Выбрать главу

Die »anderen«, sprich Werner, Kira und eine ältere Dame, also vermutlich Babuschka, stehen übrigens hinter Anna im Türrahmen. Als Kater bin ich zwar kein Meister im Beurteilen von Farben, aber ich würde sagen, Babuschka hat ein ziemlich buntes Kleid an, das an einigen Stellen glitzert. Ihre Haare hat sie zu einer Art Turm aufgehäuft – eine sehr interessante Frisur! Dabei ist Babuschka dunkelhaarig, nicht blond wie Anna und Kira. Ihre Augen sind schwarz umrandet, fast genau wie die von Pauli, was ihrem Blick etwas sehr Dramatisches gibt. Alles in allem ist sie rein äußerlich das komplette Gegenteil von Werners Mutter, Frau Hagedorn. Bemerkenswert, wie unterschiedlich ältere Damen aussehen können!

Keiner von den dreien sagt übrigens ein Wort, alle starren auf das Naturschauspiel, das sich ihnen hier gerade bietet: Frau gegen Kater. Leider gerade mit leichten Vorteilen für die Frau.

Schließlich räuspert sich Werner. »Winston – was in aller Welt hast du hier angestellt? Du bist doch sonst nicht so ein ungezogener Kater!« Er wendet sich an die ältere Dame: »Also, ich bin wirklich erstaunt: So etwas hat er noch nie gemacht.«

 Die Angesprochene holt nur tief Luft. Dann schweigt sie. Vielsagend, wie ich glaube.

Jetzt drängelt sich Kira an Werner und Babuschka vorbei und kniet sich neben mich auf den Boden, genau zwischen die leeren Joghurtbecher und Kartoffelschalen.

»Lass ihn los, Mama! Du tust ihm weh!« Oha! Kira kann ja genauso gut fauchen wie ich – das gefällt mir! Sofort zur Stelle, wenn ein Freund in Not ist. Anna guckt ihre Tochter streng an.

»Kira, du siehst doch, was für eine Schweinerei das Viech hier angerichtet hat! Strafe muss sein!« Sie packt noch ein bisschen fester zu und schüttelt mich wieder, ich maunze laut.

 Kira springt auf und schnappt empört nach Luft. Dann schreit sie ihre Mutter an: »Das ist kein Viech, das ist Winston! Und du bist eine Tierquälerin! LASS WINSTON SOFORT LOS!«

Verdutzt lockert Anna jetzt tatsächlich ihren Griff, ich nutze die Chance, winde mich heraus und springe sofort in die rettenden Arme von Kira.

Einen Moment lang sagt keiner ein Wort. Dann höre ich zum ersten Mal Babuschkas Stimme. Ganz tief und ruhig. Und mit rollendem R, genau wie Anna.

»Eins sehe ich gleich: Hier wird dringend Erziehung gebraucht. Für beide. Für Kind. Und für Kater.«

Bitte? Was meint sie denn damit? Läuft doch alles bestens hier!

Russische Mütter, gute Erziehung und seltsame Fragen.

Das Gute am gemeinsamen Stubenarrest ist, dass man nicht allein irgendwo eingesperrt wird. Das Schlechte daran ist, dass man ihn überhaupt aufgebrummt bekommen hat. Kira und ich sitzen auf dem Bett in ihrem Zimmer und erzählen uns gegenseitig, wie ungerecht die Welt ist. Also, genau genommen erzählt sie mir, wie ungerecht die Welt ist, aber ich bin natürlich vollkommen ihrer Meinung.

»Weißt du, Winston, es geht immer nur darum, was Mama will. Wie ich mich dabei fühle, interessiert sie überhaupt nicht. Hauptsache, ich bin gut in der Schule und mache keinen Ärger. Ich soll einfach funktionieren, und basta.« Kira schluchzt und jetzt rollt auch noch eine dicke Träne über ihre Wange. Entweder, sie ist gerade sehr traurig oder sehr wütend. Vielleicht auch eine Mischung aus beidem. Ich kuschele mich ganz dicht an sie, um sie zu trösten.

»War doch eben auch wieder typisch: Ich habe ihr den ganzen Vormittag geholfen. Und dann geht nur eine Sache schief – und zack: Katastrophe! Am meisten hat sich Mama garantiert darüber aufgeregt, dass Babuschka mich für schlecht erzogen hält. Das kratzt natürlich an ihrem Image als Supermutter.«

Ob Kira damit recht hat? Tatsächlich ist Anna eben richtig laut geworden. Also, noch lauter als in dem Moment, in dem sie mich in der Pelmeni-Schüssel entdeckt hat. Dann hat sie sich Kira geschnappt und in ihr Zimmer verfrachtet – und mich gleich mit. Und du kommst erst wieder raus, wenn dir eingefallen ist, wie man sich seiner Mutter gegenüber benimmt, und dich entschuldigst!, hat sie geschrien und dann die Tür zugeknallt. Tja, und jetzt sitzen wir hier schon eine ganze Weile.

»Wenn die glaubt, ich gehe gleich zu ihr und entschuldige mich, dann hat sie sich geschnitten!«, erklärt mir Kira trotzig. »Lieber bleibe ich das ganze Wochenende in meinem Zimmer! Dann sehe ich Babuschka eben nicht. Ist auch egal, die kennt mich doch kaum noch und ich sie erst recht nicht! Denen werde ich jetzt mal zeigen, dass man nicht alles mit mir machen kann!«

Jawoll! Das ist die richtige Einstellung! Obwohclass="underline" Ich fürchte, Kira hat nichts Essbares in ihrem Zimmer. Gut, mein Bauch ist immer noch vollgestopft mit sibirischen Hackbällchen, aber irgendwann sind auch die verdaut. Dann bräuchte ich dringend Nachschub und müsste doch mal … aber natürlich verbiete ich mir, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Kira hat mir beigestanden, also stehe ich ihr bei. Auch wenn das bedeutet, dass ich Hunger leiden werde, maunz! Außerdem habe ich doch ein bisschen Angst, dass mich Anna vierteilt, wenn ich ihr noch mal unter die Augen komme.

»Mit unserem Umzug nach Deutschland war es übrigens genau das Gleiche«, schluchzt Kira jetzt. »Ich wäre lieber in Omsk geblieben. Dort hatte ich alle meine Freunde und fühlte mich wohl. Ich konnte nicht mal Deutsch, als wir nach Hamburg kamen. Aber Mama war das egal – sie hat gesagt, dass Deutschland eine Riesenchance für uns ist, um die uns alle beneiden. Selbst dass Babuschka nicht mitkommen wollte, hat sie nicht gestört. Sie hat es eben einfach allein entschieden. Schluss. Aus. Basta. Eltern können so ätzend sein!« Kira schnieft empört in ein Taschentuch, das sie aus ihrer Hose gekramt hat.

Ich kann sie verstehen. Als Haustier kenne ich das Gefühl, von den Entscheidungen eines anderen abhängig zu sein. Schön ist das nicht! Und Veränderungen hasse ich ja eigentlich auch. Obwohl ich zugeben muss, dass Veränderungen mein Leben in letzter Zeit sehr spannend gemacht haben. Und ich hoffe doch sehr, dass auch Kira mittlerweile gern in Hamburg wohnt. Schließlich hätte sie Tom und Pauli sonst nicht kennengelernt. Und vor allem: Wir wären uns nie begegnet!

»Auf alle Fälle werde ich Mama nicht erzählen, dass ich doch noch die Hauptrolle im Musical bekomme, falls Emilia tatsächlich länger krank bleibt. Da hat Mama dann eben Pech gehabt. So etwas interessiert sie ja doch nur, weil sie dann mit mir angeben kann!«

Emilia! Die hätte ich über das Pelmeni-Drama ja fast vergessen! Mist, ich muss Kira unbedingt noch den Zettel zeigen! Die arme Emilia sitzt wahrscheinlich völlig verängstigt in einem dunklen Verlies und hat niemanden, der sie da rausholt. Denn noch warten meine restlichen Muskeltierkollegen darauf, dass ich Kira und ihren Freunden Bescheid sage. Nur: Wie komme ich jetzt an den Zettel?

Ich beschließe, einen Trick anzuwenden: Kater muss aufs Katzenklo. Da dieses in der Küche steht, muss mich Kira wohl oder übel aus ihrem Zimmer lassen, wenn sie ein Unglück auf ihrem schönen Flauschteppich vermeiden will! Ich hüpfe also vom Bett und beginne, unruhig auf und ab zu laufen und zu maunzen. Als Kira mir nachschaut, laufe ich zur Tür und kratze mit meiner Pfote an selbiger.

»Winston, willst du raus?« Sie seufzt. »Du hast doch gehört, was meine Mutter gesagt hat: Wir sollen uns erst mal nicht mehr draußen blicken lassen. Bleib also besser bei mir, sonst kriegst du noch mehr Ärger.« Gut, die Aussicht auf Ärger ist natürlich nicht besonders verlockend, aber ein Kater muss tun, was ein Kater tun muss. Erst recht, wenn er ein Muskeltier ist!