Aber seine schrille Stimme ging unter im betäubenden Aufbrüllen der Achtzehnpfünder des Hauptdecks.
Bolitho beobachtete die Einschläge, die zwischen und hinter den verankerten Landungsbooten lagen. Die Gischtsäulen sanken noch zusammen, da sandten auch die Zweiunddreißigpfünder des unteren Batteriedecks ihr tödliches Eisen donnernd hinüber. Zerrissene Planken und ganze Deckstücke wirbelten durch die Luft, und als sich der Pulverrauch hob, wurde erkennbar, daß einige der kleineren Fahrzeuge schon schwere Schlagseite hatten. Rettungsboote pullten verzweifelt von ihnen weg. Aber auf einigen der näher an Land verankerten Boote hatten die Mannschaften schon die Trossen gekappt und versuchten freizukommen.
«Ausrennen!»
Wieder knarrten und quietschten die Lafetten das ansteigende Deck hinauf und schoben die Rohre durch die Stückpforten ins Freie.
«Klar zum Einzelfeuer!»
Wieder fuhr Inchs Säbel nach unten.»Feuer!»
Diesmal lagen Pausen zwischen den einzelnen Abschüssen, denn jeder Stückmeister faßte erst genau sein Ziel auf, ehe er an der Abzugsleine riß.
Auf dem französischen Wachschiff entfalteten sich die Bramsegel, aber es hatte zwei abtreibende Landungsboote gerammt. Trotzdem feuerte es zurück und traf Odin zweimal dicht oberhalb der Wasserlinie. Rauch hüllte das Wachschiff ein, der nicht von seinen Kanonen stammte, und Bolitho erkannte, daß eines der driftenden Landungsfahrzeuge Feuer gefangen hatte. Der Brand mochte sogar von einem glühenden Ladepfropfen ausgelöst worden sein, der aus einer Kanone des Wachschiffs gefallen war. Bolitho sah rennende Gestalten, die aus der Ferne winzig und hilflos wirkten, mit hastig gefüllten Eimern gegen die Flammen vorgehen. Aber die ineinander verhakten Riggs und der starke, ablandige Wind erwiesen sich als zu große Hindernisse: Die Flammen sprangen auf den Rumpf über und erfaßten schließlich die Stagsegel. Nur noch eine
Stagsegel. Nur noch eine Kabellänge trennte Odin vom vordersten Landungsboot, als der Lotgast in ihren Ketten gellend aussang:»Wassertiefe sechs Faden!»
Inch blickte nervös zu Bolitho hinüber.»Nahe genug, Sir?»
Dieser nickte.»Drehen Sie ab.»
«Klar zur Wende!»
Alle freien Deckshände sprangen an die Brassen und Schoten, obwohl sich mancher Mann noch die vom Pulverrauch tränenden Augen rieb.
«Alles klar!»
«Hartruder!»
Die Radspeichen glitzerten im Sonnenlicht, als das Ruder hart gelegt wurde, und dann rief M'Ewan:»Ruder am Anschlag, Sir!«Mit hart Leeruder begann sich Odins Bug langsam nach Luv zu drehen.
Vor Bolithos Blicken zog das Panorama der abtreibenden oder zerschossenen Fahrzeuge vorbei, bis es ihm vorkam, als müsse der Klüverbaum sie im nächsten Augenblick aufspießen. Oben knallten und schlugen die Segel im Wendemanöver, während schließlich auch der letzte Mann, die Decksoffiziere nicht ausgenommen, mit ganzer Kraft in die Brassen einfiel, um die Rahen herum- zuholen und das Schiff auf den neuen Kurs zu bringen.
Inch überschrie das Getöse:»Achtung — Backbordbatterie! Mr. Graham, bei der Aufwärtsbewegung!»
«Feuer frei!»
M'Ewan wartete, bis auch das letzte Segel unter Kontrolle gebracht war und sich wieder eisenhart mit Wind füllte. Dann meldete er:»Neuer Kurs Südost zu Ost liegt an, Sir!«»Feuer!»
Zum erstenmal in diesem Gefecht brüllten nun auch die Backbordkanonen und fuhren im Rückstoß binnenbords, während der Pulve rrauch durch die Stückpforten zog. Die Breitseite schlug mit furchtbarer Wirkung mitten in der Landungsflotte ein.
Achteraus sah Bolitho Phalaropes Rumpf länger werden, als sie mit schlagenden Segeln durch den Wind ging, um dem Beispiel des
Flaggschiffs zu folgen. Sie war noch näher an den Feind herangekommen, und Bolitho konnte sich lebhaft vorstellen, welches Inferno ihre Karronaden anrichten mußten.
Das Wachschiff war jetzt völlig außer Kontrolle geraten und brannte vom Bug bis zum Großmast, an dem die Flammen emporleckten und die Segel in Sekundenschnelle zu Asche verwandelten. Während Bolitho noch hinübersah, erzitterte plötzlich der Rumpf, und eine Maststenge fiel wie eine Lanze in den Rauch hinunter. Das Schiff mußte auf Grund gelaufen sein. Schon trieben mehrere Gestalten im Wasser davon, andere schwammen verzweifelt auf eine Felsgruppe zu.
«Feuer einstellen!»
Stille breitete sich auf Odin aus; selbst die Männer, die nach der letzten Breitseite noch die Kanonenrohre auswischten, richteten sich auf, um Phalarope bei ihrer langsamen und eleganten Annäherung zu beobachten.
Gepreßt sagte Allday:»Seht sie euch an, wie dicht sie rangeht! Die Franzosen könnten einem beinahe leid tun.»
Emes ging auf Nummer Sicher und riskierte weder einen Fehlschuß noch sein Schiff. Eine nach der anderen, vom Bug bis zum Heck fortlaufend, feuerten seine Karronaden, nicht mit dem hallenden Krachen der langen Kanonen, sondern mit flachem, hartem Knall — wie mächtige Hämmer, die auf den Amboß schlugen.
Die Karronaden selbst konnte Bolitho nicht sehen, wohl aber die Einschläge, die wie ein Orkan zwischen die restlichen Landungsboote fuhren. Ein Orkan aus großen hohlen Eisenkugeln, die beim Aufprall barsten und einen tödlichen Kartätschenhagel verspritzten.
Wenn eine einzige dieser Kugeln im geschlossenen Raum unter Deck explodierte, verwandelte sie ihre Umgebung in ein Schlachthaus. Ihre Wirkung auf die leichten, dünnwandigen Landungsboote mußte verheerend sein.
Emes ließ sich Zeit und nahm bis auf die Bramsegel alles Tuch weg, damit seine Stückmannschaften in Ruhe ihre Karronaden nachladen konnten. Dann ließ er sie eine letzte Salve abfeuern.
Als das Echo verhallt war und der Rauch sich hob, schwammen nur noch ein knappes Dutzend Boote im Wasser, und auch sie hatten Beschädigungen und Verletzte aufzuweisen.
Bolitho schob sein Fernrohr zusammen und reichte es einem Midshipman. Übers ganze Gesicht grinsend, schlug Inch seinem Ersten Offizier auf die Schulter.
Der ahnungslose Inch. Bolitho blickte auf, als ein gellender Ruf von oben kam:»An Deck!«und dann:»Segel in Lee voraus!»
Ein Dutzend Teleskope hoben sich fast gleichzeitig, und so etwas wie ein Aufseufzen lief über das ganze Oberdeck.
Allday neben Bolitho flüsterte:»Er kommt zu spät, Sir!«Aber in seiner Stimme lag kein Triumph.
Sorgsam ließ Bolitho sein Glas über die glitzernden Wellenkämme wandern. Es waren drei Linienschiffe, die auf diese Entfernung dicht zusammengedrängt wirkten; ihre Wimpel und Flaggen setzten bunte Farbtupfer auf den grauen Himmel. Ein viertes Schiff, wahrscheinlich eine Fregatte, rundete gerade erst die Landzunge.
Die Seesoldaten begriffen, daß die ganze Arbeit noch vor ihnen lag, und traten mit scharrenden Stiefeln näher an die Finknetze heran.
Allday hatte das von Anfang an gewußt, ebenso wie Inch. Aber den hatte die Rolle seines Schiffes im Gefecht so begeistert, daß er diese Erkenntnis verdrängt hatte.
Midshipman Stirling beschattete die Augen, um besser nach der Gruppe heller Segelpyramiden ausspähen zu können. Er spürte Bolithos Blick im Rücken und drehte sich um; in seinen Augen lag nicht mehr Siegesgewißheit, sondern kindliche Verwirrung.
«Kommen Sie näher, Mr. Stirling. «Bolitho deutete auf die fernen Schiffe.»Das ist Remonds Geschwader. Wir haben es heute morgen ziemlich unsanft aufgescheucht.»
«Stellen wir uns zum Gefecht, Sir?«fragte Stirling.
Bolitho blickte ernst auf ihn hinunter.»Sie sind Marineoffizier, Mr. Stirling, ebenso wie Mr. Inch oder ich selbst. Was sollte ich Ihrer Ansicht nach tun?»
Stirling versuchte sich vorzustellen, wie sich all dies im Brief an seine Mutter ausnehmen würde. Aber kein Bild entstand vor seinem geistigen Auge, und plötzlich fürchtete er sich sehr.
«Kämpfen, Sir!«sagte er.
«Dann gehen Sie zu Ihren Signalgasten und halten Sie sich bereit, Mr. Stirling. «Und zu Allday gewandt sagte Bolitho:»Wenn er trotz seiner Angst so sprechen kann, dann sollte das uns allen neuen Mut geben.»