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Bolitho warf Herrick einen Blick zu.»Das war flotte Arbeit. Die Brigg führt ihren Namen offenbar zu Recht. «Und an Wolfe gewandt:»Signalisieren Sie Rapid, sie sollen die Prise zum Flaggschiff schicken. Je weniger neugierige Augen sie zu Gesicht bekommen, desto besser. Und sagen Sie Kapitän Lapish von mir: gute Arbeit.»

Nachdenklich rieb Herrick sich das Kinn.»Und es ist ohne Alarm abgegangen, wie? Lapish muß von dem schlechten Wetter gestern nacht profitiert haben. Hatte Glück, der junge Teufel.»

«So wird's gewesen sein«, sagte Bolitho bewußt neutral und beugte sich wieder über die Seekarte. Weshalb auch hätte er Herrick wissen lassen sollen, daß er fast die ganze Nacht wachgelegen hatte aus Sorge um Rapid. Schon ein sinnlos geopfertes Menschenleben wäre zuviel gewesen, das war ihm klar, seit Styx gesunken und Neale mit so vielen anderen gestorben war. Aber weshalb hätte er Herrick mit seinen Skrupeln beunruhigen sollen?

Statt dessen fuhr er mit dem Finger das große Dreieck auf der Seekarte nach. Ein Schenkel verlief in südöstlicher Richtung von der Belle Ile zur Ile d'Yeu; der zweite erstreckte sich vierzig Meilen weit nach Westen, und der letzte führte mit nördlicher Richtung wieder zur Belle Ile zurück: der Patrouillenkurs seiner drei Fregatten lag dem Land am nächsten, während die Linienschiffe sich weiter seewärts hielten, um eventuell durchgebrochene Franzosenschiffe abzufangen. Als Kundschafter und Kurier zwischen den englischen Einheiten fungierte die kleine Rapid. Lapish mußte sein erfolgreiches Stoßtruppunternehmen sehr genossen haben, denn damit bewiesen seine Männer, daß sie den Kameraden auf den schwerfälligeren Schiffen um Längen voraus waren.

Bolitho überlegte laut:»Die Franzosen müssen bald den ersten Zug machen. Also sollten wir unbedingt erfahren, was in den Küstengewässern vorgeht. «Er blickte auf, weil Browne die Kajüte betrat.»Der erbeutete Fischkutter wird zu uns geschickt. Ich möchte, daß Sie an Bord gehen und ihn genau untersuchen.»

«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?«fragte Browne.

«Natürlich.»

Browne trat an den Tisch.»Wie wir hörten, wurden schon seit Wochen Fischereifahrzeuge zusammengezogen. Das ist durchaus üblich, damit die Fischer unter dem Schutz französischer Wachboote ihrem Handwerk nachgehen können. Wenn Lapish ganz sicher ist, daß niemand die Kaperung des Fischkutters beobachtete, dann könnte das Boot doch mit einer ausgesuchten Crew wieder zur Küste zurücksegeln und ausspähen, was dort geschieht?»

Herrick stieß einen ungeduldigen Seufzer aus.»Aber klar, Mann! Genau das war doch von Anfang an geplant. Ich dachte, Sie hätten einen neuen Einfall?»

Browne lächelte nur milde.»Mit allem Respekt, Sir: Mein Vorschlag lautet, den Kutter mit unseren Leuten direkt zwischen die französische Fischereiflotte segeln zu lassen.»

Herrick schüttelte den Kopf.»Das wäre der reinste Wahnsinn. Noch innerhalb der ersten Stunde würden sie auffallen und geschnappt.»

«Nicht, wenn jemand an Bord fließend französisch spräche.»

Verzweifelt wandte sich Herrick an Bolitho.»Und wie viele solcher Sprachgenies haben wir an Bord?»

Browne räusperte sich.»Zunächst einmal mich, Sir. Und ich habe entdeckt, daß die beiden Fähnriche Stirling und Gaisford ein passables Französisch sprechen.»

«Also, mich trifft der Schlag!«Herrick konnte Browne nur anstarren.

«Gibt es denn eine Alternative?«fragte Bolitho bedächtig.

Browne zuckte die Achseln.»Keine, Sir.»

Wieder studierte Bolitho die Seekarte dieses Küstenstrichs, obwohl er inzwischen jede Untiefe, jede Bucht und die Entfernungen auswendig kannte.

Die Sache konnte klappen, weil sie so unvermutet kam. Wenn sie schiefging, wurden Browne und seine Männer gefangengenommen. Hatten sie sich verkleidet, bedeutete das den sicheren Tod für sie. Er dachte wieder an die kleinen Grabhügel unterhalb der Gefängnismauern, an die Kugeleinschläge in der Wand.

Browne war sein Zögern nicht entgangen, er sagte:»Ich würde es jedenfalls gern versuchen, Sir. Es kann uns weiterhelfen. Im Sinne von Kapitän Neale.»

Der Wachsoldat vor der Tür unterbrach sie mit dem lauten Ruf:»Midshipman der Wache, Sir!»

Midshipman Haines trat wie auf Zehenspitzen vor seine Vorgesetzten und meldete fast flüsternd:»Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und die französische Prise kommt in Nordost in Sicht.»

Herrick funkelte ihn an.»Und das war alles, Mr. Haines?»

«N-nein, Sir. Mr. Wolfe läßt Ihnen noch sagen, daß der Kutter drei französische Soldaten an Bord hat.»

Der ahnungslose Junge hatte die wichtigste Information für den Schluß aufgehoben.

«Danke, Mr. Haines«, sagte Bolitho.»Kompliment an den Ersten Offizier, und er möchte mich informieren, wenn der Kutter näher kommt.»

Mit einem mal war alles sonnenklar. Bolitho erinnerte sich an die französischen Soldaten an Bord der anderen Fischkutter, damals an jenem schrecklichen Morgen, als Styx gesunken war. Vielleicht stellte die Garnison regelmäßig Soldaten für diese Aufgabe ab, schließlich war es nicht außergewöhnlich, daß sich Fischer und Schmuggler beider Seiten weiter draußen auf See trafen, um Nachrichten oder Schmuggelware auszutauschen. Es konnte nicht im Sinne von Konteradmiral Remond sein, die Invasionsflotte durch unbedachtes Gerede verraten zu lassen.

Also drei französische Soldaten. Schon stellte Bolitho sich Browne in einer ihrer Uniformen vor, und als er seinem Adjutanten einen Blick zuwarf, sah er den gleichen Gedanken auf dessen Gesicht.

«Also gut. Durchsuchen Sie den Kutter und erstatten Sie mir Bericht. Danach…«Sein Blick senkte sich auf die Karte.»Danach werde ich entscheiden.»

«Sie sind sich der Gefahr bewußt?«fragte Herrick.

Browne nickte.»Jawohl, Sir.»

«Trotzdem wollen Sie es tun?»

«Jawohl, Sir.»

Herrick hob verzweifelt die Hände.»Wie ich schon sagte: totaler Wahnsinn.»

Bolitho blickte von einem zum anderen. Sie waren beide so grundverschieden, aber beide ungeheuer wichtig für ihn. Er erhob sich.»Ich gehe an Deck, Thomas. Muß nachdenken.»

Herrick begriff sofort.»Ich sorge dafür, daß Sie nicht gestört werden, Sir.»

Als Bolitho auf dem Achterdeck auf und ab ging, versuchte er, sich an Remonds Stelle zu versetzen. Er hatte ihn damals nur kurz gesprochen, aber trotzdem half ihm das beträchtlich. Der Feind hatte jetzt ein Gesicht, einen Charakter.

Bis der kleine Fischkutter an der Leeseite von Benbow längsseits ging, war die Abenddämmerung hereingebrochen; Browne stieg sofort hinunter, um ihn zu durchsuchen.

Während sich neugierige Seeleute in den Webeleinen und an der

Reling drängten, stand Bolitho hoch oben über ihnen, war aber nicht weniger gespannt. Der Kutter war ein schäbiges Arbeitsboot mit geflickten Segeln und schmutzigem Deck und nicht viel länger als die Barkasse der Benbow. Er wirkte alles andere als heroisch und hätte jedem Bootsmann der Kriegsmarine nur ein verächtliches Schnauben entlockt.

Auf dem vergammelten Fahrzeug wirkte Browne mit seiner adretten, blau-weißen Uniform als starker Kontrast.

Das Beiboot kehrte mit einem blutjungen Leutnant zurück, in dem Bolitho den Anführer des Prisenkommandos vermutete. Als er am Fallreep die überhängende Bordwand der Benbow erkletterte und vor der Ehrenwache grüßend an seinen Hut tippte, schätzte Bolitho ihn auf höchstens neunzehn Jahre.

Wolfe wollte ihn in die Achterkajüte führen, aber Bolitho rief vom Hüttendeck:»Hierher!»

Der Leutnant mochte jung und vom Pomp des Flaggschiffs eingeschüchtert sein, aber seine Bewegungen waren selbstsicher und schwungvoll, als er nach oben lief: der Gestus des Siegers.

Grüßend meldete er:»Leutnant Peter Searle, Sir, von der Brigg Rapid.»

«Sie haben den Fischkutter gekapert, Mr. Searle?»

Der Leutnant wandte sich um und blickte auf das schäbige Arbeitsboot hinab. Zum erstenmal schien er es mit unbeteiligten Augen zu sehen.