Mit einem Schrei warf es sich kopfüber zu Boden und schlug die Arme Aber den Kopf.
Nun war auch das Kanu der Kariben im seichten Wasser angelangt. Die Kariben legten die Paddel weg. Einer von ihnen nahm einen großen Stein, der mit einem Strick aus Agavenfasern am Bug angebunden war, und warf ihn über Bord, damit das Kanu festlag. Dann nahmen die drei Krieger ihre Bogen und Kriegskeulen, sprangen aus dem Kanu und rannten ans Land.
Adlerauge sah sie näher kommen und spannte mit einem heftigen Zug seinen Bogen. Er biß die Zähne zusammen, bis sein Mund aussah wie ein schmaler Strich. Es war ihm entsetzlich, auf Menschen schießen zu müssen. Aber entsetzlicher war es wohl doch noch, wenn er zuließ, daß diese wilden Männer zwei wehrlose junge Menschen seines eigenen Volkes mit der Keule erschlugen. Er mußte schießen, es gab keinen anderen Ausweg.
Einer der Kariben kam geradeswegs auf ihn zu. Jetzt waren es nur noch fünfzehn Schritte ... zehn Schritte .. . acht ...
„Taj, vergib mir l" flüsterte Adlerauge.
Dann richtete er sich auf und ließ den Pfeil fliegen.
Der Karibenkrieger stieß einen kurzen Schrei aus, ließ seine Waffen fallen und schlug in seiner ganzen Länge hin.
Adlerauge hörte die Bogensehnen seiner Kameraden gegen das Holz klatschen und sah einen der beiden anderen Kariben zu Boden fallen. Zwei Pfeilschäfte ragten ihm aus der Brust.
Der dritte Karibe brüllte rasend auf und stürzte mit erhobener Keule auf Sägefisch zu, der gerade einen neuen Pfeil auf die Bogensehne legte. Selbst wenn Grauer Reiher und Adlerauge schußbereit gewesen wären, hätten sie ihre Pfeile doch nicht abschießen können, aus Furcht, den Häuptling zu treffen.
Sägefisch sprang zur Seite, und der erste Keulenschlag des Kariben sauste an ihm vorbei, ohne zu treffen. Als Sägefisch jedoch dem nächsten Schlag ausweichen wollte, stolperte er über einen zu Boden gefallenen Baumast und stürzte.
Mit einem Satz war der Karibe über ihm und hob die Keule zum tödlichen Schlag.
Da sprang jedoch Dummschnut aus seinem Versteck dem Feind entgegen und stieß ihm den Speer in die Brust.
Der Wilde wankte, und sein Keulenschlag hatte nur noch die halbe Kraft. Sie genügte jedoch, um den Jungen zu Boden zu strecken. Wieder hob der Karibe die Keule, aber jetzt war Sägefisch kampfbereit. Er setzte den einen Fuß blitzschnell hinter das Fußgelenk des Feindes und trat ihm mit dem anderen Fuß unter das Knie, so daß er rücklings hinschlug.
Im nächsten Augenblick war der Karibe wieder auf den Beinen. Einige Sekunden verharrte er unschlüssig, gleichsam als überlege er, welchen Feind er zuerst angreifen solle.
Dieses Zögern wurde sein Verderben. Drei Pfeile trafen ihn fast gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen, und er fiel um wie ein gefällter Baum.
Sägefisch ließ den Bogen fallen und eilte zu dem niedergeschlagenen Jungen. Dummschnut hatte sich auf die Knie erhoben und hielt sich mit beiden Händen den Kopf.
Der Häuptling schlang die Arme um ihn und half ihm auf die Beine. Dummschnut blutete aus einer Schürfwunde über dem einen Ohr und einer zweiten auf der Schulter, aber sonst schien er nicht ernstlich verletzt zu sein. Der Schlag hatte ihn von der Seite getroffen, und die Keule war gleichsam abgeglitten.
Jetzt blickte er besorgt von dem einen zum andern.
„Habe ich mich wieder dumm benommen?" fragte er mit trauriger Miene.
„Dumm? Wie ein richtiger Mann hast du dich benommen!" antwortete Sägefisch. „Mag der alte Großvater Mummel sagen, was er will, aber du hast mir das Leben gerettet, und das mindeste, was ich dir dafür geben kann, ist ein ehrenvoller Name. Feuersteinherz wird gut für einen Krieger passen, der so mutig ist wie du. Ich werde den Medizinmann bitten, daß du dich für diesen Namen vorbereiten darfst, wenn wieder Neumond wird."
Dummschnut sah aus, als traue er seinen Augen und Ohren nicht. Die Frauen hatten ihn stets ausgelacht, weil er so linkisch war und immer fürchtete, er könne etwas falsch machen; darum hatte er schließlich selber geglaubt, er sei dumm und unnütz.
Nun hatte ihn der Häuptling gelobt und ihm einen neuen Namen ausgesucht.
Einen Männernamen würde er bekommen — und was für einen! Feuersteinherz — darauf durfte ein jeder stolz sein.
Adlerauge beugte sich über den letzten Kariben und nahm ihm die Waffen und den Schmuck ab.
„Dieser Mann war ein Häuptling", sagte er. „Es ist wohl recht und billig, daß Feuersteinherz seinen Bogen, seine Keule und alle seine Halsbänder bekommt. Vielleicht wird er mit der Zeit auch ein Häuptling."
Unterdessen hatte sich das Mädchen vom Boden erhoben und sah die Fremden verwundert an.
„Ist das wirklich wahr?" fragte sie mit bebender Stimme. „Seid ihr Arowaken?"
„So ist es, kleine Schwester", antwortete Adlerauge freundlich. „Wir sind Bocaná-Arowaken aus dem Dorf am Reiherfluß, doch sind wir jetzt auf diese Inseln übergesiedelt, um in Frieden vor den Kariben leben zu können. Woher kommst du, kleine Schwester?"
„Unser Dorf lag am Langen Sandstrand auf der Insel Barú", sagte das Mädchen. „Auch wir sind vor den Kariben geflohen. Unser Floß kam in der Nacht von den anderen ab und wurde vom Wind hierher-getrieben, nach Titi-pán."
Sie zeigte auf die lange Insel.
„Wir waren unser acht auf dem Floß", fuhr sie fort. „Dann wurde meine Mutter krank und starb. Der Bruder meiner Mutter, meine Schwester und ihr Mann, meine drei jüngeren Brüder und ich haben länger als eine Mondzeit auf Titi-pán gelebt. Ich weiß nicht, wo die anderen Flöße geblieben sind, aber ich glaube, sie wollten an den Mangrovensee unten im Süden. Vor zwei Tagen überfielen uns die Wilden kurz vor Morgengrauen. Sie töteten meinen Onkel und meinen Schwager. Meine Schwester und meine beiden jüngsten Brüder nahmen sie gefangen, und seitdem haben sie Schnellfuß und mich gejagt."
Sie zeigte auf den Jungen, der scheu aus dem Gebüsch hervorschaute. „Als es gestern abend dunkel geworden war, schwammen wir nach der kleinen Felseninsel und versteckten uns dort. Lieber wollten wir uns von den Haifischen fressen lassen, als Gefangene der Kariben werden. Schließlich konnten wir es auf den Felsen in der glühenden Sonne ohne Trinkwasser nicht mehr aushalten, und so schwammen wir hierher. Das übrige wißt ihr ja."
„Wie viele Kariben sind noch auf Titi-pán und bewachen die Gefangenen?" fragte der Häuptling.
„Nur zwei. Ein alter Krieger und ein Junge, ungefähr so alt wie Feuersteinherz. Sie waren ihrer sechs, als sie kamen, aber einer von ihnen wurde im Kampf erschlagen, als sie uns überfielen."
Sägefisch gab den anderen ein Zeichen, näher zu treten.
„Adlerauge", sagte er, „geh du mit Feuersteinherz, Schnellfuß und Frosch auf die andere Seite der Insel und lehre sie den Bogen zu gebrauchen. Wir haben jetzt genug Waffen." Finster blickte er auf die Bogen und Kriegskeulen der gefallenen Kariben. „Sorgt dafür, daß unsere kleine Schwester und Schnellfuß essen und trinken und sich ausruhen können. Sobald es heute abend dunkel wird, fahren wir hinüber nach Titi-pán und greifen das Lager der Kariben an. Schnellfuß wird uns den Weg zeigen."
„Warum fahren wir nicht sogleich, Häuptling ?"
„Wir können es nicht wagen, solange es hell ist. Wenn die Wilden uns kommen sähen, würden sie vielleicht ihre Gefangenen erschlagen."
Als es fast dunkel geworden war, kamen der Häuptling und Grauer Reiher an die Stelle, wo die anderen warteten.
„Die Kariben müssen sich sicher fühlen", sagte Sägefisch, „sie haben schon Feuer angezündet. Damit sie sich nicht wundern, wo ihre Kameraden bleiben, müssen wir wohl auch ein Feuer anzünden. Es wird uns dann die Richtung zeigen, wenn wir über den Sund paddeln. Der Mond geht erst nach Mitternacht auf. Sobald das Feuer brennt, bringen wir unser eigenes Kanu zu Wasser, fahren hinüber und gehen ein ziemliches Stück von ihrem Lagerplatz entfernt an Land. Denkt daran, daß wir leise paddeln müssen, damit sie uns nicht kommen hören und Verdacht schöpfen."