Sicher ist das, was ich geschrieben habe, in hohem Grade von den eigenen Erlebnissen unter meinen indianischen Freunden geprägt und bessere Freunde als die freien Waldindianer kann man lange suchen.
Wenn die Indianer nach der Arbeit des Tages am Feuer sitzen — insbesondere in den Jagd- und Fischlagern während der Streifzüge in der Trockenzeit —, geschieht es oft, daß einer von den Älteren Geschichten und alte Sagen erzählt. Da sie nicht schreiben können, müssen sie dieses Verfahren anwenden, um den Sagenschatz einer Gruppe der ja ihre Literatur ist — durch die Jahrhunderte am Leben zu erhalten.
Wenn ein neues Stammesglied geweiht wird oder gerade die Proben für die Weihe abgelegt hat, muß ihm entweder sein Vater (oder bei einer Anzahl von Stämmen sein Onkel mütterlicherseits) oder einer von den „weisen Männern" des Stammes Unterricht in den Dingen erteilen, die ein Indianer wissen muß.
Nachdem ich sozusagen zum Choc6-Indianer „ernannt" worden war, wurden der Medizinmann Mari-gamá und sein Sohn Hai-námbi von der Boaschlangengruppe, später Do-chamá von der Eichhörnchengruppe und der Medizinmann Du-lá von der Eisvogelgruppe meine Lehrer. Vieles habe ich ihnen zu verdanken. Auch viele andere haben Sagen und Legenden erzählt. Ein Motiv, das zuweilen in diesen
Sagen auftaucht, ist der „Bogen der Macht", der in dieser Erzählung zum Bogen des Kriegsgottes Keb geworden ist. Ich hörte sie
von Du-lá erzählen, als wir eines Tages an einem kleinen Waldfluß mit Pfeil und Bogen Fische jagten. Hai-námbi, der mein „Geistesbruder" war, erzählte die Sagen von Carrauta — über die
ich in meinem nächsten Buch schreiben werde —, als wir die ganze Nacht hindurch in unserem Jagdlager oben an den Ausläufern der Westanden saßen und das Fleisch eines eben geschossenen Bären räucherten.
Wenn auch vieles in diesem Buch in der Wirklichkeit verankert ist, so beruht natürlich mancherlei auf Vermutungen. Die Personen sind mehr oder weniger nach Indianern gestaltet, die ich gekannt habe und mit denen ich befreundet war.
Als Junge las ich mit Begeisterung die Indianerbücher Coopers und anderer Verfasser. Sie waren schön, ich habe sie immer wieder gelesen. Vielleicht war das Schöne an ihnen, daß die Schreiber mit den Dingen vertraut waren, die sie schilderten. Dann kamen andere, denen ich keine Freude abgewinnen konnte, weil mir in ihren Büchern alles unwirklich vorkam. Es schienen Leute zu sein, die nie an einem Lagerfeuer im Walde oder in der Savanne gesessen, nie eine Spur in unbekanntem Gelände verfolgt und nie gefühlt hatten, wie sehr es von ihren Eigenschaften als Jäger oder Fischer abhing, ob sie heute essen oder hungrig herumlaufen würden. So entschloß ich mich schließlich, den Versuch zu unternehmen, ein Buch über die freien Indianer in ihrer natürlichen Umgebung zu schreiben, und so entstand „Adlerauge und der Bogen des Kriegsgottes". Wenn junge Menschen Freude daran finden, dann ist dies reicher Lohn für meine Mühe.
Georg Dahl
Anmerkungen
Die Inseln Die Gruppe heißt heute Islas de San Bernardo und liegt ungefähr 10° nördlicher Breite und 76° westlicher Länge vor Punta Boquerón an der Nordküste von Kolumbien.
Mangrove Gemeinsamer Name mehrerer tropischer Bäume und Büsche, die in Salzwasser gedeihen: Schwarze Mangrove (Avicennia nitida), weiße Mangrove (Laguncularia recemosa), rote Mangrove (Rhizophora mangle).
Ceiba Gemeint ist Bombax ceiba. Hoher Baum. Ziemlich leichtes Holz.
Strandtraube Coocolobis uvifera. Busch (selten Baum) mit großen runden Blättern und eßbaren Früchten.
Divi-divi Caesalpinia coriaria. Urwaldbaum. Die Früchte liefern einen Farbstoff.
Zaragocilla Baum, ähnlich der roten Mangrove. Holz sehr hart (Conocarpus erecta).
Bataten oder Süßkartofieln Ipomoea batatas. Schlingpflanze mit eßbaren Wurzelknollen.
Manioc, Manibot utilissima Pflanze mit nährstoffreichen Wurzelknollen. Der Saft ist giftig, besonders von einer der beiden angebauten Formen.
Baummelonen oder Papaya Carica papaya. Schnell wachsender Baum mit sprödem Stamm, wächst in den Tropen in einigen wenigen Monaten zu voller Größe. Die Frucht ähnelt einer länglichen Melone, ist jedoch süßer.
Caracoli Anacardium excelsum. Großer und dichtbelaubter Urwaldbaum, dessen Holz leicht zu bearbeiten ist.
Caimancillo oder Caimitillo Chtysophyllum oliviforme. Urwaldbaum mit schwerem, sehr hartem Holz.
Übersetzung aus dem Schwedischen
von A. O. Schwede
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Örnöga och krigsgudens bäge
Illustrationen von Erhard Schreier
© Georg Dahl 1958
Alle Rechte vorbehalten
Printed in the German Democratic Republic
Lizenz-Nr. 304-270/45/70-(10)
Satz und Druck: Karl-Marx-Werk Pößneck V 15/30 - 1. Auflage
ES 9 D 3
Für Leser von 10 Jahren an