Einige Tage vergingen, und schließlich wurden die Häuptlinge besorgt.
Sägefisch wollte mit seinen Leuten und den Hilfstruppen zurück zu seinem Volk, und Otter war nicht wohl bei dem Gedanken, kranke Fremde im Dorf zu haben.
Wer konnte denn wissen, ob die Krankheitsgeister nicht auch plötzlich das Eisvogelvolk anfielen?
Die Indianer wußten ja nicht, wodurch die Krankheiten entstanden. Sie glaubten, ein Mensch sei krank, weil ein böser Geist in ihn gefahren sei. Wenn es gelang, den Geist zu täuschen oder ihm den Aufenthalt zu verleiden, so daß er wieder ausfuhr, dann wurde der Mensch wieder gesund.
Nun versprach der Häuptling dem alten Medizinmann zwei seiner wertvollsten Halsbänder, wenn er die Kranken heilte, und Uhu wollte seine kräftigsten Zauberkünste versuchen.
Nach seinen Anweisungen bauten die jungen Männer auf hohen Pfählen eine kleine Hütte, ein ziemliches Stück vom Dorf entfernt, und auf einem zur Erde geneigten Baum unten am Fluß hängten sie an Stricken eine kleine Plattform auf.
Darauf wurden die Kranken an die neue Hütte getragen und vor dieser auf eine breite Bank gelegt.
Die Plattform auf dem Baum wurde mit großen Blättern bedeckt, und auf diesen Blättern tischte der Alte alle möglichen Leckerbissen auf: gebratenes Fleisch, geräuchertes Fleisch, geräucherte Fische, gekochte Maniokwurzeln, Maisbrötchen, Casabekuchen und Schalen mit Maisbier.
Einige junge Männer mußten in die Hütte hinaufsteigen und die Leiter nachziehen. Als sie sich dort oben in Sicherheit befanden, begann Uhu seine Beschwörungen zu murmeln.
Zuerst nahm er einige große Blätter und fegte mit diesen über die Kranken hinweg. Er begann am Kopf, dann folgte der Körper und die Beine, und schließlich fegte er über die Zehen hinaus. Dabei murmelte er fortwährend geheimnisvolle Sprüche.
Dieses Fegen mit den Blättern sollte bewirken, daß sich die Krankheitsgeister in den Kranken nicht wohl fühlten. Die Indianer glaubten, daß Krankheiten am besten da gediehen, wo sich Schmutz befand — und damit hatten sie recht. Darum mußten die Kranken zunächst einmal gereinigt werden.
Uhu ließ seinen Lehrling — einen jungen Indianer, der später selbst Medizinmann zu werden hoffte — einen großen Tonkessel mit heißem Kräuterwasser herbeitragen.
Mit diesem Wasser wusch der Medizinmann seine Patienten — es war so heiß, daß sie die Zähne zusammenbeißen mußten, um nicht laut zu schreien —, und nun waren sie endlich soweit, daß sie von den Krankheitsgeistern befreit werden konnten.
Der Alte stimmte den letzten seiner Beschwörungsgesänge an. Er sang den Geistern vor, dies sei kein guter Ort für sie. Es sei kein Dach über der Bank, Speisen seien auch nicht da, nur kaltes Wasser zum Trinken.
Während er sang, begann cr die Kranken zu umtanzen. In der einen Hand hielt er zwei Stöcke aus blankpoliertem, schwarzem Palmen-holz, die er abwechselnd auf den Erdboden stieß. Bei den Stöcken handelte es sich um Zauberstäbe, und indem er sie wie tanzende Füße bewegte, glaubte er, daß er die Geister zum Mittanzen zwang. Immer schneller tanzte der Alte, und jetzt begann er Verse zu singen. Sie handelten von einem vorzüglichen Ort, wo es eine Fülle guter Dinge zu essen gab. Dort hatte man eine schöne Aussicht über die Insel, dort befand sich eine breite Plattform, auf der man sich ausruhen konnte, und wenn man nicht mehr essen mochte, gab es dort Maisbier statt Wasser zu trinken. Ob die Krankheitsgeister nicht Lust hätten, ihm dorthin zu folgen und zu schmausen?
Mit jeder Runde stieß er nun die Stöcke schneller auf den Boden, aber er hatte sie heimlich in die andere Hand geschmuggelt, so daß er selber sich jetzt zwischen ihnen und den Kranken befand. Das bedeutete, daß er einen Zauberkreis um diese zog, so daß die bösen Krankheitsgeister nicht zu ihnen zurückkehren konnten.
Zuletzt tanzte er einen weiten Zauberring, in den er auch die Hütte einbezog, und dabei überredete er fortwährend die Geister, ihn doch zum Festmahl am Fluß zu begleiten.
Plötzlich schlug er eine andere Richtung ein und tanzte auf gewundenen Pfaden durch den dichten Wald auf den Baum am Fluß zu, wo die Plattform wartete.
Dort angekommen, stieg er den schräg geneigten Baum hinauf und bat die Geister, zuzulangen und sich gütlich zu tun. Mit den Stöcken ahmte er ihren Gang auf der Plattform nach.
Sobald die Krankheitsgeister nach seinen Berechnungen bequem Platz genommen und zu essen begonnen hatten, zog er an einer Liane und kippte die ganze Plattform in den tiefen, reißenden Fluß.
Wenn die bösen Geister nun auch nicht gerade ertranken, so riß sie die Strömung doch immerhin so weit mit fort, daß sie nur mit großer Schwierigkeit zurückfinden konnten.
Unterdessen war einer der jungen Männer aus der Hütte heruntergesprungen, hatte die Kranken in Hängematten gelegt und dem Lehrling des Medizinmannes geholfen, sie bis an den Rand des Hüttenbodens zu tragen. Die anderen jungen Leute zogen sie an Stricken
hinauf. Mit dem Holz der Bank, auf der die Kranken gelegen hatten, machten die beiden Gehilfen ein Feuer, und dann turnten sie wieder in die Hütte hinauf.
Die Leiter war schon vorher hinaufgezogen worden, so daß es fast unmöglich war, ohne Hilfe in die Hütte hinaufzuklettern. An jeden Pfosten stellte sich ein junger Mann und hielt einen mit der Spitze nach unten gekehrten Speer daran. Nun konnte dort niemand hinaufklettern.
Ein anderer von Uhus Gehilfen gab den Kranken aus großen Schalen Medizin zu trinken, die aus der bitteren Baumrinde gekocht war, und wusch sie abermals von Kopf bis Fuß mit Kräuterwasser.
Als der Medizinmann die Geister in den Fluß geworfen hatte, lief er schnell in den Wald hinein und begann seine Spuren unkenntlich zu machen, so daß ihm niemand folgen konnte. Sonst würde es vielleicht geschehen, daß ein erboster Krankheitsgeist hinter ihm herkam, um sich zu rächen!
Als er an einen Bach kam, wusch er die rote Pflanzenfarbe ab und bemalte sich statt dessen mit blauen Streifen. Er wandte die Außenseite seines Hüfttuchs nach innen und watete darauf ein großes Stück in dem fließenden Wasser, ehe er wieder Land betrat.
Dann begab er sich ruhig in seine Hütte. Kein rachgieriges Krankheitswesen vermochte ihn jetzt wiederzuerkennen.
Ob es nun dem bitteren Trank aus der Rinde des Cinchonabaumes oder etwas anderem zuzuschreiben war, ist schwer zu sagen, aber nach einigen Tagen waren Feuersteinherz und der Handelsmann wieder gesund. Zwei Tage später waren die Arowaken soweit, daß sie an die Küste zurückkehren konnten, aber im letzten Augenblick kam wieder etwas dazwischen.
Mit großer Sorgfalt hatte Otter zwanzig junge Männer ausgewählt, die Sägefisch auf seinem geplanten Kriegszug begleiten sollten. Es waren so viel, wie die beiden kürzlich eroberten Kanus aufnehmen konnten.
Sie rüsteten gerade zur Abreise, als von dem Strand nahe am Dorf ein langhallender Ruf ertönte.
Otter schickte einige junge Männer in einem schnellen Kanu hin, um nachzusehen, was dort los sei, und sie kehrten mit dem Bescheid zurück, eine Schar von Männern sei angekommen und wolle mit den Häuptlingen reden.
Otter schickte Boote aus, um sie holen zu lassen, und er selbst begab sich mit Sägefisch und den anderen Arowaken in die Ratshütte, um die Neuankömmlinge zu empfangen.
Es waren über zwanzig junge Leute. Die meisten von ihnen stammten aus einem anderen Dorf des Eisvogelvolkes, das eine Tagereise landeinwärts zwischen zwei flachen Seen lag. Einige der Männer kamen jedoch von den Kalkbergen. Es waren große, kräftige Männer, die lange Lanzen und Keulen mit Steinköpfen trugen. Einige waren Küstenarowaken, die Sägefisch in seiner Sprache begrüßten.
„Wo kommt ihr denn her?" fragte der Arowakenhäuptling verwundert.
„Wir waren Gefangene der Kariben", antwortete einer von ihnen. „Sie haben uns schlecht behandelt, und eines Tages ist es uns gelungen, landeinwärts zu fliehen. Schließlich gelangten wir in das Dorf zwischen den Seen, und dort waren die Leute freundlich zu uns und ließen uns bei sich wohnen. Vorgestern kam nun ein Mann aus Otters Dorf und erzählte uns von dem bevorstehenden Kampf gegen die Kariben. Da wollten wir auch dabeisein, und als wir es unseren Freunden sagten, kamen sie auch mit."