Einige von den Frauen hatten Körbe mit Maniokwurzeln mitgebracht. Sie schälten nun die Wurzeln und rieben sie auf einer Art von Reibeholz. Mit einer Hebelvorrichtung preßten sie den Saft aus der geriebenen Wurzelmasse. Darauf spülten sie diese im Wasser und preßten sie nochmals aus. So entfernten sie den bitteren, giftigen Saft. Nicht alle Maniokarten sind giftig, aber diese war es.
Schließlich trieben sie die Masse zu dünnen Fladen aus, die sie in flachen Tonformen oder auf flachen Steinen am Rande der Feuerstätte buken. Daraus wurde das Casabebrot, und dieses Brot bildete einen Teil der gewohnten Speise der Indianer.
Feuer machte man, indem man einen Stab aus hartem Holz in einem weicheren Holzstück bohrend drehte. Man ließ den Stab äußerst schnell zwischen den Handflächen tanzen, und seine Spitze stand in einem Loch des weichen Holzes. Von diesem Loch führte eine Rinne an den Rand des Holzstücks, und in dieser lag trocknes Holzpulver. Wenn man einige Zeit gebohrt hatte, fing der Rand des Bohrlochs an zu rauchen, und bald bildete sich Glut, die dann Gras oder fein zerpflückten Holzschwamm entzündete.
Es war dies natürlich eine ziemlich beschwerliche Art, Feuer zu machen. Es gehörte große Übung dazu, und außerdem mußte man die richtigen Holzsorten haben. Aber da die Bocaná-Indianer keine andere Art des Feuermachens kannten, mußten sie sich mit dieser begnügen. Gewöhnlich führten sie glühende Holzstücke und ein „Bett". von Holzkohlen mit, wenn sie sich auf einer längeren Reise befanden, aber diesmal war die Warnung vor den Kariben so plötzlich gekommen, daß keine von den Frauen Zeit genug gehabt hatte, den „Feuertopf" richtig fertigzumachen. Die Feuergluten bekamen während der langen Paddelfahrt Meerwasserspritzer ab und waren erloschen, da alle zu müde und zu durstig gewesen waren, um sie richtig zu warten und dem Feuer rechtzeitig neue Nahrung zu geben.
Am frühen Nachmittag war das Essen fertig, und nun holten die Indianer nach, was sie entbehrt hatten. Fast drei Tage und drei Nächte hatten sie nichts Richtiges mehr gegessen, die kleinen Kinder ausgenommen, so daß sie jetzt großen Hunger hatten.
Sehr langsam und vorsichtig begannen sie zu essen, immer nur einige Rissen, damit sie nicht krank wurden. Dann warteten sie ein Weilchen, um dann richtig mit dem Essen zu beginnen.
Alle, außer dem Häuptling, dem Medizinmann und einigen anderen Männern, stopften sich allmählich voll mit Fischen, Schnecken und Casabebrot. Sie aßen nicht hastig oder gierig, aber sie aßen gründlich.
Hierauf legten sich die meisten von ihnen in den warmen weißen Sand unter den Mangrovenbüschen, um zu schlafen. Manche knüpften Hängematten zwischen die stärkeren Bäume. Auf der Insel gab es davon nur einige wenige. Sonst bestand sie aus Buschland, Korallen-I eisen und freien Sandflächen.
Von dem jungen Volk hielt nur Läufer kein Mittagschläfchen. Er hatte auch bei weitem nicht soviel gegessen wie die anderen.
Jetzt ging er quer über die Insel an das andere Ufer hinüber, setzte sich an der Wasserlinie auf einen Korallenblock und schaute über das Meer, in die Richtung, in der das Festland lag.
Man sah es seiner gefurchten Stirn an, daß er über ein schweres Problem nachdachte.
Es war nun einmal so mit Läufer, daß er über alles grübeln mußte. Die meisten Menschen finden sich damit ab, die Dinge mehr oder weniger so hinzunehmen, wie sie kommen, aber das war ihm nicht gegeben. Er gehörte zu den Menschen, die alles durchdenken mußten und stets zu ergründen suchten, warum etwas so und nicht anders war, und die sich ständig fragten, ob man dies oder jenes nicht anders und besser machen könne.
Nach einiger Zeit sprang er von dem Block und fing an, zwischen den Treibholzstücken herumzusuchen, die die Wogen an den Strand geworfen hatten. Ein Holzstück nach dem anderen wandte er um und betrachtete es von allen Seiten.
Die meisten warf er daraufhin wieder weg, aber einige legte er nebeneinander auf eine flache Felsenklippe.
Nach einiger Zeit ging er zurück und sah sich das Holz immer wieder an. Zuweilen schloß er die Augen und stand völlig reglos da, als versuche er, sich an etwas zu erinnern oder sich etwas vorzustellen.
Vor einigen Monaten hatte er nach einem schweren Sturm fünf Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt auf einer Sandbank das angetriebene Wrack eines Kariben-Kanus gefunden. Es war unbrauchbar und wies am Boden zwei gähnende Löcher auf, aber die Form hatte es noch, und die Form war es ja gerade, die er suchte.
Den ganzen Abend und die halbe Nacht hatte er damals wach gelegen, nach dem Palmenblätterdach der Hütte gestarrt und zuweilen die Augen geschlossen und das Kanu so zu sehen versucht, wie es sein mußte. Schließlich war er eingeschlafen und hatte von einem fertigen Kanu geträumt — und war von der Brandung geweckt worden, die draußen wie Donner dröhnte.
Er spürte den Herzschlag bis zum Halse, als er zu der Sandbank gerannt war, wo der Schatz gelegen hatte.
Doch die Sanddüne gab es nicht mehr, und das Meer hatte seine Leihgabe zurückgenommen. Mächtige Brecher schlugen weit den Strand herauf.
Aber die Form war Läufer im Gedächtnis haftengeblieben, und nun galt es nur noch, ihr Ausdruck zu geben, etwas Wirkliches aus ihr zu machen.
Jenes weiche Stück Caracoliholz, das er eben auf die Felsklippe gelegt hatte, ähnelte dieser Form. Wenn er ein bißchen daran herumschnitzte, würde sich die Form vielleicht zeigen und so gestalten lassen, wie sie sein mußte.
Läufer begann nach einer scharfen Muschelschale zu suchen, die er als Messer verwenden konnte. Eine solche fand er bald, und er begann damit an dem Holz zu schnitzen. Die Muschel war jedoch dünn und ließ sich nur mit Mühe festhalten. Er konnte dem Schnitt keine Kraft verleihen. Nun, dann mußte er eben einen Griff daran machen, um richtig schnitzen zu können.
Nachdem er einige Schnitte an einem elastischen Mangrovenzweig angebracht hatte, gelang es ihm, diesen abzubrechen. Es war guter Werkstoff, hart und zäh. Er bog ihn um die Muschel und begann ihn mit einer Faserschnur festzubinden. Auf diese Art pflegten die Arowaken ihre Steinäxte am Stiel zu befestigen.
Er war so in seine Beschäftigung vertieft, daß er dabei am Strand auf und ab zu gehen begann, ohne zu grübeln.
Da ertönte dicht über seinem Kopf ein scharfer Schrei.
Läufer wandte den Blick nach oben. Eine Raubseeschwalbe, die ihre Jungen am Strand zwischen Muscheln und Treibholz versteckt hatte, stieß wütend auf ihn herab. Unwillkürlich wich er zur Seite.
Im selben Augenblick geschah etwas. Die halbfertige Umwicklung löste sich, als er den Daumen von ihr nahm. Der federnde Zweig rich tete sich gerade und schleuderte die Muschelschale mehrere Meter weit.
Läufer tat einen Schritt nach der Schale, um sie aufzuheben. Doch da blieb er unvermittelt stehen. Ein neuer Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Lange starrte er schweigend der fortgeflogenen Muschel nach, als habe er ein Gespenst gesehen.
Ein federnder Zweig, eine straff gespannte Faserschnur — und ein leichter, scharfer Gegenstand, der fortgeschnellt werden konntel Das war die Antwort auf eine wichtige Frage, die er sich seit langem stellte. Jetzt kannte er das Geheimnis der Kariben.
Oftmals hatte er Zweige zurückschnellen sehen, wenn er selbst oder ein anderer sie losließ, aber noch nie hatte er darüber gründlicher nachgedacht. Nun schien es, als sei auch in ihm etwas zurückgeschnellt. Er kniff die Lippen zusammen, suchte eine schärfere Muschelschale und begann eifrig noch mehr Zweige abzuschneiden.
In diesem Augenblick kam Sägefisch aus den Uferbüschen und trat zu ihm.
„Was machst du da, Junge?" fragte er. „Willst du einen Korb machen?"
Läufer sah von seiner Arbeit auf und begegnete dem Blick des Häuptlings.