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Äh. Stimmt. Offiziell kann ich nicht lesen. Und ich glaube kaum, dass nun der richtige Zeitpunkt ist, Odette und den anderen zu erklären, dass ich es nämlich doch kann – und vor allem, warum. Die halten mich garantiert für komplett verrückt! Und dann bin ich sie bestimmt wieder los, meine neuen Freunde. Mist, was sage ich denn bloß?

»Ich, äh, ich, also …«

»Du was?«, bohrt Odette nach.

»Ich … habe es erschnuppert. Genau. Der Zettel riecht doch genauso wie der Mann, der ihn eben die ganze Zeit in den Händen hielt. Dieser Zettel muss es einfach sein!« Ob sie das als Erklärung schluckt?

»Wow – du scheinst ja eine Nase wie ein Hund zu haben. Also, so empfindlich, nicht so lang, meine ich. Respekt!« Puh! Gerade noch mal gut gegangen! Odette schnuppert nun selbst an dem Zettel.

»Hm, ich finde, der riecht irgendwie ein bisschen nach … Tannengrün.« Sie schnuppert noch einmal. »Genau. Der Zettel riecht wie ein Weihnachtsbaum.«

Wie ein Weihnachtsbaum. Für den Bruchteil einer Sekunde fühle ich mich an etwas erinnert, aber bevor mir einfällt, woran, ist der Moment auch schon vorbei.

»Aber was willst du denn mit Kira? Die brauchen wir doch gar nicht«, mischt sich jetzt Spike ein. »Das ist genau die Chance, auf die wir Muskeltiere gewartet haben – ein echtes Abenteuer! Wir fangen den Entführer, retten das Mädchen und sind Helden.«

»Ich glaube, du stellst dir das mit dem Heldentum ein bisschen einfach vor«, versuche ich, Spike von seinem Plan abzubringen. Immerhin weiß ich aus eigener Erfahrung, wie schwierig es in Wirklichkeit ist, einen Verbrecher zu fangen.

»Ach was!«, ruft Spike. »So schwer kann das nicht sein. Die Polizei macht das schließlich jeden Tag – und du willst doch wohl nicht behaupten, dass Menschen klüger seien als Katzen.« Er schnaubt prustend. »Als Nächstes sagst du noch, Hunde könnten logisch denken!«

Jetzt lacht auch Karamell, der sich bisher fein rausgehalten hat. Na großartig – sich erst nicht von der Mauer trauen und jetzt einen auf mutig machen!

»Also, Winston, wenn das nichts für vier gestandene Katzen ist, dann ist es erst recht nichts für kleine Mädchen. Wieso willst du es Kira dann zeigen?«

Eine berechtige Frage, die Karamell da stellt. Aber darauf habe ich natürlich eine gute Antwort. »Ganz einfach: Der Erpresser schreibt, dass Emilia nie wieder nach Hause kommt, wenn die Polizei sich einmischt. Also muss sich jemand anderes darum kümmern. Und Kira, Pauli und Tom haben schon mal einen Kriminellen überführt – den bösen Exfreund von Kiras Mutter Anna. Er war ein Zigarettenschmuggler und wollte Anna erpressen. Ich weiß, dass sie es können. Ich war nämlich selbst dabei und es war unglaublich aufregend.« Dass die Geschichte beinahe in die Hose gegangen wäre und uns am Ende Werner gerettet hat, verschweige ich mal lieber. Ich finde, es tut jetzt auch nichts zur Sache, denn am Ende haben wir dem Verbrecher ja das Handwerk gelegt.

»Du hast schon mal einen Verbrecher gejagt und gefangen?« Odette klingt beeindruckt und das gefällt mir gut.

»Ja, zusammen mit den Kindern«, erwidere ich knapp, um nicht die ganze Geschichte erzählen zu müssen.

»Hm, vielleicht hast du recht und wir sollten Kira tatsächlich einweihen.«

»Pffffrrrrr!«, macht Spike, dem dieser Plan überhaupt nicht gefällt. »Einen Menschen einweihen! Das ist doch lächerlich! Wir sprechen nicht dieselbe Sprache, wie soll das denn gehen?«

»Gegenfrage:«, erwidere ich spitz, »Ein übergewichtiger Kater, der nicht mal über eine stinknormale Mauer kommt, und einer, dem vor lauter Angst die Knie schlottern, wollen einen Erpresser aufstöbern? Wie soll das denn gehen?«

Odette schüttelt den Kopf. »Jungs, nicht streiten! Erinnert euch lieber an die drei Muskeltiere! Die haben ihr Ziel nicht nur mit Kraft, sondern vor allem mit Köpfchen erreicht. Vielleicht ist es am besten, wenn wir zusammenarbeiten: die Kinder und die Muskeltiere. Wichtig ist doch, dass Emilia gerettet wird, und nicht, dass irgendjemand als Held dasteht.«

Wahrscheinlich hat sie recht. Einen Versuch ist es wert. Obwohl ich uns nach meiner heutigen Erfahrung mit Spike und Karamell von »die Muskeltiere« eher in »die Gurkentruppe« umbenennen würde.

Spike seufzt, offenbar ist er zu demselben Ergebnis gekommen: »Na gut. Arbeiten wir mit den Kindern zusammen. Obwohl ich mir momentan nicht vorstellen kann, dass Katzen und Menschen wirklich etwas zusammen machen können. Aber ich lasse mich natürlich gern vom Gegenteil überzeugen.«

Pah – Kater und Kinder sind geradezu ein ideales Team! Ich werde es dem fetten Spike beweisen!

Wie ich sibirische Teigtäschchen probiere. Und schon wieder im Müll lande.

Ein himmlischer Duft weht mir entgegen, kaum dass Kira die Tür aufschließt und mich in die Wohnung trägt. Hm, lecker! Was mag das bloß sein? So etwas habe ich noch nie gerochen! Aber was auch immer es ist – ich muss es auf alle Fälle probieren!

Eigentlich wollte ich Kira als Erstes den Erpresserbrief zeigen, den ich in meinem Maul zusammengeknüllt mit mir herumschleppe. Nicht dass ich von dem Teil noch eine Kiefersperre bekomme! Jetzt aber meldet mir mein Bauch, dass ich RIESENHUNGER habe. Also erst mal das Wichtigste erledigen: fressen!

Ich strample mich von Kiras Arm, spucke den Zettel auf den Boden und will gerade Richtung Küche laufen, da greift Kira blitzschnell unter meinen Bauch und meine Vorderläufe und hebt mich wieder hoch.

»Stopp, stopp, stopp! Hiergeblieben, mein Freund! Du hast mir heute schon genug Ärger gemacht! Du solltest mit zum Bäcker kommen, nicht stundenlang auf Wanderschaft gehen! Mama ist hier am Rotieren wegen Babuschka und ich konnte ihr nicht richtig helfen, weil ich mich auf die Suche nach dir machen musste.«

Wieso? Mich muss man doch nicht suchen! Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Ich höre auf zu zappeln und maunze erstaunt.

Kira weiß gleich, was ich meine. »Keine Ausrede, Winston! Mama hatte Angst, dass du wieder in die erstbeste Mülltonne fällst und dann die ganze Wohnung einsaust. Das hat mich jetzt echt ’ne geschlagene Stunde gekostet, dann habe ich aufgegeben. Purer Zufall, dass ich dich gerade durchs Fenster gesehen habe. Du kommst jetzt erst mal in mein Zimmer und da bleibst du, bis wir mit dem Mittagessen fertig sind.«

Hey, was soll das denn? Straflager, oder was? Ich gehe von Maunzen zu Fauchen über.

»Winston, jetzt stell dich nicht so an! Gleich kommen Mama und Werner mit Babuschka vom Bahnhof und ich habe versprochen, mich um die Pelmeni zu kümmern. Ich habe keine Zeit, mich mit dir zu streiten!«

Ich fauche und strample noch mehr, bis mich Kira endlich wieder auf den Boden lässt. Schnell schnappe ich mir den Erpresserbrief und wedele damit hin und her. Wenn ich schon nichts zu fressen bekomme, kann ich Kira wenigstens endlich von der Entführung berichten.

»Igitt! Was ist das denn? Warst du tatsächlich schon wieder in einer Mülltonne?« Sie zieht mir den Brief aus dem Maul. »Bäh, das ist ja schon ganz durchgeweicht. Voll eklig! Wenn Mama hier als Erstes wiedergekäute Papierschnipsel im Flur findet, kriege ich richtig Ärger. Das schmeiße ich jetzt weg.«

HALT! Nein!!! Nicht wegschmeißen! Das ist doch WICHTIG!!! Ich springe an Kira hoch und versuche, nach dem Brief zu schnappen, aber keine Chance – sie hält ihn absichtlich so, dass ich nicht rankomme.

»Winston, warum bist du ausgerechnet heute so frech und ungezogen? Heute ist ein wichtiger Tag – wenn Babuschka nach so langer Zeit mal wieder kommt, wollen wir doch alle einen guten Eindruck machen. Und mit alle meine ich auch dich!«

Pah, das überzeugt mich gar nicht! Ich kenne diese Babuschka überhaupt nicht und noch wichtiger: Ich bin ein Kater mit einer Mission! Warum merkt Kira das denn nicht? Noch einmal springe ich an ihr hoch und fauche, so laut ich kann.