»Also, ich weiß nicht, Spike«, kommt es in diesem Moment von der Seite – Karamell und Odette sind aufgetaucht.
»Wieso, Karamell? Was ist denn falsch an meiner Idee?«
»Ich finde, mein Sturz in den Müllcontainer war schon Abenteuer genug. Mehr davon brauch ich definitiv nicht!«
Gerade will ich ihm recht geben und erklären, dass auch mein Bedarf an Abenteuern völlig gedeckt ist, da sehe ich dieses Glitzern in Odettes Augen. Nein, es ist nicht nur ein Glitzern, es ist ein Leuchten, ein Strahlen, das ganz aus Odettes Innerem zu kommen scheint. Sofort ist mir klar: Diese Frau liebt das Abenteuer! Ich räuspere mich.
»Also, Spike, ich sehe es genauso wie du. Unser Leben ist viel zu langweilig. Wir brauchen ganz dringend ein Abenteuer. Schließlich sind wir die vier Muskeltiere!«
»Klasse, Kumpel!«, freut sich Spike. »Das ist genau die richtige Einstellung!« Odette sagt nichts, aber das Strahlen scheint noch stärker geworden zu sein, ihr Schwanz schlägt unruhig hin und her – und dann schenkt sie mir einen bewundernden Blick, für den sich das gefährlichste Abenteuer der Welt lohnen würde!
»Okay«, erklärt Spike. »Ab sofort sperrt jeder von uns die Augen nach einem aufregenden Abenteuer oder einem geheimnisvollen Geheimnis auf!«
Karamell seufzt. »Na gut, wenn ihr meint.«
»Ja, meinen wir!« Spike klingt so entschlossen, wie ein fetter getigerter Kater nur klingen kann, und ich bin gespannt, wo er nun so plötzlich ein Abenteuer oder Geheimnis herkriegen will.
Da kommt mir selbst eine Idee. Ein Geheimnis! Gut, vielleicht ist es kein wirklich großes – aber es ist das erste, was mir auf die Schnelle einfällt. Und für unseren Start als abenteuerlustige Muskeltiere reicht es bestimmt …
Manchmal wird aus einem kleinen Geheimnis plötzlich ein riesengroßes.
Wenn man nicht durch die große Eingangstür hineinspazieren kann, ist es gar nicht so einfach, in die Villa hineinzukommen. Vor allem nicht, wenn man wie Spike deutliches Übergewicht hat und schon lange nicht mehr hinter Mäusen herjagen muss, weil man ständig heimlich von Anna und Kira gefüttert wird. Karamell, Odette und ich sitzen schon auf der efeuüberrankten Mauer, die den Garten des Hauses umgibt, und feuern Spike an, aber der stellt sich so dämlich an, dass wir wahrscheinlich einen Kran bräuchten, um ihn zu uns hochzuhieven.
»Mensch, Spike, es ist doch ganz leicht: Klettere auf den Baum und dann spring den letzten Meter!« Ich versuche, möglichst viel Zuversicht in meine Stimme zu legen, aber das ist nicht einfach, schließlich ist Spike schon bei seinem letzten Anlauf gescheitert und außerdem gerade von zwei Eichhörnchen überholt worden, die mittlerweile in sicherer Entfernung sitzen und sich schlapplachen. Verdammt. So wird das nichts!
»Ich weiß auch nicht, Winston – früher hatte ich mit so etwas überhaupt keine Probleme. Aber heute …« Spike klingt niedergeschlagen und ich überlege, ob es nicht besser wäre, die ganze Aktion abzublasen. Es war sowieso eine blöde Idee und so wahnsinnig aufregend ist das Geheimnis, das sich hinter diesen Mauern verbirgt, nun auch wieder nicht. Wen interessiert schon ernsthaft, ob Emilia wirklich krank ist oder nur die Schule schwänzt? Aber um genau das herauszufinden, habe ich Spike, Odette und Karamell zum Haus von Emilia geschleift.
»Okay, dann lass uns die Geschichte hier vergessen und alle wieder nach Hause gehen«, schlage ich deshalb kurzerhand vor.
»Das ist die erste gute Idee, die ich heute von dir höre.«
Gut, dieser Kommentar von Karamell ist wenig überraschend. Aber was sagt Odette dazu? Ihre Meinung ist mir ehrlich gesagt am wichtigsten.
Sie scheint kurz nachzudenken, dann legt sie den Kopf schief. »Nein. Wir können doch nicht beim ersten kleinen Problem aufgeben. Wenn Spike die Mauer nicht hochkommt, dann muss er eben warten, bis wir wieder da sind. Ist vielleicht sowieso ganz gut, wenn einer draußen aufpasst. Falls uns drinnen etwas passiert, kann Spike Hilfe holen.«
»Falls uns drinnen etwas passiert?«, echot Karamell nervös.
Okay, ein falsches Wort jetzt und es bleiben genau noch zwei Abenteurer übrig: Winston und Odette. Wobei – eigentlich ein ganz schöner Gedanke!
»Na ja«, sage ich deshalb, »man weiß ja nie! Vielleicht haben die einen Hund oder eine Alarmanlage oder was weiß ich. Ohne Gefahr wär’s ja kein Abenteuer, sondern ein Ausflug.«
Karamell schluckt trocken. »Äh, meint ihr nicht, es wäre besser, wenn ich auch hierbliebe? Auf der Mauer? Also, wenn da drinnen etwas passiert, dann könnt ihr mir hier ein Zeichen geben und ich gebe wiederum Spike ein Zeichen. Und er holt Hilfe.«
Hihi! Dem habe ich anscheinend tatsächlich Angst eingejagt! »Klar, ist bestimmt eine gute Idee, wenn du hier wartest«, sage ich möglichst ernst, obwohl ich am liebsten kichern würde. Ich meine – alles, was wir vorhaben, ist, in ein stinknormales Haus zu schlüpfen und zu überprüfen, ob ein Kind dort eher im Bett liegt oder fröhlich herumhüpft. Gut, ich habe es meinen Mitmuskeltieren natürlich etwas spannender verkauft, damit sie überhaupt mitkommen. Tatsächlich habe ich ihnen etwas von »Kind in Gefahr« erzählt und dass ich glaube, dass Emilia etwas Schlimmes zugestoßen ist, was niemand wissen darf.
Odette schlägt mit dem Schwanz hin und her. »Wirklich, Karamell, nun sei nicht so ein Angsthase!«
»Ich hab keine Angst. Ich finde nur, ich sollte euch lieber Rückendeckung geben. Genau wie Winston sagt.«
»Wie du meinst. Dann bleib eben hier auf der Mauer. Ich stürze mich jetzt ins Abenteuer. Komm, Winston!« Mit einem äußerst eleganten Satz springt Odette in den Garten. Ohne zu zögern, folge ich ihr. Was für ein toller Tag – gemeinsam mit Odette einem Geheimnis auf der Spur!
Im Garten brauchen wir nicht lange nach einer Möglichkeit zu suchen, ins Haus zu gelangen: Die Terrassentür steht offen. Vorsichtig schleichen wir uns an – was völlig überflüssig ist, denn außer uns beiden ist niemand da.
»Kennst du dich im Inneren des Hauses aus?«, will Odette von mir wissen.
»Nee, ich war nur mit Kira und ihren Freunden in der Eingangshalle. Dort wurden wir ja gleich abgewimmelt. Von einer Frau, die behauptete, Emilias Mutter zu sein. Sie sagte, Emilia sei krank. Aber ich bin mir sicher, dass das gelogen war.«
»Also müssen wir das Kinderzimmer suchen. Wenn das Kind dort im Bett liegt, verziehen wir uns schnell wieder. Wenn es nicht dort ist, suchen wir weiter, richtig?«
»Genau.«
»Und wenn wir sie gar nicht finden?«
»Dann überlegen wir weiter. Ich finde, bei einem Abenteuer muss man vorher nicht für alle Möglichkeiten einen Plan haben. Sonst wird es langweilig.«
»Hm.« Odette klingt skeptisch. »Ich glaube, die drei Muskeltiere waren auf ihre Mission ziemlich gut vorbereitet. Ich weiß nicht, ob die einfach so in ein Haus marschiert wären.«
»Also erstens waren die keine Katzen. Die mussten sich natürlich viel mehr Gedanken machen, damit sie nicht sofort entdeckt werden.«
»Aha. Und zweitens?«
»Wieso zweitens?«
»Na, du hast doch gerade erstens gesagt.«
Stimmt. Was war noch mal zweitens? »Äh, zweitens, äh … und zweitens wird schon alles gut gehen.« Das ist natürlich kein tolles Argument, aber ich bin sowieso davon überzeugt, dass wir gleich über eine putzmuntere Emilia stolpern werden, die einfach keine Lust hatte, zur Schule zu gehen.
»Dann los. Meinst du wirklich, die haben einen Hund?«
»Glaube ich nicht. Ich wollte Karamell gestern nur ein bisschen ärgern.«
Langsam stromern wir von der Terrasse ins Haus und landen in einem gläsernen Zimmer. Miau, so etwas habe ich noch nie gesehen: Der Raum besteht nur aus Fenstern.
»Wow! Ein Wintergarten!« Odette scheint sofort zu wissen, worum es sich bei diesem Zimmer handelt. Das wundert mich nicht. Ich bin mir sicher, dass Odette von sehr edler Herkunft ist. Bestimmt hat sie auch einmal in solch einer Villa gewohnt. Ich verkneife mir die Frage, was denn ein Wintergarten ist, schließlich bin ich ein Professorenkater und will nicht zugeben, dass ich keine Ahnung habe.