«Also, gehen wir. «Als sich zwei Männer bückten, um den stöhnenden Jones aufzuheben, fügte er noch hinzu:»Der kommt nicht weit.»
«Ein guter Kanonier«, meinte Searle.»Aber kaum ist er an Land. «Er vollendete den Satz nicht.
Mit dem unglücklichen Jones zwischen sich, ertasteten sie ihren Weg zur Hintertür. Als sie knarrend aufgedrückt wurde, rechnete Browne mit einem Kugelhagel, und als der schmächtige Cooper sich als erster ins Freie warf, erwartete er mit zusammengebissenen Zähnen, daß eine Säbelschneide auf seinen Nacken niederfahren würde. Aber nichts geschah. Searle murmelte:»Die Franzosen sind an Land auch nicht besser als Jones, scheint mir.»
«Moment mal. «Browne sah in den Turm zurück, wo Harding neben seinen Leuten wartete.»Ich mache das. Danach schlagen wir uns zum Strand durch. Man kann ja nie wissen.»
Als Searle sich durch die enge Tür nach draußen gequetscht hatte, fühlte Browne sich plötzlich sehr allein und unbehaglich. Mit hallenden Schritten ging er zu Harding zurück.»Fertig?«fragte er.
«Aye, Sir. «Der Kanonier schob eine Scheibe der Laterne hoch und hielt ein langsam brennendes Zündholz an die Flamme, das er in seiner Jackentasche mitgebracht hatte.»Man kann sich nie darauf verlassen, Sir. Nicht, wenn sie so kurz sind. «Er starrte in die Finsternis und fügte bitter hinzu:»Aber manche Leute wissen ja alles besser.»
Gebannt sah Browne zu, wie der Kanonier das Zündholz so lange im Kreis schwang, bis der Kopf zu glimmen begann. Dann sagte er:»Jetzt!»
Laut zischten die Lunten, und die Zündfunken schienen Browne mit wahnwitziger Geschwindigkeit nach oben zu prasseln.
Harding packte ihn am Ärmel.»Los jetzt, Sir! Nichts wie weg hier!»
Ohne sich um den Krach oder ihre Würde zu scheren, rannten sie polternd durch das Turmzimmer nach hinten. Fäuste zerrten sie an die kühle Nachtluft hinaus, und Browne fand sogar noch Zeit, zu den fahlen Sternen aufzublicken.
«Wir haben Hufschlag gehört!«keuchte Searle.
Browne richtete sich auf.»Mir nach!«rief er, denn für Vorsicht war es nun zu spät. Geduckt rannten sie davon und zerrten Jones mit sich, der schlaff wie ein Toter zwischen ihnen hing.
Vor sich erkannte Browne die Gefängnismauer. Scharf bog er ab und hörte die anderen hinter sich stolpern und fluchen. Sie machten eine Menge Lärm, aber das war nur gut, dachte er, denn so wurde der Hufschlag übertönt, der jetzt unaufhörlich näher kam.
Keuchend stieß er hervor:»Sie reiten zuerst zur Kirche!»
«Hoffentlich fliegen sie mit in die Luft!«schnaufte Searle.
Browne rutschte fast auf nassem Gras aus, als er den Kamm der Steilküste erreichte. Der Strand unten würde leer sein, aber wenigstens waren sie am Meer.
Der Hufschlag klapperte lauter, und Browne schloß daraus, daß die Kürassiere die Straße erreicht hatten.
«Warten Sie, Sir!«rief einer seiner Männer.»Der arme Jones stirbt!»
Keuchend und rasselnd wie alte Männer blieben sie stehen, aber Browne drängte:»Wir müssen weiter, das ist unsere einzige Chance!»
Der Kanonier namens Harding schüttelte den Kopf.»Zu spät, Sir. Die kriegen uns ja doch. Ich bleibe bei meinem Kumpel.»
Wütend funkelte Browne ihn an.»Sie hacken dich in Stücke, Mann, weißt du das nicht?»
Aber Harding blieb dabei.»Ich bin Soldat, Sir, und trage eine Uniform. Ich habe nur Befehle ausgeführt.»
Browne versuchte, wieder klaren Kopf zu bekommen, sich daran zu erinnern, wieviel Zeit seit dem Anbrennen der Lunten vergangen war.
Er wandte sich ab.»Kommt weiter, ihr anderen!»
Sie erreichten das Ende des Pfades und hörten das vertraute Rauschen der Brandung.
Als sie durch den Strandhafer auf den Sand hinaus stürzten, glaubte Browne hinter sich einen Schrei zu hören, aber er wurde sofort vom Donnern vieler Hufe übertönt: Die Kürassiere hatten Harding und seinen sterbenden Kameraden gefunden.
Sekunden später folgte die Explosion, betäubend, vernichtend — wie Hardings Rache an seinen Mördern. Die ganze Steilküste schien zu erbeben, kleine Steine prasselten wie Musketenkugeln auf sie herab.
«Lauf voraus, Cooper«, befahl Searle und griff haltsuchend nach Browne.»Wenn sie uns kriegen, gibt es kein Pardon für uns. Hoffentlich war's die Sache wert.»
Der Lichtschein über ihnen erlosch so schnell, wie er aufgezuckt war, und Browne roch Pulvergestank, den der Wind herantrug.
Cooper kam schon wieder zurück.»Ich habe ein Boot gefunden,
Sir«, meldete er.»Nur 'ne Jolle, aber besser als nichts.»
Searle grinste im Dunkeln.»Ich würde sogar schwimmen. Alles, nur nicht hier verrecken.»
Cooper und Nicholl verschwanden in Richtung des Bootes, und Browne mahnte:»Ich glaube, da oben treiben sich noch Kürassiere herum.»
Zwanzig Meter im Umkreis des Turms mußte die Explosion tödlich gewesen sein, überlegte er. Aber sowie es dämmerte, würden Hunderte von Soldaten ausschwärmen und weit und breit jede Höhle, jedes Loch absuchen. Ob irgendein Schiff ihres Geschwaders nahe genug gewesen war, um die Explosion zu bemerken?
Searle riß ihn aus seinen Gedanken.»Jetzt kriege ich wieder Luft, Oliver. Gehen Sie voran.»
An dem höckerförmigen Felsen vorbei hasteten sie zum Strand hinunter, wo jemand ein kleines Boot zwischen die Steine gezogen hatte. Es mochte einem Schmuggler oder Fischer gehören, aber darüber dachte Browne nicht lange nach. Zwar war es unwahrscheinlich, daß sie sich darin in Sicherheit bringen konnten, aber schon der Versuch war beser, als sich hier abschlachten zu lassen.
«Halte lä!»
Der Ruf aus dem Dunkeln überraschte sie wie ein Schuß.
Browne riß Searle neben sich zu Boden und deutete in die Richtung.»Dort, links oben!»
Wieder der Anruf: «Qui va lä?«Und diesmal folgte ihm ein metallisches Klicken.
Searle stieß einen Seufzer der Verzweiflung aus.»Zur Hölle mit ihnen allen!»
Füße trampelten und schlitterten über die Felsen, dann hörte Browne einen seiner Seeleute brüllen:»Das ist für dich, du Hund!»
Ein Mündungsblitz zuckte auf und beleuchtete grell Nicholls Gestalt mit erhobenem Entermesser, die aber, von der aus nächster Entfernung abgefeuerten Kugel getroffen, zusammenbrach und die Waffe klirrend fallen ließ.
Doch in dem kurzen Lichtschein hatte Browne drei oder vier französische Soldaten ausmachen können.
«Fertig?«Seine eigene Stimme klang ihm fremd.»Die oder wir!»
Searle nickte krampfhaft; die beiden Offiziere sprangen gleichzeitig auf und rannten mit gezückten Pistolen die letzten Meter zum Strand hinunter.
Noch mehr Rufe, in die sich schrille Schmerzensschreie mischten, als die Pistolen aufbellten und zwei Franzosen in den nassen Sand warfen, wo sie mit zuckenden Beinen liegenblieben.
Coopers drahtige Gestalt sprang vor, und wieder verriet ein erstickter Aufschrei, daß sein Entermesser ein neues Opfer gefunden hatte.
Der letzte Überlebende warf seine Muskete von sich und verschwand kreischend in der Dunkelheit.
Browne versuchte, seine Pistolen nachzuladen, doch seine Hände zitterten so stark, daß er es aufgeben mußte.
«Schiebt das Boot ins Wasser, Leute.»
Er sah, daß Cooper sich über einen Gefallenen beugte und seine Kleider durchwühlte; zweifellos wollte er ihn bestehlen. Er riß ihn an der Schulter zurück und stieß ihn zum Boot.»Hilf den anderen! Es wird gleich hell.»
Dann ließ er sich neben dem Toten auf ein Knie nieder und betrachtete ihn genauer. Es war der kleine Festungskommandant, der sie seinerzeit auf eben diesem Strand verabschiedet hatte. Also hatten sie sich doch noch einmal getroffen.
Searle rief herüber:»Was ist los?»
«Nichts. «Browne erhob sich mit weichen Knien.
Searle hatte keinerlei Probleme beim Nachladen seiner Pistolen.»Sie sind wirklich eine Offenbarung für mich, Oliver«, sagte er.