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Für die Großmütter dieser Welt.

Was wären wir ohne euch?

Prolog –

Ich bin ein Held. Oder etwa nicht?

»Gleich habe ich dich, du dummes Vieh!« Der Mann streckt seine Riesenpranke nach Odette aus. Die drückt sich verängstigt in die Ecke, so weit sie nur kann. Aber es ist zwecklos: Gleich wird der Kerl sie am Nacken packen. Glaubt er jedenfalls. Denn er hat natürlich nicht mit mir gerechnet: Winston Churchill, Kater ohne Furcht und Tadel! Ich schätze kurz die Entfernung ab, dann springe ich. Furchtlos und unerschrocken! Den Bruchteil einer Sekunde später lande ich auf den Schultern des Verbrechers. Er stinkt nach Zigarettenqualm und – wie ein Tannenbaum! Also tatsächlich wie das Ding, das Werner an Weihnachten immer in die Wohnung schleppt. Erstaunlich! Für weitere Gedanken über Weihnachtsbäume bleibt mir allerdings keine Zeit, denn nun fängt der Typ an, sich kräftig zu schütteln, um mich loszuwerden. Entschlossen fahre ich mit meinen Krallen über seine Wange.

»Aaaah! Was ist das?« Sofort zieht er seinen Arm von Odette zurück und versucht stattdessen, nach mir zu schlagen. Aber er erwischt mich nicht, ich bin einfach zu geschickt. Odette, die schönste weiße Katze von allen, springt aus ihrer Ecke hervor.

»Lauf, Odette, lauf weg!«, rufe ich ihr zu. »Ich werde ihn so lange ablenken!«

»Nein, Winston, ohne dich werde ich nicht gehen!«

»Doch, es ist besser so! Lauf!«, rufe ich noch einmal, aber mein kleines Katzenherz macht einen freudigen Sprung, weil Odette bei mir bleiben will. Bevor mich der Kerl abschütteln kann, verpasse ich ihm noch einen Tatzenhieb. Er heult auf und schlägt wieder nach mir.

»Oh, Winston«, haucht Odette, »du bist so …

… dick geworden! Mach mal Platz!«

DICK geworden? Odette!!! Was soll das? Ich reiße die Augen auf und starre Odette fassungslos an. Wie kann sie mich nur so beleidigen? Ich bin doch ihr Held und Retter!

Gestatten:

Winston Kater, Mädchenberater.

Keinesfalls Stubentiger!

Es ist gar nicht Odette, die mich aufs Übelste beleidigt hat. Es ist mein menschlicher Mitbewohner, Professor Werner Hagedorn, der sich offensichtlich hinsetzen will. Und zwar auf das Sofa, auf dem ich gerade liege und davon träume, wie ich Odette vor einem bösen Verbrecher rette. Mist! Es war so ein toller Traum und ich hätte wirklich gern gewusst, was Odette gerade zu mir sagen wollte. Im wirklichen Leben haben wir uns nämlich noch nicht so furchtbar häufig miteinander unterhalten. Schließlich wohne ich hier oben im zweiten Stock der Hochallee 106a und Odette stromert meist im Hinterhof unseres Hauses herum. Aber anstatt zu erfahren, was Odette mir ins Ohr gehaucht hätte, werde ich von Werner unsanft zur Seite geschoben. Dann lässt er sich neben mich auf das Sofa plumpsen. Frechheit! Beleidigt hüpfe ich auf den Boden. Wenn Werner denkt, dass ich mich jetzt von ihm kraulen lasse, hat er sich getäuscht. Für Streicheleinheiten bin ich überhaupt nicht auf ihn angewiesen, pah! Jedenfalls nicht mehr, denn seit Kurzem wohnen Werner und ich nicht mehr allein in unserer großen Altbauwohnung in Hamburgs vornehmem Stadtteil Harvestehude. Wir haben nämlich zwei sehr nette Mitbewohnerinnen bekommen – Anna und Kira. Erst hat Anna nur tagsüber als Haushälterin bei uns gearbeitet, aber seit sie vor ihrem Exfreund geflüchtet ist, lebt sie mit ihrer Tochter Kira bei uns.

Kira und ich haben schon ein unglaubliches Abenteuer zusammen erlebt, und obwohl ich immer dachte, dass ich Kinder nicht ausstehen kann, sind wir mittlerweile die besten Freunde. Ein Grund mehr, den doofen Werner auf dem Sofa sitzen zu lassen und jetzt nach Kira zu suchen!

Ich laufe bis zum Ende des langen Wohnungsflures. Dort befindet sich unser ehemaliges Gästezimmer, das jetzt von Kira bewohnt wird. Die Tür ist nur angelehnt. Mit meiner Nase stupse ich sie einen Spaltbreit auf und husche ins Zimmer. Kira sitzt an dem kleinen Schreibtisch unter dem Fenster. Wahrscheinlich erledigt sie gerade ihre Schularbeiten. Mit zwei Sätzen springe ich erst vom Boden auf das Bett, dann von dort auf den Schreibtisch. Tatsächlich: Kira schreibt gerade irgendetwas in ein Schulheft.

»Hallo, Winston!«, ruft sie fröhlich und krault mich hinter den Ohren. Maunz, das ist doch mal eine angemessene Begrüßung! Ich mogle mich von der Tischplatte auf Kiras Schoß und beginne zu schnurren. Wenn ich schon meinen schönen Traum nicht weiterträumen durfte, habe ich mir jetzt wenigstens ganz ausgiebige Streicheleinheiten verdient. Ich schnurre lauter.

»Ja, mein Süßer! Das gefällt dir, stimmt’s?« Kira lächelt. »Übrigens haben sich Pauli und Tom nach dir erkundigt. Wollten wissen, wie es dir geht.«

Pauli, die eigentlich Paula heißt, und Tom sind Klassenkameraden von Kira und zugleich ihre besten Freunde. Gemeinsam besuchen sie die 7c des Wilhelminen-Gymnasiums. Die beiden sind wirklich schwer in Ordnung – davon konnte ich mich schon höchstpersönlich überzeugen. Wie mir das als Kater gelungen ist? Ganz einfach: Indem ich mit Kira den Körper getauscht und selbst als zwölfjähriges Mädchen die Schulbank gedrückt habe. UNMÖGLICH? Nein. So war es wirklich! Und dann haben wir sogar noch einem Verbrecher das Handwerk gelegt und Annas Mutter vor Riesenärger mit der Polizei bewahrt, bevor wir wieder zurückgetauscht haben. Heilige Ölsardine, das war vielleicht eine aufregende Geschichte!

Aber der Reihe nach: Vor einigen Wochen sind Kira und ich auf einer Baustelle in ein Gewitter geraten und vom Blitz getroffen worden. Und zwar genau in dem Moment, in dem wir uns beide gewünscht hatten, jemand anderes zu sein. Tja, der Wunsch wurde uns erfüllt, denn als wir nach dem Blitzschlag wieder zu uns kamen, war nichts mehr wie vorher: Ich, Winston, steckte in Kiras Mädchenkörper. Sie, Kira, war auf einmal der schwarze Britisch-Kurzhaar-Kater Winston. Und wir beide konnten auf einmal die Gedanken des anderen lesen! Obwohl Letzteres ziemlich praktisch war, hat uns dieser Tausch überhaupt nicht gepasst. Mir schon deshalb nicht, weil ich auf einmal jeden Morgen als Kira zur Schule gehen musste – das fand ich anfangs ganz schrecklich! Die fiese Leonie und ihre ätzende Mädchenclique haben versucht, mich fertigzumachen. Vielleicht hätten sie das sogar geschafft, wenn es Tom und Pauli nicht gegeben hätte. Aber so konnte mir nichts passieren. Ein bisschen stolz bin ich schon darauf, dass ich die beiden für Kira als Freunde gewinnen konnte – die wussten schließlich anfangs nicht, dass ich eigentlich ein Kater bin, und von selbst wäre Kira wohl nicht auf die Idee gekommen, sich mit ihnen anzufreunden. Also wurde ich gewissermaßen zum Mädchenberater.

Trotz dieser spannenden Erfahrung wollte ich nicht bis in alle Ewigkeit in Kiras Körper stecken bleiben. Im Grunde meines Herzens bin ich eben ein Vier- und kein Zweibeiner. Aber wie sollten wir den Tausch bloß rückgängig machen? Als es schon ganz aussichtslos schien, kam Tom die rettende Idee, für die wir nicht einmal einen Blitz brauchten … Ich mache es kurz: Die Geschichte bekam ihr Happy End – Kira war wieder ein Mädchen, ich wieder ein Kater. Unsere Gedanken können wir seitdem leider auch nicht mehr lesen. Jedenfalls nicht mehr wörtlich. Richtig gut verstehen tun wir uns aber trotzdem noch. Und deswegen weiß Kira, dass ich mich auch riesig freuen würde, Tom und Pauli einmal wiederzusehen!

»Ich habe mir überlegt, dass ich dich zu unserem nächsten Treffen einfach mitnehme. Das findet zufälligerweise heute Nachmittag in der Eisdiele statt. Und bevor wir dort aufkreuzen, könnten wir eigentlich noch einen Schlenker über den Hinterhof machen und deine Kollegen besuchen. Oder eine bestimmte Kollegin.« Kira grinst. Natürlich weiß sie, wie toll ich Odette finde. Schließlich haben wir uns oft genug darüber unterhalten, als wir noch unsere Gedanken lesen konnten. Odette ist die schönste Katze, die ich kenne. Sie hat schneeweißes, seidig schimmerndes Fell und tiefschwarze Augen, in denen ich regelrecht ertrinken könnte. Und obwohl sie als wilde Hofkatze lebt, ist sie eine echte Dame. Leider hat sie mich lange Zeit für einen aufgeblasenen, arroganten und verweichlichten Stubentiger gehalten. Was natürlich kompletter Blödsinn ist! Ich bin gebildet, nicht eingebildet – ein Riesenunterschied! Deswegen hat Kira mir Tipps gegeben, wie ich bei Odette punkten könnte. Und die waren nicht mal schlecht. So sind Odette und ich nun immerhin lose befreundet, und wenn wir uns zufällig im Hof begegnen, plaudern wir nett über Belanglosigkeiten wie das Wetter oder die letzte Mahlzeit. Für einen Helden – so wie in meinem Traum – hält mich Odette aber mit Sicherheit nicht. Noch nicht. Denn ich bin wild entschlossen, das zu ändern!