„Ich denke mir gerade etwas aus, das wir wahrscheinlich dringender brauchen als alles andere", antwortete er ernst. „Aber ich weiß noch nicht genau, wie ich es machen muß, damit es brauchbar wird. Häuptling, würdest du mich nach der größeren Insel hinüberfahren und einige Zeit dort bleiben lassen — ganz allein?"
Sägefisch furchte die Stirn.
Wäre ihm irgendein anderer von den Burschen mit einem solchen Verlangen gekommen, dann hätte der Häuptling wohl mit einem Nein geantwortet. Jetzt, wo man soviel zu tun hatte, war nicht die rechte Zeit, jemanden zu beurlauben. Mußte man doch Lebensmittelvorräte beschaffen, Regendächer bauen, Fischfanggeräte herstellen und vieles andere mehr.
Ganz zu schweigen davon, daß man scharf Ausschau halten mußte, ob etwa Kriegskanus der Feinde nahten.
Aber andrerseits war Läufer kein Faulpelz, sondern ein geschickter und williger Junge. Es konnte ja sein, daß er wirklich etwas Wichtiges vorhatte. Wenigstens schien er es selbst zu glauben.
Der Häuptling nickte nachdenklich.
„Ja, ich gebe dir Urlaub, wenn du meinst, daß es irgendwie nützlich für uns sein kann. Worum handelt es sich?"
Läufer schaute über das weite Meer und zögerte mit der Antwort. Er wußte selbst nicht recht, woher er den Mut nahm, so mit dem Häuptling zu reden.
„Würdest du mir die Antwort ersparen, bis ich meiner Sache ganz sicher bin?" fragte er schließlich mit verhaltener Stimme.
Sägefisch sah ihn scharf an.
„Wie du willst", sagte er. „Ich verlasse mich auf dich, Junge l"
Früh am nächsten Morgen paddelte Läufer über den Sund nach der großen Insel hinüber.
Er hatte Feuer mitgenommen und einen kleinen Tontopf, eine Steinaxt, einige Schaber aus Sandstein und Muschelschalen, sein gesamtes Fischgerät und den Wurfspeer; dazu eine ganze Menge Stöcke, Stäbe und Holzstücke — Material für Speere und Harpunenschäfte.
Einiges hatte er von Sägefisch erhalten, manches andere selbst vom Festland mitgebracht; und drei lange, gerade Stücke feines schwarzes Palmenholz hatte er bei Habichtfeder gegen zwei seiner schönsten Halsbänder — eins aus Kaurischnecken und eins aus Krokodilzähnen eingetauscht.
Der Erfinder
Die Arowaken wohnten nun schon fast vier Wochen auf der kleinen Insel im Korallenmeer.
Irgendwelche feindliche Kanus hatten sie nicht gesehen. Das Wetter war die ganze Zeit schön gewesen, und der Fischfang hatte sich recht gut für sie angelassen, aber trotzdem waren sie mit ihrem Dasein nicht recht zufrieden.
Alle hatten ihre mitgebrachten Feldfrüchte bereits in den ersten Tagen aufgebraucht, noch ehe sie richtig dazu gekommen waren, sich ihre Nahrung aus dem Meer zu beschaffen. Es wäre auch sinnlos gewesen und hätte nichts genützt, wenn sie versucht hätten, sparsam mit den Vorräten umzugehen. Maniokwurzeln und Süßkartoffeln halten sich nicht lange.
Das einzige, was sie von den mitgebrachten Lebensmitteln noch besaßen, war etwas Mais, den man zu einer Art grobem Mehl zerstoßen und dann geröstet hatte. Er wurde in Beuteln aufbewahrt, die man in den Rauch der Kochfeuer hängte.
Dieser Mais war der Notproviant, den man nicht anrühren durfte, solange es etwas anderes zu essen gab.
Die Indianer waren gewohnt gewesen, fast jeden Tag Maissuppe, Casabekuchen und geröstete Bataten zu essen, ganz zu schweigen von dem Salat aus Iraca-Schößlingen und verschiedenen Arten von Bohnen, kleinen gelben Tomaten und saftigen Früchten.
All dies mußten sie jetzt entbehren. Die einzigen eßbaren Früchte, die es auf den Inseln gab, waren die runden schwarzen Beeren der Strandtraubenbüsche, und die waren nur gut für den Durst, den Magen füllten sie nicht.
Daher war es gar nicht so verwunderlich, daß die Arowaken manchmal mürrisch waren und meinten, das Essen sei zu einförmig.
„Brrrl" machte Lange Lanze, als er in ein und derselben Woche zum fünftenmal Seebarsch zum Frühstück bekam. „Fische und Muscheln und Muscheln und Fische, niemals etwas anderes! Wenn man doch bloß mal ein richtiges Stück fetten, saftigen Hirschbraten und eine große Schüssel Maisbrei oder frisch gekochte Bohnen essen könnte!" Seine Frau dachte sicher genau wie er, aber sie ärgerte sich doch so sehr, daß sie fast weinte.
„Das mußt du dem sagen, der das Essen heimbringt!" entgegnete sie zornig. „Warum paddelst du nicht hinüber zum Festland und holst ein paar Körbe Mais und Wurzelknollen von unseren Feldern? Und wenn es nur das Essen wäre, dann wollte ich noch nicht einmal etwas sagen. Aber auf diesem elenden kleinen Inselflecken gibt es ja auch keine Baumwollsträucher, so daß ich weder spinnen noch weben kann, keine Agaven, um Gürtel davon zu machen, und kein Sumpfgras mit starken Fasern. Wenn wir lange hierbleiben, werden wir am Ende alle nackt herumlaufen wie diese widerlichen Kariben, die mehr Kobolde als Menschen sind. Und dann werden wir mit der Zeit wohl auch Menschenfresser — wenigstens einige von uns. Das würde dir wohl passen, du widerliches, gefräßiges Untier!"
Lange Lanze hütete sich, ihr zu antworten. Er wußte aus langer Erfahrung, daß es keinen Zweck hatte, verständig mit Kaurischnecke zu reden, wenn sie so gelaunt war. Er mußte warten und versuchen, sie auf andere Weise wieder zu besänftigen.
Am selben Abend fuhren er, Fregattvogel und Habichtfeder mit einigen von den Jungen nach der größeren Insel hinüber und legten sich im Ufergebüsch auf die Lauer. Sie wurden von den Mücken und den kleinen Sandfliegen grausam gebissen und zerstochen und mußten doch geduldig warten; aber als der Vollmond seinen höchsten Stand am Himmel erreicht hatte, wurde ihre Geduld belohnt.
Eine große grüne Suppenschildkröte krabbelte auf eine lange Sandbank, um dort ihre Eier zu legen.
Als die Indianer aus dem Gebüsch stürzten und ihr den Rückweg zum Wasser verlegten, zog die Schildkröte nur Kopf und Beine in ihren Panzer zurück, so weit sie konnte. Das war ihre Art, Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen; aber diesmal war es vergebens.
Die Indianer schoben zwei dicke Hebelstangen zwischen ihren Bauchpanzer und den Erdboden und wälzten sie auf den Rücken. Da lag sie, griff mit den Schwimmbeinen plump in die Luft und war völlig hilflos. Diesen Trick kann man nicht bei allen Schildkröten anwenden, denn manche Arten können sich wieder in die richtige Lage bringen, aber bei der großen Suppenschildkröte macht er sich gut.
Alle im Lager aßen Schildkrötensuppe, Schildkrötenbraten und Schildkröteneier, die man in der heißen Asche gebraten hatte. Der Schmaus dauerte zwei Tage, dann galt es wieder mit Fischen und Muscheln vorliebzunehmen.
Es war übrigens ganz gut, daß die Schildkröte so rasch aufgezehrt wurde, denn von allen Gerichten ist Schildkröte wohl dasjenige, das man am schnellsten überbekommt, wenn man nichts anderes zur Abwechslung hat.
Die Bocaná-Arowaken waren sicher eins von den friedlichsten Völkern, die man sich nur denken kann; aber das einförmige Essen begann sich bei den meisten allmählich bedrückend auf die Stimmung auszuwirken.
Eines schönen Tages wurden ihre Gedanken jedoch auf etwas anderes gelenkt.
Einige von den Frauen waren wie gewöhnlich ins Meer hineingewatet, um große Strombus-Schnecken und Muscheln vom Meeresboden aufzusammeln. Davon gab es jetzt nicht mehr soviel wie vor einigen Wochen. Die Frauen mußten deshalb etwas weiter vom Ufer weggehen, um die größten und besten zu finden. Sie mußten sich nur davor hüten, auf einen der schwarzen Seeigel zu treten, die hier und da in großen Haufen lagen und ihre langen, nadelspitzen, giftigen Stacheln nach allen Seiten spreizten. Es schmerzt kaum etwas so sehr wie ein Stich von einem Seeigelstachel.
Strandlilie, Kaurischnecke und zwei weitere Frauen waren gerade dabei, eine Anzahl großer Schnecken an einer Stelle heraufzuholen, wo das Wasser ungefähr einen Meter tief war. Das bedeutete, daß sie jedesmal richtig untertauchen mußten, da sie ja nicht besonders groß waren.