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Der Grund, weshalb sie den Kariben ausweichen wollten, war nicht Furcht vor dem Kampf. Es hätte jetzt einer größeren Anzahl Kriegskanus bedurft, um sie zu besiegen, befanden sich doch an die sechzig Bogenschützen unter ihnen. Sägefisch wollte jedoch um jeden Preis vermeiden, daß die Kariben Kunde von ihrer Fahrt bekamen und erfuhren, daß sie Meerkanus und Bogen besaßen.

Ein Teil seiner Absichten war darauf aufgebaut, daß die Feinde davon keine Ahnung hatten.

Das Wunder

Fast alle Häuptlinge und Medizinmänner der Küstenarowaken hatten sich zur Beratung versammelt. Sie saßen auf dem Sandstrand am Auslauf des großen Mangrovensees und schauten über das Meer.

Man konnte es ihnen ansehen, daß sie betrübt waren, und dazu hatten sie auch allen Grund.

Aus einem halben Dutzend von Dörfern hatten diese Menschen Hals über Kopf vor den kriegerischen Kariben fliehen müssen. Zuflucht fanden sie in diesem großen Gebiet von Brackwasser-Seen und Sümpfen, die durch einen schmalen Sund mit dem Meer verbunden waren. Hier konnten sie sich in den sich meilenweit erstreckenden Mangrovenwäldern verstecken, die größtenteils aus dem niedrigen, hellgrünen Buschwerk bestanden, das man „weiße" Mangrove nennt.

Wären die Kariben nur auf einem gelegentlichen Kriegszug vorbeigekommen, dann hätten die Arowaken hier wohnen können, bis ihre Feinde wieder davongefahren waren, um sodann in ihre Dörfer an der Küste zurückzukehren.

Aber die Kariben machten keinerlei Anstalten, weiterzufahren. Sie ließen sich in den verlassenen Dörfern nieder und blieben dort Monat für Monat wohnen.

Das machte die Lage der Arowaken immer schwieriger. Diejenigen unter ihnen, die sonst in der Hauptsache vom Ackerbau gelebt hatten, besaßen nun kein Land mehr. Das hatten ihnen die Eindringlinge weggenommen. Daher mußten sie sich nun von der Jagd und Fischerei ernähren.

Sie benötigten große Mengen von Fischen und Wildbret, um mehrere hundert Männer, Frauen und Kinder satt zu kriegen. Glücklicherweise war der See unvorstellbar fischreich, und hin und wieder bekamen sie auch ein Stück Fleisch zu essen, besonders dann, wenn es den Männern gelungen war, eine Seekuh zu harpunieren. Aber viel häufiger mußten sie sich mit Fischen und Mangrovenkrabben begnügen. Es gab jedoch auch Tage, an denen sie hungrig blieben.

Sie waren eine viel zu zahlreiche Gruppe, um sich auf diese Weise zu versorgen. Wenn sie sich in etwa zwanzig kleine Gemeinschaften aufgeteilt und über das ganze Lagunengebiet verbreitet hätten, wäre es ihnen vermutlich besser ergangen. Nun wurden die nächst gelegenen Fischplätze zu häufig aufgesucht, und das Wild verzog sich. Dadurch gerieten die Arowaken in Nahrungssorgen.

Schlimmer noch war die ständige Angst, erneut überfallen zu werden. Jeden Augenblick konnten die langen Kriegskanus der Kariben in den Sund hereingefahren kommen.

Diese Besorgnis war auch der Grund dafür, daß sie zusammenblieben und sich nicht in kleinere Gruppen aufteilten. Sie fühlten sich wesentlich sicherer, wenn sie ihrer viele waren.

In den letzten Tagen hatte sich die Spannung nun so sehr gesteigert, daß sie kaum noch zu ertragen war.

Ausgesandte Späher berichteten, in dem Dorf an der Mündung des Reiherflusses, nördlich des Mangrovensees, hätten sich zahlreiche Kariben versammelt. Elf große Kanus lägen dort auf dem Strand. Jedes von ihnen könne wenigstens zehn Bogenschützen aufnehmen.

Außerdem hatte einer der Späher einige Kariben gesehen, die Ausschau über das Meer hielten, als ob sie jeden Augenblick Verstärkung erwarteten.

Es bestand also kein Zweifeclass="underline" die Feinde bereiteten einen Überfall vor. Die Frage war nur, wann sie kommen würden.

Daher war es vielleicht gar nicht so ungewöhnlich, daß die Führer der Bocaná-Arowaken sorgenvoll dreinschauten.

Puma, der vornehmste Häuptling, erhob sich von seinem Platz und sah finster nach der Kimm hinaus.

„Weiter über das Meer können wir nicht fliehen", sagte er zu den anderen. „Wir haben nur noch zwei Möglichkeiten. Die eine besteht darin, daß wir alles, was wir nicht tragen können, hierlassen und uns landeinwärts durch die Wälder zu dem Volk begeben, das am Fuß der Kalkberge wohnt. Vielleicht läßt man uns dort ein paar Ackerstücke bestellen, die man selbst nicht braucht. Dort wären wir so weit von dem raubgierigen Karibenpack entfernt, daß wir es wagen könnten, neue Kulturen anzulegen."

„Und die andere Möglichkeit?" fragte Große Schildkröte.

„Wir bleiben hier und wehren uns, so gut wir können."

Große Schildkröte schüttelte den Kopf.

„Ja, wenn wir uns vor ihren Pfeilen schützen könnten, bis wir ihnen nahe genug wären, um unsere Speere zu werfen — dann hätten wir vielleicht eine Möglichkeit", sagte er.

„Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht", antwortete Puma. „Seht einmal her!"

Er hielt einen plumpen Schild von geflochtenen Zweigen in die Höhe, dazu eine Art Brustharnisch aus Mangrovenstecken, die mit starken Faserschnüren zusammengebunden waren.

„Wenn ein jeder von unseren Männern sich mit diesen Dingen ausrüstet, dann können wir besser den Pfeilen der Kariben widerstehen und ihnen auf den Leib rücken. Dann werden unsere Speere und Keulen das übrige tun."

Schild und Stockharnisch gingen von Hand zu Hand. Mehrere der Häuptlinge nickten zustimmend. Solche Dinge sicherten vielleicht nicht gerade den Sieg, aber sie konnten immerhin eine gute Hilfe sein. „Ich glaube, Puma hat recht", sagte Große Schildkröte schließlich. „Wenn wir landeinwärts gehen, müssen wir zunächst einmal lange Zeit Hunger leiden und kommen dann als eine Schar von Bettlern zu dem Volk an den Kalkbergen. Sie sind immer freundlich zu uns gewesen, aber vielleicht würde es ihnen nicht gefallen, wenn wir in so großer Zahl bei ihnen ankämen. Und es ist ja denkbar, daß die Kariben uns früher oder später auch dorthin folgen."

„Viele von uns würden sicherlich unterwegs verhungern. Es ist weit bis an den Fuß der Kalkberge", sagte Pelikan, der älteste der Medizinmänner. „Es wird hier einen harten Kampf geben, aber ich vermag keinen anderen Ausweg für uns zu sehen, als hierzubleiben und zu kämpfen."

„Doch, es gibt einen", wandte Waschbär ein, dem bei dem Gedanken, den Kariben entgegenzutreten, nicht wohl war. „Wir könnten mit

Flößen das Vorgebirge dort drüben erreichen, es umrunden und weiterfahren nach dem Großen Fluß. Dort werden wir eine Gegend finden, in der wir uns niederlassen können."

Puma blickte den kleinen, dicken Unterhäuptling verächtlich an.

„Glaubt Waschbär, daß die Kariben am Tage schlafen?" fragte er. „Kannst du dir nicht denken, daß sie so viele Flöße entdecken, noch

lange bevor wir über die Bucht hinweg sind? Wenn uns ihre Kanus

dort vor den Felsenzungen einholen, wo es keine einzige tiefe Bucht oder Flußmündung gibt, in der wir Schutz suchen könnten, dann machen sie uns alle nieder. Sie brauchen uns ja nur in der Entfernung eines Bogenschusses zu folgen, und wir können nichts tun, denn ihre Kanus sind wenigstens dreimal so schnell wie unsere Flöße. Übrigens brauchten die Kariben nicht einmal zu kommen. Wenn eine Sturmbö über uns hereinbricht, sind wir verloren. Nein, Waschbärs Rat ist nicht gut."

Waschbär wollte gerade den Mund zu einer Erwiderung öffnen, als ein junger Späher über den Sandstrand gerannt kam wie ein gejagter Hirsch.

Er hatte draußen auf einer Landzunge in den Wipfeln eines hohen Baumes gesessen, um Ausschau über das Meer zu halten.

„Kanus!" keuchte er und hielt neun Finger in die Höhe. „Sie kommen hierher!"

Er zeigte auf das weite Meer hinaus, wo man soeben einige kleine dunkle Punkte erkennen konnte.