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Der Rest der Männer sollte den Strand entlanggehen, in einiger Entfernung vor dem Lager in den Wald abbiegen und sich zwischen Dorf und Waldrand heranschleichen, bis Lärm und Kriegsrufe zu hören seien. Dann sollten sie hervorbrechen und den Kariben in den Rücken fallen. Große Schildkröte sollte diese Schar anführen, während Puma mit Sägefisch als Unterbefehlshaber die Kanuflotte befehligte.

„Vermutlich können wir nicht mit einem völligen Sieg rechnen", räumte Sägefisch ein. „Was wir als Äußerstes zu erhoffen wagen, ist, dem Feind Schaden zuzufügen und ihn so unsicher zu machen, daß er uns künftig in Ruhe läßt. Haben wir großes Glück, dann kann es sogar so kommen, daß wir gar nicht zu kämpfen brauchen. Ich habe noch einen Gedanken, aber über diesen will ich vorerst nur mit meinem Bruder Puma sprechen. Sollte dieser Plan mißlingen, dann müssen wir uns auf unsere Bogen und Speere verlassen."

Als alle anderen zu ihren Familien gegangen waren, saßen Puma und Sägefisch noch lange zusammen, in ein langes und ernstes Gespräch vertieft.

Zwei große Feuer brannten am Strand, nicht weit entfernt von der Mündung des Reiherflusses. Sie beleuchteten eine Gruppe großer, geräumiger Hütten mit Dächern von getrockneten Palmenblättern und eine Reihe langer Kriegskanus, die auf den Strand gezogen waren.

Der Feuerschein beleuchtete auch einen Kreis von Männern, die schweigend auf dem offenen Platz vor den Hütten saßen. Einige seltsame Gestalten hüpften in der Nähe des Feuers herum. Die Häuptlinge und Krieger der Kariben sahen ihren Zauberern zu, die alle Vorbereitungen für den Kriegszug trafen.

Sie wollten die Arowaken am Mangrovensee übermorgen früh überfallen, aber zuerst mußten sie ja wissen, ob ihr Kriegsgott mit ihren Plänen und bisherigen Taten einverstanden war.

Der Anführer der Medizinmänner war ein tückischer Greis, Fledermaus genannt. Dieser Name paßte gut zu seinem grinsenden Gesicht und seinen großen abstehenden Ohren.

Fast alle fürchteten ihn, und dazu hatten sie auch allen Grund. Er war genauso bösartig und widerlich wie die Vampire, die blutsaugenden Fledermäuse in der Tiefe des Urwaldes. Die ihn am besten kannten, glaubten zu wissen, daß er alle Menschen haßte.

Er war es gewesen, der seine Stammesgenossen als erster ermunterte, die friedlichen Arowaken zu überfallen. Seitdem hatte er sie zu einer Übeltat nach der anderen angespornt. Zwar ließen sich viele dazu leicht verleiten, aber es gab auch andere, die nicht seiner Meinung waren. Und nun wollte er sie dahin bringen, daß sie ihre Meinung änderten.

Fledermaus gehörte zu den Menschen, die sich nur wohl fühlen, wenn sie Macht haben und über andere bestimmen können. Aus diesem Grunde war er wohl auch Medizinmann geworden, denn er taugte weder zum Krieger noch zum Häuptling.

Nun tanzte er einen Beschwörungstanz zwischen den zwei Feuern. Er sprang und hüpfte herum, als sei er von Sinnen. Unheimlich sah er aus. Er hatte sich in das Fell eines Jaguars gehüllt und mit getrockneten Eidechsen- und Schlangenhäuten, Raubtierkrallen und scharfen gelblichen Krokodilzähnen behängt, wo immer nur Platz dafür war.

Dazu hatte er sich von Kopf bis Fuß mit schwarzen, roten und weißen Figuren bemalt, so daß er noch häßlicher wirkte als sonst.

Er brach seinen Tanz jäh ab und blieb zwischen den zwei Feuern stehen.

„Die Arowaken sind feige Wichtel" schrie er. „Die Arowaken sind alte Weiber! Es ist gerecht, daß sie Sklaven der Kariben werden. Der Kriegsgott will es. Der Kriegsgott ist zufrieden mit den Kariben!"

Er schwieg und begann erneut hin und her zu hüpfen, wobei er die nächsten Worte überlegte. Er wußte, daß er einen sehr gefährlichen Gegner hatte. Das war der Häuptling Schwarzer Habicht, der von Anfang an gegen die Kriegszüge gewesen war.

Nun mußte Fledermaus zusehen, daß er alle Kariben auf seine Seite bekam, indem er nach Möglichkeit dem Häuptling etwas Schlechtes nachsagte. Aber er mußte es vorsichtig anstellen, denn Schwarzer Habicht war als mutiger Mann bekannt und hatte viele Freunde.

Die meisten Kariben waren in letzter Zeit etwas unruhig gewesen, seitdem Kriegshäuptling Klapperschlange und seine fünf Begleiter auf der Rückfahrt von Barú spurlos verschwunden waren.

Das brauchte nicht zu bedeuten, daß sie in die Hände der Arowaken gefallen waren, es konnte ihnen ja auch irgend etwas anderes zugestoßen sein.

Das schlimmste war freilich, daß sie den Bogen des Kriegsgottes bei sich hatten. Der war nun auch verschwunden.

Das war ein großer Verlust. Viele Krieger glaubten fest daran, ihr Erfolg hänge davon ab, daß sie den Bogen des Kriegsgottes sorglich hüteten.

Es war um so beunruhigender, weil der Medizinmann Kaiman und seine zehn Krieger sek einigen Wochen ebenfalls verschollen waren. Sie hatten sich in den Wald-der-im-tiefen-Wasser-wächst begeben, um dem Krokodilgott einen Gefangenen zu opfern, und nicht ein einziger von ihnen war zurückgekehrt.

Dieses geheimnisvolle Verschwinden hatte dem Schwarzen Habicht und seinen Anhängern einiges zu denken aufgegeben. Sie betrachteten es als schlechtes Vorzeichen, als den Beweis, daß die Götter unzufrieden waren. Und während der letzten Tage hatten sich verschiedene Krieger gefragt, ob der große Häuptling nicht doch recht gehabt hatte.

Einige von ihnen hatten gehört, wie andere eine unheimliche Geschichte weitererzählten: Keb selbst, der große Jaguargeist, habe sich in einem Dorf drüben an der Küste gezeigt und in zornigem Ton zu den älteren Männern gesprochen. Wenn das zutraf, dann stand es schlecht mit ihnen.

Gerade in dem Augenblick, als der Medizinmann erneut zu tanzen begann, warf ein alter Unterhäuptling zufällig einen Blick auf das Meer.

„Sieh, da ist ja ein leeres Kanu!" sagte er zu seinem Nachbarn. „Wie seltsam es treibt!"

Mehrere Männer wandten die Köpfe und sahen hinaus auf das weite Wasser.

Das Kanu schien wirklich leer zu sein, aber trotzdem trieb es nicht hilflos auf den Wellen, sondern bewegte sich wie von unsichtbarer Hand gesteuert.

Jetzt war das Kanu etwa bis in den Lichtkreis der Feuer gelangt. Das Wasser reichte einem Mann dort etwa bis an die Schultern.

„Seht, da!" schrie Fledermaus, der das Kanu nun auch erblickt hatte. „Da kommt das Boot des Kriegsgottes. Er kommt, um uns zu sagen, daß er mit seinen Kariben zufrieden ist und ihnen einen großen Sieg über die elenden Arowaken schenken will."

Über hundert Augenpaare folgten dem fremden Kanu. Anderthalb Bogenweiten vom Strand entfernt hielt es.

Langsam schob sich etwas über den Rand des Kanus, auf der Seite, die dem Land zugekehrt war. Es sah aus wie eine dunkle Riesenhand, und sie hielt einen gewaltigen Bogen.

„Der Kriegsgott!" flüsterten die Kariben in atemloser Spannung.

Es schien, als werde der Große Bogen gespannt. Und wirklich — er streckte sich mit gewaltiger Kraft.

Ein heller Streifen kam durch den Feuerschein geflogen und schlug genau zwischen den beiden Lagerfeuern ein, nur einige Schritte von Fledermaus entfernt.

Ein Laut wie ein Keuchen oder wie ein tiefer Seufzer entstieg dem weiten Kreis der braunen Krieger.

„Der Pfeil des Kriegsgottes 1" murmelten erschrockene Stimmen. Mehrere der Medizinmänner schlichen von dem offenen Platz und verbargen sich hinter den anderen. War der Kriegsgott schlechter Laune, so bedeutete dies, daß sie etwas falsch gemacht hatten, und das war gefährlich.

Schwarzer Habicht, der vornehmste Stammeshäuptling, erhob sich würdig und wies mit fester Hand auf den langen Pfeil, der senkrecht und mit tief eingebohrter Spitze im Boden stak.

„Der Kriegsgott hat gesprochen", sagte er mit tiefer Stimme. „Er verbietet uns, die Arowaken zu überfallen."