesicht verlor, verlor es auch seine Wildheit und wurde so zahm als möglich. Meine Schleuder legte ich ihm statt des Zaumes in den Mund und ritt es nun mit der größten Leichtigkeit durch den Ozean hin. In weniger als drei Stunden kamen wir beide an dem entgegengesetzten Ufer an, welches doch immer eine Strecke von ungefähr dreißig Seemeilen ist. Zu Helvoetsluys verkaufte ich es für siebenhundert Dukaten an den Wirt zu den drei Kelchen, der es als ein äußerst seltenes Tier sehen ließ und sich schönes Geld damit machte.«– Jetzt findet man eine Abbildung davon im Buffon. – »So sonderbar die Art meiner Reise war, «fuhr mein Vater fort,»so waren doch die Bemerkungen und Entdeckungen, die ich auf derselben machte, noch viel außerordentlicher. Das Tier, auf dessen Rücken ich saß, schwamm nicht, sondern lief mit unglaublicher Geschwindigkeit auf dem Grunde des Meeres weg und trieb Millionen von Fischen vor sich her, von denen viele ganz verschieden von den gewöhnlichen waren. Einige hatten den Kopf in der Mitte des Leibes, andere an der Spitze des Schwanzes. Einige saßen in einem großen Zirkel beisammen und sangen unaussprechlich schöne Chöre; andere baueten aus bloßem Wasser die prächtigsten durchsichtigen Gebäude auf, die mit kolossalischen Säulen umgeben waren, in welchen eine Materie, die ich für nichts anders als für das reinste Feuer halten konnte, in den angenehmsten Farben und in den reizendsten wellenförmigen Bewegungen hin und wieder lief. Verschiedene Zimmer dieser Gebäude waren auf eine sehr sinnreiche und bequeme Art zur Begattung der Fische eingerichtet; in andern wurde der zarte Laich gepflegt und gewartet; und eine Reihe weitläuftiger Säle war zur Erziehung der jungen Fische bestimmt. Das Äußere der Methode, die hier beobachtet wurde – denn das Innere derselben verstand ich natürlicherweise ebensowenig als den Gesang der Vögel oder die Dialogen der Heuschrecken —, hatte so auffallende Ähnlichkeit mit dem, was ich in meinem Alter in den sogenannten Philanthropinen[212] und dergleichen Anstalten eingeführt fand, dass ich ganz gewiß bin, einer ihrer angeblichen Erfinder hat eine der meinigen ähnliche Reise gemacht und seine Ideen mehr aus dem Wasser geholt als aus der Luft gegriffen. Übrigens sehen Sie aus dem wenigen, was ich Ihnen gesagt habe, dass noch manches ungenützt, noch manche Spekulation[213] übrig ist. – Doch ich fahre in meiner Erzählung fort.»

«Ich kam unter andern über eine ungeheuere Gebirgkette hin, die wenigstens so hoch war als die Alpen. An der Seite der Felsen war eine Menge großer Bäume von mannigfaltiger Art. Auf diesen wuchsen Hummer, Krebse, Austern, Kammaustern, Muscheln, Seeschnekken usw., von denen bisweilen ein einziges Stück eine Ladung für einen Frachtwagen war, und an der kleinsten hätte ein Lastträger zu schleppen gehabt. – Alles, was von der Art an die Ufer geworfen und auf unsern Märkten verkauft wird, ist elendes Zeug, das das Wasser von den Ästen abschlägt, ungefähr so wie das kleine schlechte Obst, das der Wind von den Bäumen herunterweht. – Die Hummerbäume schienen am vollesten zu sitzen; die Krebs- und Austerbäume aber waren die größten. Die kleinen Seeschnecken wachsen auf einer Art von Sträuchen, die immer an dem Fuß der Austerbäume stehen und sich fast so wie der Efeu an der Eiche an ihnen hinaufwinden. Auch bemerkte ich eine sehr sonderbare Wirkung eines untergegangenen Schiffes. Dies war, wie mir schien, gegen die Spitze eines Felsen, der nur drei Klafter unter der Oberfläche des Wassers war, gestoßen und beim Sinken umgeschlagen. Dadurch stürzte es auf einen großen Hummerbaum und stieß verschiedene Hummer ab, die auf einen darunterstehenden Krebsbaum fielen. Weil die Sache nun wahrscheinlich im Frühjahre geschah und die Hummer noch ganz jung waren, so vereinigten sie sich mit den Krebsen und brachten eine neue Frucht hervor, die mit beiden Ähnlichkeit hat. Ich versuchte der Seltenheit wegen ein Stück davon mitzunehmen, aber teils war es mir zu beschwerlich, teils wollte mein Pegasus[214] nicht gerne stillehalten; auch hatte ich schon über die Hälfte meines Weges zurückgelegt und war gerade in einem Tale wenigstens fünfhundert Klafter unter der Meeresfläche, wo ich den Mangel der Luft allmählich etwas unbequem fand. Übrigens war meine Lage auch in andern Rücksichten nicht die angenehmste. Ich begegnete von Zeit zu Zeit großen Fischen, die, soviel ich aus ihren offenen Rachen abnehmen konnte, eben nicht ungeneigt waren, uns beide zu verschlingen. Nun war meine arme Rosinante[215] blind, und es beruhte einzig auf meiner vorsichtigen Führung, dass ich den menschenfreundlichen Absichten dieser hungrigen Herren entging. Ich galoppierte also weidlich[216] zu und suchte so bald wie möglich wieder trockenes Land zu gewinnen.»

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204

Plagiarius m (veraltet) = Plagiator m

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205

Shakespeare = William Shakespeare (1564–1616) – englischer Dichter

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206

ins Gefängnis werfen – бросать, сажать в тюрьму

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207

gemeint wird Königin Elisabeth I Tudor (1533–1603)

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208

etw. (Gen) überdrüssig werden – надоедать

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209

ehrliche Haut [sein] = aufrichtig [sein], nicht lügen

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210

beef-eaters <engl.> = Rindfleischesser pl, ein Name, der – nicht selten von solchen, die gerne Rindfleisch äßen und aus ökonomischen Gründen nicht dürfen – der königlichen Garde gegeben wird

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211

Harwich – Stadt in England

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212

Philanthrop m (bildungsspr.) = Menschenfreund m

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213

Spekulation f – auf bloßen Annahmen, Mutmaßungen beruhende Erwartung, Behauptung, dass etw. eintrifft

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214

Pegasus m – geflügeltes Ross der griechischen Sage; Dichterross

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215

Rosinante f [nach dem Namen des Pferdes des Don Quichotte] (bildungsspr. scherzh. selten) – nicht sehr edles, ausgemergeltes Pferd

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216

weidlich <Adv.> (veraltend) = in kaum zu übertreffendem Maße; sehr, gehörig

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