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„Nein 1" schrie Fledermaus. „Der Kriegsgott ist zufrieden mit seinem Volk. Dies ist ein Siegeszeichen, das er uns gibt1"

Schwarzer Habicht schüttelte den Kopf. Er hatte kein großes Vertrauen zu den Medizinmännern, aber an den Kriegsgott und seinen Bogen glaubte er blind, und er kannte alle damit verbundenen Sagen ebenso gut wie nur irgendeiner von den Zauberern des Stammes. „Es ist sinnlos, Fledermaus", sagte er düster. „Alle wissen, wenn der Kriegsgott einen Pfeil in unser Lager schießt, dann ist er zornig. Wenn er nur nicht ..."

Der Häuptling konnte seinen Satz nicht beenden. Draußen in dem Kanu war der große Bogen wieder gespannt worden. Jetzt hörte man den Strang knallend gegen das Holz schlagen. Scharfes Pfeifen durchschnitt die Luft. Ein neuer Pfeil kam geflogen und bohrte sich in die Erde, einige Armlängen von dem ersten entfernt.

Die Männer saßen ringsum so still da, daß man ihre Herzen förmlich gegen ihre Rippen schlagen hörte.

„Die Zeichen sind klar und deutlich", sagte Schwarzer Habicht nach einigen Minuten der Stille. Seine Stimme hatte einen Klang, als sei er plötzlich müde und alt geworden. „Der Kriegsgott ist sehr unzufrie den. Vielleicht war es ein Unrecht von uns, Krieg gegen ein Volk vom Zaun zu brechen, das uns nie etwas Böses getan hatte. In diesem Fall tragen die Medizinmänner die Schuld, und die Hauptschuld hat Fledermaus. Und das gilt auch für Klapperschlange, der den Kriegszug ausführte, und Kaiman, der Gefangene für seine Opferungen verlangte. Wären wir klug gewesen, dann hätten wir das vorher erkannt. Klapperschlange ist auf dem Meer verschwunden, als er den Bogen hierherbringen wollte. Kaiman machte einen wehrlosen Gast zum Gefangenen, und in der Nacht darauf blieb er selbst in dem Mangrovensumpf. Zweifelt noch immer jemand an dem Zorn der Götter?" „Du lügst!" kreischte Fledermaus giftig. „Du bist feige! Du taugst nicht zum Häuptling tapferer Karibenl Du fürchtest dich vor den Arowaken! All das Gerede von dem Bogen des Kriegsgottes ist doch nur eine dumme, alte Geschichte!"

Ein ganzer Chor wütender Zurufe ertönte aus dem Kreis der Männer. Aber diesmal stimmte es, was Fledermaus sagte. Die ganzen Berichte von dem Kriegsgott, seinem Bogen und seinen Pfeilen waren von den Medizinmännern erfunden worden, um die übrigen Stammesmitglieder dadurch einzuschüchtern und gefügig zu machen, aber im Lauf der Zeit war daraus etwas entstanden, woran fast kein Karibenkrieger zweifelte.

So etwas konnte man nun nicht so ohne weiteres als Unwahrheit abtun, und das hätte wohl auch Fledermaus erkannt, wäre er nicht von einer so furchtbaren Wut gegen den Schwarzen Habicht erfüllt gewesen.

Der Medizinmann hatte kaum Freunde. Außerdem waren die Männer erregt, und es ist oft nur ein kurzer Schritt von der Furcht zum Jähzorn.

„Schweig, elender Greis!" schrie ein Krieger.

„Beleidige den Kriegsgott nicht!" rief ein anderer.

Ein dritter sagte gar nichts, sondern nahm nur seinen Streitkolben mit den eingesetzten Haifischzähnen vom Boden auf und ging auf Fledermaus zu.

Die anderen Medizinmänner hatten bereits erkannt, daß ihnen Gefahr drohte, und waren von dem Ratsplatz verschwunden.

Fledermaus begriff, daß er schnell handeln mußte.

Mit erzwungener Ruhe stellte er sich zwischen die beiden Feuer, breitete die Arme aus und legte den Kopf zurück, als lausche er.

„Hört mich, Häuptlinge und Krieger!" rief er. „Eben jetzt höre ich den Kriegsgott reden. Er spricht zu seinem getreuen Volk durch seinen Diener Fledermaus. Er sagt, ihr hättet die Botschaft der Pfeile falsch verstanden. Es ist sein Wille, daß ihr die Arowaken schon morgen angreift, kurz vor Morgengrauen."

Der Kreis der empörten Krieger beruhigte sich und begann zuzuhören. Fledermaus verharrte eine halbe Minute in Schweigen, und dann fuhr er fort: „Jetzt sagt der Kriegsgott, wie ihr vorgehen sollt. Zuerst sollen sechs Kanus vom Meer aus angreifen und alle Verteidiger an den Strand locken. Unterdessen sollen die übrigen Krieger am Waldrand entlanggehen, ein Stück diesseits des Lagers in den Wald hinein abbiegen und ..."

Fledermaus verstummte jäh. Wieder fuhr ein scharfes Pfeifen durch die Luft, wieder kam von dem seltsamen Kanu ein weißer Pfeil angeflogen. Aber diesmal fuhr er nicht in den Erdboden.

Er traf den Medizinmann mitten in die Brust. Fledermaus stieß einen kurzen Schrei aus und fiel wie vom Blitz getroffen zu Boden.

Um die Feuer wurde es so still, daß man ein welkes Blatt hätte fallen hören. Die Krieger standen ratlos da und starrten entsetzt auf Fledermaus.

„Der Kriegsgott hat so gesprochen, daß ihn alle verstehen müssen", sagte endlich Schwarzer Habicht. „Nun wissen wir, was er will, und wir haben nichts anderes zu tun, als ihm zu gehorchen. Keiner rühre Fledermaus an! Es ist nicht gut, einem Menschen nahe zu kommen, den der Zorn der Götter geschlagen hat."

Damit hob er seinen Bogen, seine Pfeile und seine Kriegskeule vom Boden auf, trat an das nächste Feuer und steckte die Waffen zwischen die brennenden Zweige.

Ein Krieger nach dem anderen folgte seinem Beispiel. Dann gingen sie auseinander und begaben sich langsam und mit gesenkten Köpfen in ihre Hütten. Einer von ihnen nahm einen brennenden Zweig aus dem Feuer und schleuderte ihn auf das Dach der Hütte, in der Fledermaus gewohnt hatte.

Das dürre Palmenblätterdach flammte auf, und eine Minute später stürzten drei oder vier Gestalten heraus und stoben nach dem Wald davon.

Es waren die Zauberer, die den Stamm verließen.

Einige Krieger warfen ihnen Steine hinterher, aber die meisten blickten nur gleichgültig zu Boden.

Sie bemerkten nicht einmal, wie das Kanu des Kriegsgottes langsam wieder aufs Meer hinauszutreiben begann, der Flut und den Wellen direkt entgegen. Und wenn es einige von ihnen dennoch sahen, so waren sie doch viel zu niedergeschlagen und bedrückt, als daß sie sich tiefere Gedanken darüber machen konnten.

Sobald sich das geheimnisvolle Kanu weit genug aus dem Lichtkreis entfernt hatte, hielt es wieder. Zwei junge Männer kletterten über Bord, nahmen die Paddel vom Boden auf und begannen aufs Meer hinauszufahren.

Ein dritter erhob sich von einem Lager und zog die Füße aus einem doppelten Futteral von hartem dunklem Holz.

„Der letzte war ein richtiger Meisterschuß, Häuptling", sagte Adlerauge voll Bewunderung.

„Es war vor allem großes Glück, daß es gelang", erwiderte Sägefisch. „Nach den ersten beiden Schüssen kannte ich ja die Entfernung, und wir hatten direkten und gleichmäßigen Rückenwind, daher war es gar nicht so schwer, wie ich es mir vorstellte. Die Hauptsache war, daß ihr beide das Kanu ruhig hieltet, während ich zielte, und daß euch kein Barracuda in die Beine biß. Seht, da drüben sind unsere Kameraden."

Acht große Kanus schaukelten in der Dünung vor der Flußmündung, in ziemlicher Entfernung vom Strand. Man mußte schon ganz in ihrer Nähe sein, um sie sehen zu können, denn der Mond befand sich noch hinter einer niedrigen Wolkenbank auf der Landseite.

Die drei paddelten an das größte Kanu heran. Am hinteren Ende des Fahrzeugs erhob sich eine dunkle Gestalt.

„Sollen wir jetzt angreifen?" fragte Puma flüsternd.

„Es ist wohl besser, wir lassen es", erwiderte Sägefisch. „Die Kariben haben im Augenblick anderes zu bedenken, als einen Angriff vorzubereiten, und ich bin sicher, de beschließen, sich aus dieser Gegend zu verziehen, sobald es tagt — wenn wir de nur in Ruhe lassen. Wenn wir sie in dieser Nacht jedoch angreifen, müssen sie sich verteidigen, und da weiß man nie, wie es ausgeht."

„Bist du sicher, daß sie uns künftig in Ruhe lassen?"

„Haifischzahn!" sagte Sägefisch. „Wenn du ein Karibe wärst und wenn der Kriegsgott soeben drei Pfeile in dein Lager geschossen hätte — würdest du dann einen Kriegszug unternehmen?"