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Niemand in England wußte von den Invasionsbereitungen. Vielleicht würden sie es dort auch nicht mehr rechtzeitig erfahren. Dann starb Neale hier ebenso umsonst wie viele seiner Männer vor ihm.

Er preßte das Gesicht so fest an die Stäbe, daß der Schmerz ihn zur Besinnung brachte. Noch war Neale nicht tot. Und noch hatte der Feind nicht gewonnen.

Browne ließ seinen Admiral nicht aus den Augen. Er hätte ihm gern geholfen, wußte aber, daß dies außerhalb seiner Macht lag.

Allday ließ sich neben Neales Pritsche nieder. Der Verwundete hatte jetzt die Augen geschlossen und schien auch etwas ruhiger zu atmen.

Allday dachte an das französische Schiff, das sie nach Lorient bringen sollte. Mochte der Teufel wissen, wo Lorient lag. Ebensowenig scherten ihn die Musjöhs, wie er sie nannte. Aber ein Schiff war auf jeden Fall besser als eine Kutsche mit einem verdammten Rattenschwanz von Soldaten.

Immerhin wußte er, daß Lorient weiter nördlich lag; und damit ein bißchen näher an England.

Der kleine Kommandant stand wartend unter der Tür und sah Bo-litho an.»Es wird Zeit, M'sieu.»

Bolitho blickte sich noch einmal in dem Raum um, der so lange jhre Zelle gewesen war. Den bewußtlosen Neale hatte man auf einer Bahre festgebunden und, begleitet von Allday, schon am frühen Nachmittag weggeschafft. Ohne Neale und seine verzwe i-felten Versuche, das ihm entgleitende Leben festzuhalten, wirkte der Raum öde und leer.

Browne fragte:»Hören Sie den Wind?»

Auch das war ein schlechtes Vorzeichen. Neale war kaum eine Stunde weg gewesen, da hatte der Wind aufgefrischt. Das Wetter mit seinen Launen hatte sie in dem exponierten Festungsturm auch vorher stark beeinflußt, aber als sie sich jetzt an der Tür zusammendrängten, schien es sich eindeutig zu verschlechtern. Der Wind strich heulend um die Mauern und rüttelte an den kleinen Fenstern wie ein lebendes Wesen, auf der Suche nach ihnen, um sie zu vernichten.

Bolitho sagte:»Hoffentlich ist Neale inzwischen wohlbehalten an Bord.»

Der Kommandant führte sie die enge, gewundene Steintreppe hinunter, wobei seine Stiefel immer die richtige Stelle auf den ausgehöhlten Stufen fanden — wohl aus langer Gewohnheit.

Über die Schulter sagte er:»Heute abend oder nie. Das Schiff kann nicht warten.»

Bolitho lauschte dem anschwellenden Sturm. Kein Wunder, dachte er.

Als er vors Tor trat, wurde ihm der Gegensatz zu jenem warmen Augustmorgen, an dem er mit Browne zur hügeligen Küste spaziert war, dramatisch bewußt: Diesmal zogen graue schwere Wolken tief über ihnen dahin und ließen nur selten einen silberweißen Strahl Mondlicht hindurch, der die Szenerie in ein scharfes, verzerrendes Licht tauchte. Zwischen tanzenden Laternen schritten sie auf einen Kommandoruf zur Rückseite der Festung, hinter dem

Kommandanten her, der unbeirrt, auch ohne Laterne oder Mondlicht, seinen Weg fand. Sie schlugen denselben Pfad ein, den sie damals entdeckt hatten, doch diesmal, vom Sturm geschüttelt und in der Finsternis halb blind, hätte Bolitho sich darauf nie allein zurechtgefunden.

Er merkte, daß die Soldaten ihn beobachteten, und erinnerte sich an die letzten Worte des Festungskommandanten:»Ich entlasse Sie nicht wie Diebe, sondern wie Offiziere. Deshalb schließe ich Sie weder an Händen noch an den Füßen in Eisen. Aber wenn Sie zu fliehen versuchen.»

Angesichts der wachsamen Soldaten mit ihren langen Bajonetten konnte er sich weitere Erläuterungen sparen.

Browne meldete:»Jetzt geht es abwärts.»

Der Pfad machte einen Bogen nach rechts und fiel steil ab. Als sie in den Windschatten der Steilküste gelangten, wurde das Heulen des Sturms etwas schwächer.

Sowie Bolitho stolperte, hörte er sofort ein metallisches Klik-ken hinter sich. Tatsächlich, ihre Bewacher waren auf der Hut und jederzeit bereit, beim ersten Fluchtversuch gezielt zu schießen.

Dann endlich hörten sie die See, die wild gegen den Strand anbrandete, sich für die Augen aber nur hier und da mit einem hellen Gischtstreifen zu erkennen gab. Bolitho ertappte sich dabei, daß er die Sekunden und Minuten zählte, als sei es ausschlaggebend, die Stelle genau zu erkennen, wo sie die Klippe verlassen und eine andere Richtung einschlagen würden.

Andere Laternen schwankten ihnen strandaufwärts entgegen, Stiefel stapften quietschend durch nassen Sand.

Bolitho hörte den Kiel eines Bootes im Flachwasser knirschen und fragte sich, wo das Schiff wohl geankert hatte. Das Vorland gab ihnen jetzt Schutz vor dem Wind, woraus zu schließen war, daß sich der Sturm nicht nur verstärkt hatte, sondern auch umgesprungen war. Wehte es jetzt aus Ost? Wahrscheinlich, obwohl man sich in der Biskaya auf nichts verlassen konnte.

Im Schein einer Laterne tauchte das Gesicht des Festungskommandanten aus dem Dunkeln auf.

«Leben Sie wohl, M'sieu. Wie ich höre, ist Ihr verwundeter Kapitän sicher an Bord der Ceres gelangt. «Grüßend griff er zum Hut und trat zurück.»Viel Glück.»

Der Lichtschein verschwand und mit ihm der Kommandant.

Eine fremde Stimme befahl grob:»In die chaloupe, schnell!»

Man führte, stieß oder zerrte sie zu einer Barkasse, und kaum hatten sie sich in ihrem Heck zwischen einige nur undeutlich erkennbare Matrosen gequetscht, da wurde der Bug schon in tieferes Wasser geschoben; wild schlugen die Riemen, um das Boot in Fahrt zu bringen.

Sowie sie aus dem Windschatten der Steilküste kamen, wurde die Fahrt zu einer Art Ritt auf dem Delphin. Das Boot hob sich und fiel schwindelerregend, die Mannschaft kämpfte — vom Bootssteu-rer an der Pinne zum äußersten getrieben — verzweifelt gegen Wind und Seegang an. Es war eine rauhe Nacht, die bald noch rauher werden mußte. Darüber war sich Bolitho klar. Er dachte an Neale, der hoffentlich in der vertrauteren Umgebung an Bord eines Schiffes, auch wenn es ein französisches war, inzwischen etwas mehr Ruhe gefunden hatte. Überhaupt war jetzt alles anders; es roch nach Teer und Rum, nach Salz und dem Schweiß der Seeleute, die mit ihrem Feind von altersher rangen, der See.

Also Ceres. Den Namen hatte er schon irgendwo gehört. Sie mußte eine der Fregatten sein, die als Blockadebrecher und Kuriere zwischen den französischen Flotten eingesetzt waren. Wenn die Franzosen erst die Kette der optischen Telegraphen weiter ausgebaut hatten, mußte der Dienst für diese Fregatten etwas leichter werden.

Browne griff nach seinem Arm, er blickte auf und sah den Umriß des französischen Schiffes vor und über sich in der Dunkelheit aufragen; um Steven und Ankertrosse kochte die See, als sei die Fregatte soeben erst aus der Tiefe emporgetaucht.

Nach drei vergeblichen Versuchen bekam der Buggast die Rüsten zu packen, das Fallreep schwang heran, und Bolitho sprang um sein Leben, ehe das Boot wieder unter seinen Füßen in das nächste tiefe Wellental absacken konnte; Browne folgte ihm ebenso.

Naß bis auf die Haut erreichten sie das Deck; die tropfenden Bootsmäntel, von denen Knöpfe und Rangabzeichen längst abgerissen waren, hingen ihnen von den Schultern wie die Lumpen einer Vogelscheuche.

Bolitho spürte an Bord drängende Eile und das Bestreben, möglichst schnell Segel zu setzen. Deshalb vermerkte er mit Respekt, daß der französische Kommandant, den man über den Dienstrang seines Gefangenen sicherlich informiert hatte, sich die Zeit nahm, sie an der Schanzkleidpforte zu empfangen.

Aber auch das ging vorbei, und dann wurde Bolitho über Niedergänge und unter niedrigen Balkendecken hindurch nach unten in eine Welt geführt, die ihm nur allzu vertraut war.

Unter Deck wirkten die Schiffsbewegungen noch heftiger. Er glaubte zu spüren, wie die Fregatte an ihrer Ankertrosse zerrte, um endlich der gefährlichen Umarmung des Landes zu entkommen und die Sicherheit der offenen See zu gewinnen.

Als sie den letzten Niedergang ins Orlopdeck hinunterkletterten, hörte Bolitho das Gangspill oben klicken und vom Sturm halb verwehte Befehle, die das Ankerlichten und Segelsetzen begleiteten.