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Bolitho stand auf und trat zu den Heckfenstern. Dort draußen, nur zwei Kabellängen entfernt, lag Phalarope beigedreht, und ihre vergoldeten Schnitzereien an der Heckgalerie glänzten in der Sonne. Was mochte sie von ihrem neuesten Kommandanten halten? Er sah Emes' Spiegelbild im Glas, seine straffe, aber irgendwie leblose Körperhaltung. Ein Mann, der die Umstände gegen sich wußte, aber dennoch nicht klein beigab.

Bolitho sagte:»Ich kannte John Neale gut. Er war Kadett auf meinem Schiff. Das gleiche gilt für Kapitän Keen von der Nicator, während Kapitän Inch, der sich uns mit seiner Odin in Kürze anschließen wird, früher einer meiner Leutnants war. Und es gibt noch viele Männer wie sie, die ich seit Jahren kenne, deren Entwicklung ich verfolgte und zusah, wie sie den Anforderungen der

Kriegsmarine entsprachen oder ihnen zum Opfer fielen.»

Emes murmelte heiser:»Dann sind Sie vom Glück begünstigt, Sir, und um diese Freunde und ihre Haltung zu beneiden.»

Bolitho wandte sich um und studierte Emes eingehend.»Und natürlich ist da auch mein Neffe und Erbe. Ehemals Midshipman und jetzt Ihr Erster Offizier.»

Emes nickte.»Ich bin mir völlig klar darüber, daß er mir zürnt,

Sir.»

Bolitho setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und blickte auf den Stoß Papiere hinunter, die ihn nach dem Gespräch mit Emes in Anspruch nehmen würden. Nichts leichter, als Emes zu suspendieren, auch wenn kein geeigneter Ersatz für ihn aus England eintraf. Ein dienstälterer Leutnant, zum Beispiel einer wie Wolfe, konnte das Kommando bis auf weiteres übernehmen.

Und doch. Diese beiden Worte hingen fest wie Widerhaken.

«Für mich sind sie alle eine Stütze«, fuhr er fort,»während sie für Sie Hürden auf dem Weg nach oben bedeuten. Ihre Loyalität mir gegenüber bringt sie dazu, Sie zu verachten. Sogar mein Freund Kommodore Herrick, ein integrer und mutiger Mann, hat aus seinem Zorn von Anfang an kein Hehl gemacht. Immerhin hat er seine Beförderung, möglicherweise sogar sein Schiff auf den vagen Verdacht hin riskiert, daß er etwas über mein Schicksal erfahren könnte. Sie müssen also begreifen, daß Ihre anscheinend logische Verhaltensweise von anderen, die an diesem schrecklichen Morgen nicht einmal anwesend waren, sehr viel kritischer beurteilt wird.»

Nach einer Pause sagte Emes dumpf:»Dann gibt es keine Hoffnung mehr für mich, Sir.»

Wie still das Schiff schien, dachte Bolitho. Als ob alles den Atem anhielte. Er kannte solche Augenblicke aus Erfahrung, beispielsweise von der furchtbaren Meuterei im Spithead und der Nore. Ein einzelner Kanonenschuß oder die Kriegsgerichtsflagge waren dann Zeichen dafür, daß es um manchen tüchtigen Offizier genauso geschehen war, als hätte man ihn an der Großrah gehenkt oder durch die Flotte gepeitscht.

«Hoffnung gibt es immer, Kapitän Emes. «Bolitho erhob sich, und Emes sprang auf wie zur Urteilsverkündung. Er fuhr fort:»Ich jedenfalls halte Ihre Entscheidung für richtig, und immerhin war ich am Schauplatz des Geschehens.»

«Sir?«Emes schien zu schwanken und legte den Kopf schräg, als hätte ihn sein Gehör plötzlich in Stich gelassen.»Inzwischen weiß ich, daß die drei französischen Schiffe gezielt herbeigerufen waren. Damals ahnte das jedoch keiner von uns. An Ihrer Stelle hätte ich mich genauso verhalten müssen wie Sie. In diesem Sinne werde ich meinen Bericht an Ihre Lordschaften abfassen.»

Emes konnte sekundenlang nicht den Blick von ihm wenden.»Ich danke Ihnen, Sir. Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden. Ich wollte mich wie ein Ehrenmann verhalten, aber dem stand alles entgegen, was ich wußte. Meine Dankbarkeit ist größer, als ich sagen kann. Sie ahnen nicht, was mir Ihr Wort bedeutet. Was die anderen von mir denken oder sagen, kann ich ertragen, sie sind mir nicht wichtig. Aber Sie. «Er hob verlegen die Schultern.»Ich kann nur hoffen, ich hätte mich ebenso menschlich verhalten, wenn unsere Rollen vertauscht gewesen wären.»

«Also gut. Geben Sie mir einen ausführlichen Bericht über die Beobachtungen auf Ihren Patrouillen während meiner — äh — Abwesenheit, und wenn Sie Rapid sichten, signalisieren Sie ihr, daß sie so schnell wie möglich mit mir Fühlung aufnehmen soll.»

Emes befeuchtete sich die Lippen.»Jawohl, Sir. «Er wandte sich zum Gehen, zögerte aber noch.

«Na los, Kapitän Emes, heraus damit! Wir werden bald viel zu beschäftigt sein für Gegenargumente.»

«Nur noch eines, Sir. Sie sagten eben: >Ich hätte mich genauso verhalten müssen.<»

Bolitho runzelte die Stirn.»Sagte ich das?»

«Jawohl, Sir. Und ich danke Ihnen für dieses Wort. Aber da ich nun weiß, wie gut das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihren Männern ist, fiel mir auf, daß >müssen< das Schlüsselwort war. Sie sagten nicht: >Ich hätte mich genauso verhalten<. Da ich vorher noch nicht das Glück hatte, unter Ihnen zu dienen, hat mir dieser feine Unterschied die Augen geöffnet.»

«Aber jetzt dienen Sie unter mir, Kapitän Emes«, antwortete Bolitho,»also lassen Sie es dabei bewenden.»

Als Emes ging, trat Browne lautlos und mit neugierig funkelnden Augen in die Kajüte.

Bedrückt sagte Bolitho:»Emes sollte hier Admiral sein, Oliver, nicht ich. «Dann schüttelte er sich und sah der Wahrheit ins Gesicht. Emes hatte recht gehabt. Vielleicht hatte er sich mit dem Wort >müssen< unbeabsichtigt verraten. Denn insgeheim wußte er, daß er an Emes' Stelle ohne Rücksicht auf Vernunft der sinkenden Styx zu Hilfe geeilt wäre. Aber daß Emes sich richtig verhalten hatte, war ebenso wahr.

Browne räusperte sich diskret.»Ich merke schon, Sir, daß Sie einiges zu erklären haben werden.»

Er hielt die Tür für Bolitho auf, und in diesem Augenblick kam Pascoe im Sturmschritt durch den Vorraum geeilt.

Einige Augenblicke standen Onkel und Neffe sich nur wortlos gegenüber, dann brach es aus Pascoe hervor:»Ich kann dir gar nicht sagen, Onkel, mit welchen Gefühlen ich die gute Nachricht aufgenommen habe. Ich dachte. Als wir nichts hörten. Wir alle dachten.»

Bolitho legte dem jungen Leutnant den Arm um die Schultern und führte ihn zu den Heckfenstern. Vor ihnen lag die leere See, da Phalarope schon abgefallen war und die Kimm freigegeben hatte.

Auch die Rangabzeichen eines Leutnants konnten nicht verhindern, daß Bolitho in Adam den jungen Midshipman wiedererkannte, der einst auf seiner alten Hyperion den Dienst bei der Kriegsmarine angetreten hatte. Sein schwarzes Haar, das er neumodisch kurz geschnitten trug, war noch immer so störrisch wie damals, und seih Körper fühlte sich so mager an, als brauche er sechs Monate der guten Küche von Falmouth, um wieder etwas Fleisch anzusetzen.

«Adam, du mußt wissen, daß ich von deiner Versetzung auf die Phalarope nicht gerade beglückt war«, begann Bolitho.»Obwohl ich zugebe, daß die Chance, mit einundzwanzig Jahren Erster Offizier zu werden, auch einen Heiligen in Versuchung führen könnte. Und ein Heiliger bist du wahrhaftig nicht. Kapitän Emes hat mir von Fortschritten deinerseits nichts berichtet, aber ich hege keinen Zweifel, daß. «Er brach ab, weil Pascoe herumfuhr und ihn ungläubig anstarrte.

«Aber, Onkel! Hast du ihn etwa nicht abgesetzt?»

Bolitho hob die Hand.»Du bist mein Neffe, und wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt, gebe ich zu, daß ich dich gerne mag.»

Aber so leicht kam er diesmal nicht davon. Pascoe ballte die Fäuste, seine dunklen Augen blitzten, als er ausrief:»Er hat dich dem sicheren Tod ausgeliefert! Zuerst konnte ich es gar nicht glauben! Ich habe ihn angefleht, ich wäre vor ihm fast auf die Knie gefallen!«Heftig schüttelte er den Kopf.»Nein, Emes taugt nichts, weder für deine Phalarope noch für ein anderes Schiff!»