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ROOOAAAAARRRRMMM! Ohrenbetäubender Lärm aus dem Flur. Vor Schreck falle ich fast wieder aus dem Bett. Anna hat tatsächlich den Staubsauger angeschmissen. Kann man denn hier nirgendwo seine Ruhe finden? Ich drücke meinen Kopf tiefer in die Decke, vielleicht dämpft das den Lärm etwas? Fehlanzeige. Anna scheint direkt auf Kiras Zimmer zuzusaugen, der Lärm wird immer lauter. Ein Wunder, dass Kira nicht aufwacht, aber tatsächlich atmet sie noch ganz ruhig ein und aus.

So soll es aber nicht lange bleiben, denn in diesem Moment reißt Anna Kiras Zimmertür auf und steht mit dem Teufelssauger mitten im Raum. Miau! Was soll das? Nun wird auch Kira wach und rappelt sich müde hoch.

»Hey, was ’n hier los?«

Anna schaltet den Sauger kurz aus. »Hast du es schon vergessen? Babuschka kommt um elf Uhr. Wir müssen die Wohnung noch putzen und dann hilfst du mir bitte, für heute Mittag Pelmeni vorzubereiten. Also, zack, zack, aufstehen, sonst schaffen wir das alles gar nicht mehr!« Sie schaltet den Sauger wieder an, zerrt ihn aus dem Zimmer und saugt weiter wie eine Besessene.

Kira gähnt und reibt sich die Augen. »Stimmt. Babuschka. Habe ich vor lauter Theaterspielen fast vergessen.« Sie seufzt und schwingt ihre Beine aus dem Bett. »Komm, Winston. Gegen Babuschka ist kein Kraut gewachsen. Besser, wir helfen freiwillig.«

Wer oder was ist Babuschka? Oder Pelmeni? Klärt mich hier vielleicht mal jemand auf? Kira schlüpft in ihre Hausschuhe und schlurft aus dem Zimmer. Aha. Dann eben nicht. Macht ja nichts. Ich bin hier schließlich nur der Kater …

Ich flüchte ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa bin ich bestimmt sicher vor Annas Putzwut. Auf dem Weg dorthin stolpere ich fast über Werner, der anscheinend auch von dem Lärm geweckt worden ist, jedenfalls läuft er in seinem gestreiften Pyjama herum, den er normalerweise nur im Schlafzimmer trägt.

»Hoppla! Vorsicht, Winston! Ganz schön viel los hier für einen Samstagmorgen.« Wem sagt er das! Ich schnurre und reibe mich an seinen Beinen. Er lacht und hebt mich hoch. »Komm, ich hole kurz die Zeitung aus dem Briefkasten, setze einen Kaffee auf und dann verziehen wir beide uns aufs Sofa. Sonst saugt Anna uns noch weg!«

Eine ausgezeichnete Idee! Die mit dem Sofa, meine ich. Aber bevor Werner sie in die Tat umsetzen kann, steht Anna schon neben ihm und hebt streng den Zeigefinger. »Herr Professor! Wenn ich gleich die Kissen vom Sofa ausgeschüttelt und abgesaugt habe, sollte sich Winston besser ein anderes Plätzchen suchen. Zum Beispiel seinen Korb. Den habe ich extra schon in die Küche zu seinem Napf gestellt. Meine Mutter ist da sehr pingelig – Tierhaare in der Wohnung kann sie auf den Tod nicht ausstehen.«

Annas Mutter? Also Kiras Oma? Was bitte hat die denn mit der ganzen Aktion zu tun? Die wohnt doch gar nicht bei uns, sondern in Omsk. Hat mir Kira mal erzählt. Wo auch immer das sein mag. Werner seufzt. »Auweia, das nimmt ja Ausmaße eines Staatsbesuches an.«

»Das tut mir leid. Meine Mutter ist wirklich eine Urgewalt. Ein herzensguter Mensch, aber nicht immer ganz einfach. Meine Schwester Olga klang am Telefon leicht verzweifelt. Immerhin wohnt meine Mutter nun schon vier Wochen dort. Ich musste Olga einfach anbieten, dass sie jetzt auch mal zu uns kommen kann. Es sind ja nur zwei Wochen, dann fliegt sie wieder nach Russland.«

Werner lacht. »Ja, Mütter. Ein Kapitel für sich.«

Wie meint er das? Seine Mutter, also Frau Hagedorn, ist eine ganz reizende ältere Dame. Ab und zu besucht sie uns, dann hält sie sehr vornehm ihre Teetasse und erzählt von ihrer Bridgerunde und davon, wie schlecht erzogen die Kinder von Werners Bruder ihrer Meinung nach sind – eine Auffassung, die ich im Übrigen teile! Selbstverständlich darf ich in dieser Zeit auf dem Sofa liegen. Sobald Mutter Hagedorn dann ihren Tee getrunken hat, fährt Werner sie auch schon wieder nach Hause. Sehr unkompliziert. Noch nie ist ihretwegen mitten in der Nacht staubgesaugt oder sonst irgendwelcher Unsinn veranstaltet worden!

Anna holt tief Luft. »Danke für Ihr Verständnis, Herr Professor.«

 »Keine Ursache, Anna. Wir wollen natürlich bei Ihrer Mutter einen guten Eindruck machen. Und so schlimm wird es schon nicht werden. Ich fürchte allerdings, Winston, du wirst die nächsten Tage hauptsächlich in der Küche verbringen müssen.«

WAAAS? Ich bekomme Sofaverbot? Bloß weil Oma Kovalenko offenbar beschlossen hat, das beschauliche Omsk zu verlassen und in Hamburg nach dem Rechten zu sehen? Das darf ja wohl nicht wahr sein! Und was heißt denn so schlimm wird es schon nicht werden? Das ist schon schlimm genug! Zudem kommt doch gleichzeitig ein geheimnisvoller Babuschka und beide Besucher zusammen verursachen im Vorfeld einen Aufruhr, dass sich mir die Schnurrhaare kräuseln. Am liebsten würde ich abhauen – nur: Wohin?

Ich laufe in den Flur und lege mich unschlüssig auf einen der Läufer, die Anna gerade gesaugt hat. Mein Körbchen ist schließlich nicht mehr da. Kira kommt aus dem Bad, angezogen, frisch gekämmt und fröhlich pfeifend. Wie kann man nur am frühen Morgen schon so wach und gut gelaunt sein? Sie kniet sich neben mich und krault mich am Kinn.

»Ich bin mal gespannt, wie du meine Oma findest. Ich habe Babuschka schon ziemlich lange nicht mehr gesehen, sie wohnt nämlich normalerweise in Russland. Aber ich glaube, sie ist sehr nett. Allerdings sehr streng – wenn sie Deutsch spricht, klingt das meistens wie ein Befehl.«

ACH SO! Jetzt rattert es langsam in meinem Katerhirn: Babuschka und Oma sind ein und dieselbe Person. Ob das die Sache allerdings besser macht, weiß ich nicht. Sofaverbot habe ich ja trotzdem. Und was Pelmeni sind, hat mir immer noch keiner gesagt.

»Ich hole jetzt mal Brötchen. Mein Zimmer kann ich auch noch nach dem Frühstück aufräumen. Willst du vielleicht mitkommen?«

Vielleicht ist das eine gute Idee. Hier oben hat man mich ja zur unerwünschten Person erklärt. Eine Frechheit ist das! In meiner eigenen Wohnung!

Unten angekommen beschließe ich, dass ich doch nicht mit zum Bäcker laufen will. Lieber besuche ich meine neuen Freunde. Während Kira also die Straße hinunterschlendert, biege ich Richtung Hof ab.

»Hey, da kommt unser viertes Muskeltier! Hallo, Winston«, begrüßt mich Spike sofort freudig. »Gut, dass du kommst! Ich habe einen Plan!«

Ich springe zu Spike auf den Mülltonnenunterstand und lege mich neben ihn. »Hallo, Spike. Was für einen Plan denn?«

»Also, Odette hatte doch auch schon mal von dieser Muskeltier-Geschichte gehört.« Ich maunze zustimmend. Odette ist eben eine sehr gebildete Dame. »Sie hat sich auch noch erinnert, wie die Geschichte so ungefähr ging, und sie uns dann erzählt.«

»Aha.« Mehr fällt mir dazu nicht ein. Worauf will Spike hinaus?

»Und jetzt pass auf: Es ist eine richtige Abenteuergeschichte! Die Jungs retten nämlich die Ehre der Königin und müssen dafür richtig gefährliche Sachen machen. Also sogar bis nach England reisen und in ein fremdes Haus schleichen. Ich meine, ich weiß jetzt nicht genau, wo England ist – aber klingt das nicht aufregend?«

Ich weiß zwar ungefähr, wo England ist. Schließlich hatte ich ja dank meines Körpertausches mit Kira eine Zeit lang Englischunterricht. Aber was daran aufregend sein soll, erschließt sich mir noch nicht ganz. Offenbar sieht man mir das an, denn jetzt legt Spike nach.

»Mensch, Winston! Denk doch mal nach – was für ein Leben führen wir denn hier so? Wir liegen rum und fressen. Total langweilig! Aber wir sind doch jetzt die vier Muskeltiere – wir sind gewissermaßen dazu geboren, Abenteuer zu erleben! Richtige Abenteuer! Wir sollten nach einem Abenteuer Ausschau halten, in das wir uns stürzen können. Von mir aus auch nach einem Geheimnis, das es zu lüften gilt. Das sind wir unserem neuen Namen schuldig!«

»Hm.« Mehr sage ich nicht. Denn ich kann Spike schlecht erzählen, dass ich in den vergangenen Wochen in der Tat schon ein richtiges Abenteuer erlebt habe und eigentlich ZIEMLICH froh war, wieder in meinem Katzenkörper und auf dem heimischen Sofa zu landen. Das würde er mir sowieso nicht glauben.