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»Wo könnte denn das Kinderzimmer sein, Odette? Kennst du dich in Häusern mit Kindern aus?«

»Ein bisschen. Ich habe zwar selbst noch nie in einem gelebt, aber mal eins besucht. Da waren die Kinderzimmer die Treppe hoch. In diesem Haus muss auch eine Treppe sein, so groß wie das ist.«

Wir schleichen also vom Wintergarten aus weiter. Der nächste Raum ist eindeutig: ein sehr großes Sofa, zwei große Ledersessel und ein Couchtisch – das Wohnzimmer. Und hier wird es auch schon gefährlich, denn sowohl auf dem Sofa als auch auf den Sesseln sitzen Menschen. Hoffentlich fliegen wir nicht gleich auf!

Odette und ich drücken uns ganz fest an die Wand und ducken uns so tief, dass wir eher kriechen als laufen. Ich merke, wie mein Herz anfängt zu rasen. Gleich sind wir auf Höhe der Menschen – wenn die sich jetzt umdrehen, sind wir geliefert!

Aber die Menschen sind so in ihr Gespräch vertieft, dass sie uns nicht bemerken. Vorsichtig riskiere ich einen Blick auf sie: Sofort erkenne ich Emilias Mutter. Sie weint. Neben ihr sitzt ein Mann, den ich noch nie gesehen habe, und hat den Arm um sie gelegt. Außerdem sind da noch zwei fremde Männer, die in den Sesseln sitzen und eindringlich auf das Paar einreden. Eine sehr seltsame Zusammensetzung! Jetzt hebt die Frau den Kopf und guckt sich um, als hätte sie ein Geräusch gehört. Schnell laufe ich hinter Odette her, die schon fast im Flur ist. Hoffentlich hat mich Emilias Mutter nicht gesehen!

Nein: Ich habe Glück und bleibe unerkannt. Schwer atmend setze ich mich auf die Fußmatte an der Eingangstür.

»Hey, Winston! Hast du geträumt?«, schimpft Odette. »Das war ganz schön knapp! Lass uns mal überlegen, wie wir hier am besten wieder rauskommen. Noch einmal durch das Wohnzimmer ist bestimmt keine gute Idee.«

In diesem Moment klingelt es an der Haustür. Mist! Hier stehen wir rum wie auf dem Präsentierteller!

»Schnell, komm!« Odette huscht zu der Nische, in der die Statue steht, und kauert sich dahinter auf den Boden. Mit einem Satz bin ich neben ihr. Mein Herz klopft so laut, dass ich das Gefühl habe, jeder im Raum müsste es hören.

Einer der Männer, die eben auf dem Sessel saßen, kommt in den Flur und öffnet die Tür. Dort steht: die Polizei! Mir wird abwechselnd heiß und kalt! Möglicherweise verwandelt sich der kleine Ausflug doch noch in ein echtes Abenteuer.

Der Mann reicht den Polizisten freundlich die Hand. »Grüß euch, Kollegen! Es gibt tatsächlich wieder ein neues Erpresserschreiben. Das könnt ihr gleich mit ins Präsidium nehmen.«

»Was sagen die Eltern?«, will einer der Polizisten wissen.

»Das Schreiben steckte vorhin im Briefkasten. Sonst haben sie nichts bemerkt.«

Erpresser? Schreiben? Präsidium? Ich versteh nur Bahnhof. Meine Krimikenntnisse aus langen Fernsehabenden mit Werner Hagedorn helfen mir jedenfalls gerade nicht weiter. Ich stupse Odette an. »Hast du eine Ahnung, wovon die reden?«

»Nee. Aber gut klingt das nicht. Ein Erpresser ist jedenfalls ein echter Verbrecher. Der droht Leuten, damit sie ihm Geld geben. Vielleicht kriegen wir mehr raus, wenn wir weiter lauschen. Komm, wir schleichen zurück ins Wohnzimmer.«

»Meinst du? Ich glaube, es ist besser, wenn wir Land gewinnen.« Mein Heldenmut ist auf einmal wie weggewischt.

Der von Odette leider nicht: »Winston, du klingst schon wie Karamell! Ich dachte, wir sind auf der Suche nach einem Abenteuer! Jetzt finden wir endlich eins und du machst dir gleich ins Hemd!« Dieser Vorwurf ärgert mich, aber er ist natürlich nicht ganz unberechtigt. »Du kannst ja wieder durch den Garten abhauen und dich zu den anderen Schissern setzen. Dann könnt ihr mir schön zu dritt Rückendeckung geben.« Autsch! Das hat gesessen!

»Auf keinen Fall lasse ich dich hier allein. Wenn du wissen willst, was hier vor sich geht, bleibe ich natürlich bei dir.«

Gemeinsam schleichen wir ins Wohnzimmer zurück und verstecken uns hinter einer Stehlampe. Der Mann geht mit den beiden Polizisten zum Sofa und hebt ein Blatt Papier vom Tisch auf. Dann liest er es laut vor:

»Was ist Euch Euer Töchterlein wert? Ich erhöhe den Preis: 2 Millionen Euro Lösegeld. Und keine Polizei. Das war meine Bedingung – aber Ihr habt Euch nicht daran gehalten. Ich habe die Bullen gesehen. Schluss damit! Sonst seht Ihr Emilia nicht wieder. Das ist kein Spiel. Drei Ausrufezeichen.« Er gibt das Blatt weiter. »Hm, hier meint es jemand ernst.«

Die Frau schluchzt laut auf, die anderen Männer schweigen. Heilige Ölsardine, wo bin ich da bloß reingeraten? Ich wollte doch nur Odette ein bisschen beeindrucken und Zeit mit ihr verbringen! Wenn ich gewusst hätte, dass hier ein echtes Verbrechen stattgefunden hat, hätte ich mich ferngehalten!

Odette stupst mich in die Seite. »Coole Sache, Winston! Du hattest genau den richtigen Riecher! Emilia ist wirklich nicht krank, sie ist entführt worden. Wie gut, dass du die Idee hattest, noch mal hierherzukommen. Jetzt können wir helfen, Emilia zu retten. Ich bin stolz auf dich!«

Grundgütiges Katzenklo, wie komme ich aus der Nummer bloß wieder raus? Und schon fängt meine Schwanzspitze an zu jucken …

Von Helden und Gurken.

»Warum hast du das Blatt mitgenommen?«

»Ich will es Kira zeigen. Damit sie weiß, was hier los ist!«

»Du willst WAS?« Odette reißt ungläubig die Augen auf und starrt mich an.

Als Emilias Eltern mit der Polizei in einen Nebenraum gegangen sind, um zu besprechen, wie man das Telefon abhören könnte, falls der Erpresser anruft, haben wir unsere Chance genutzt und uns aus dem Staub gemacht. Vorher habe ich allerdings den Erpresserbrief aus einem Wust anderer Zettel vom Couchtisch gefischt.

Und nun sitzen wir nach einem olympiareifen Spurt durch den Garten schwer atmend und mit klopfenden Herzen auf der anderen Seite der Mauer. Neben uns hockt Karamell, der von unserem plötzlichen Erscheinen aus seinem kleinen Nickerchen in der Sonne gerissen wurde. Tolle Rückendeckung! Aber wenigstens hat Spike sich von seiner missglückten Baumbesteigung wieder erholt und betrachtet jetzt das Blatt Papier mit den aufgeklebten Buchstaben, das ich vorsichtig vor mir im Gras ablege. Dafür, dass ich es im Maul über eine Mauer hinwegtragen musste, sieht es noch aus wie neu. Vielleicht ein bisschen angesabbert am Rand, aber ansonsten: tadellos!

»Lass mich raten: Emilia ist gar nicht krank, sondern sitzt zu Hause und bastelt«, meint Spike.

»Falsch«, erwidere ich.

»Aber warum hast du das Papier denn mitgeschleppt? Ist das keine Bastelarbeit? Es erinnert mich an die Sachen, die kleine Menschen immer im Kindergarten basteln.«

»Tja, in einem Punkt hast du recht: Das hat wirklich ein Mensch gebastelt«, erkläre ich. »Allerdings kein kleiner, sondern ein großer. Das Papier ist ein Erpresserbrief. Darin fordert der Verbrecher, der die arme Emilia entführt hat, zwei Millionen Euro von ihren Eltern. Sonst gibt er Emilia nicht zurück.«

»Hä?«, fragen Spike und Karamell wie im Chor.

»Also, für euch zum Mitschreiben: Odette und ich haben herausgefunden, dass Emilia entführt worden ist. Sie ist gar nicht krank, sondern befindet sich in den Fängen eines Verbrechers. Und dieser Zettel ist der Beweis. Der Erpresser schreibt, dass er Lösegeld will. Deswegen habe ich den Brief auch mitgenommen. Denn das hier ist eine Nummer zu groß für uns. Auch wenn wir Muskeltiere sind – wir müssen Kira und ihren Freunden Bescheid sagen!«

»Und du irrst dich auch nicht?« Odette ist skeptisch. »Ich meine, da lagen doch ganz viele Zettel auf dem Tisch. Bist du sicher, dass du den richtigen erwischt hast?«

»Ja. Todsicher.«

»Warum? Du kannst doch nicht lesen.«