Da hörte er Emes' Schritte auf den Decksplanken und wandte sich ihm zu. Nie wußte er, welche Stimmung sich hinter Emes' ausdrucksloser Miene verbarg, was er in der Abgeschlossenheit seiner Kajüte wirklich dachte oder plante.
Grüßend griff Pascoe zum Hut.»Kurs Südost zu Süd, Sir. Wind hat etwas geschralt, kommt jetzt aus Nord zu Ost«, meldete er.
Emes trat an die Querreling und umklammerte den Handlauf, während er über sein Schiff hinweg nach vorn starrte und das Treiben an Bord beobachtete. Dann schweifte sein Blick zu Odin hinüber, die an Steuerbord mit etwa vier Kabellängen Abstand zielstrebig durch die Seen pflügte.
«Hm. Schlechte Sicht. «Emes schob die Unterlippe vor, das einzige Zeichen für seine Besorgnis, das er sich jemals gestattete.»Es wird früh dunkel werden. «Er zog seine Taschenuhr und ließ den Deckel aufspringen.»Ihr Onkel scheint Kapitän Inch ein Sonderexerzieren verordnet zu haben. «Er lächelte, aber fast unmerklich.»Eben ein echtes Flaggschiff.»
Dann ging er nach achtern und warf einen Blick auf den Kompaß und die Schiefertafel darüber.
Pascoe entging es nicht, daß Steuermann und Rudergänger sich in Emes' Gegenwart versteiften, als rechnten sie mit einem Anpfiff von ihm.
Das konnte er nicht begreifen. Sie fürchteten sich buchstäblich vor dem Kommandanten, obwohl Emes bisher wenig oder gar nichts getan hatte, was diese Furcht gerechtfertigt hätte. In Fragen der Disziplin war er eisern, aber nicht so ungerecht wie manche Kommandanten, die drakonische Prügelstrafen verhängten. Auch hatte er nicht viel Geduld mit seinen Untergebenen, schmähte sie aber nie in Gegenwart anderer. Woran lag es also? fragte sich Pas-coe. Emes war ein eiskalter, verschlossener Charakter, der von seinem Standpunkt kein Jota abgewichen war, auch nicht vor seinem Admiral und dem drohenden Schatten des Kriegsgerichts.
Jetzt schritt der Kommandant quer über das Deck und starrte auf die See und die Nebelschwaden hinaus. Es nieselte, und von Sta-gen, Wanten und Segeln fielen Tropfen.
«Hat Mr. Kincade heute alle Karronaden inspiziert, Mr. Pas-coe?»
Kincade war Artillerieoffizier der Phalarope, ein wortkarger, verbitterter Mann, der seinen gedrungenen Kanonen mehr Zuneigung entgegenzubringen schien als den Menschen.
«Aye, Sir. Sie werden ein kräftiges Wort mitzureden haben.»
«Tatsächlich?«Emes musterte ihn kalt.»Sie können es wohl kaum erwarten, wie?»
Pascoe errötete.»Alles besser als diese Untätigkeit, Sir.»
Zögernd rief der Midshipman der Wache: «Rapid kommt luvwärts in Sicht, Sir.»
«Ich gehe unter Deck«, blaffte Emes.»Rufen Sie mich, ehe Sie
Segel wegnehmen lassen, und achten Sie auf korrekten Abstand zum Flaggschiff. «Ohne auch nur einen Blick auf die verschwommene Silhouette von Rapid zu werfen, schritt er zum Niedergang.
Pascoe entspannte sich. War auch das nur Schauspielerei, fragte er sich, daß Emes nicht einmal einen Blick für die der Küste zustrebende Rapid übrig hatte? Oder daß er es stur abgelehnt hatte, an den Karronaden exerzieren zu lassen, obwohl er sah, daß auf dem Flaggschiff den ganzen Tag lang geübt wurde?
Der Master, ein hagerer, melancholischer Mann, der sich von Emes absichtlich ferngehalten hatte, kam jetzt aufs Achterdeck gestiegen und warf einen Blick auf den Steckkompaß.
«Was halten Sie vom Wetter, Mr. Bellis?«erkundigte sich Pas-coe.
Bellis verzog das Gesicht.»Wird sich verschlechtern, Sir. Das spüre ich in den Knochen. «Dann legte er den Kopf schräg.»Hören Sie sich bloß die Musik an.»
Pascoes auf dem Rücken verschränkte Hände verkrampften sich. Er hatte das Geräusch der Pumpen schon gehört, sie arbeiteten jetzt während jeder Wache. Vielleicht stimmte es ja, was über das alte Schiff gesagt wurde. Jedenfalls war die Biskaya Gift für ihre schlecht kalfaterten Plankenstöße.
Für den Master war das Wasser auf seine Mühle.»Sie hat eben zu lange im Hafen gelegen, Sir, es ist ein Kreuz mit ihr. Und im Hafen hätte sie bleiben sollen. Ich halte jede Wette, daß sie am Kiel so morsch ist wie 'ne überreife Birne — ganz egal, was die Werft behauptet hat.»
Pascoe wandte sich ab.»Ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen, Mr. Bellis.»
Der Master grinste.»Jederzeit zu Ihren Diensten, Sir.»
Durchs Fernrohr sah Pascoe der kleinen Brigg nach, die im grauen Seenebel fast schon verschwunden war. Er hatte die Kopie ihrer Einsatzbefehle gelesen und konnte sich gut vorstellen, wie Browne sich auf das Bevorstehende vorbereitete. Pascoe schauderte es. In dieser Nacht.
Sein größter Wunsch war, an Brownes Seite zu sein. Aber dann rief er sich ärgerlich zur Ordnung. Wurde auch er jetzt der alten Fregatte untreu wie Bellis und manche der dienstälteren Leute an
Bord?
Phalarope war einst ein stolzes Schiff gewesen. Genau hier, auf ihrem Achterdeck, hatte schon sein Onkel gestanden. Trotzdem — ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken, er wußte nicht, warum.
Doch, er wußte es. Hier mußte Bolitho auch die Annäherung der anderen Fregatte beobachtet haben: der Andiron, die unter britischer Flagge fuhr, in Wirklichkeit aber ein den Briten weggenommener Freibeuter der Amerikaner war.
Unter dem Befehl meines Vaters, dachte Pascoe.
Er blickte übers Batteriedeck nach vorn. Herrick, Allday und der arme Neale waren hier auf und ab gegangen, auch Bolithos alter Steward Ferguson, der beim Kampf auf dem Vorschiff einen Arm verloren hatte.
Und jetzt stand er selber da. Als hätte er den Platz von seinem Onkel geerbt. Pascoe lächelte verlegen, aber ihm war etwas leichter zumute.
Leutnant Browne umklammerte jetzt schon so lange das Dollbord des kleinen Beiboots, daß sich seine Hand wie abgestorben anfühlte. Seit sie vom schützenden Rumpf der Brigg abgelegt hatten, war er von Zweifeln und Augenblicken nackter Angst gequält worden.
Die dick umwickelten Riemen hoben und senkten sich weiter gleichmäßig, ein Steuermannsmaat duckte sich neben dem Bootsführer mit dem beleuchteten Kompaß, den eine Persenning abdeckte.
Leutnant Searle ergriff das Wort.»Wenn meine Berechnungen stimmen, sollten wir jetzt nahe dran sein. Aber nach dem, was ich sehe, könnten wir genausogut auf China zuhalten.»
Immer wieder spähte Browne mit salzgeröteten Augen von links nach rechts. Einmal spürte er, wie das Boot in einer unvermuteten Querströmung versetzt wurde und gierte, und hörte den Maat neue Anweisungen für den Bootsführer murmeln.
Lange konnte es nicht mehr dauern. An Steuerbord ragte plötzlich aus der schwarzen Nacht eine noch schwärzere Felsnadel auf und blieb achteraus zurück; nur das veränderte Brandungsgeräusch hatte sie angekündigt.
Am Himmel zeigte sich kein Lichtschimmer.
Neben ihm erstarrte Searle plötzlich, und Browne fürchtete einen entsetzlichen Moment lang, er hätte ein französisches Wachboot entdeckt.
Aber Searle rief gedämpft:»Seht mal da! An Backbord voraus!«Aufgeregt packte er Brownes Arm.»Erstklassige Arbeit, Oliver!»
Browne wollte schlucken, aber sein Mund war wie ausgetrocknet. Er spähte scharf in die Finsternis, bis er glaubte, die Augen müßten ihm aus den Höhlen fallen.
Aber es stimmte. Vor ihnen lag der halbmondförmige Strand, erkenntlich an der langen hellen Brandungskurve.
Ruhig bleiben, sagte er sich. Es konnte immer noch ein Irrtum sein. Der Felsen, an den er sich so gut zu erinnern glaubte, mochte aus diesem Blickwinkel ganz anders aussehen.
«Langsam jetzt! Riemen an!»
Die Restfahrt schob das Boot weiter, bis es mit einem Poltern und Knirschen auf den Strand auflief, das in ihren Ohren unerträglich laut klang. Browne fiel fast um, als einige Seeleute ins seichte Wasser sprangen, um das Boot höher auf den Sand zu ziehen. Sear-le paßte auf, daß die kleine Gruppe von sechs Männern wohlbehalten den Strand erreichte.»Haltet das Pulver trocken«, mahnte er heiser.»Nicholl, du läufst als Kundschafter voraus, aber bißchen plötzlich.»