Deutliches Schnauben direkt neben mir. »Nee, das kann ich mir nicht sagen – das stimmt nämlich nicht. Mama braucht einfach jemanden, bei dem es immer rundläuft. Ich soll gute Noten schreiben, mich benehmen, fröhlich sein – dann ist alles gut. Aber sobald es bei mir mal schwierig wird, ist Schluss mit lustig. Sie wollte vor Babuschka gut aussehen, und als das nicht geklappt hat, ist sie ausgeflippt.«
Werner legt nachdenklich den Kopf schief. »Aber ist das denn so schwer zu verstehen? Guck mal, Anna sieht ihre Mutter nur ganz selten. Und vielleicht hat sie immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ihr Russland damals ohne sie verlassen habt. Nun will sie ihr beweisen, dass es die richtige Entscheidung war und hier alles bestens ist. Da regt sie dann so ein … äh … Zwischenfall ziemlich auf. Deine Oma scheint ja sehr großen Wert auf gute Erziehung zu legen. Wahrscheinlich ist die Kindererziehung in Russland strenger.«
Noch lauteres Schnauben. »Aber ich BIN gut erzogen! Ich bin nur keine Puppe, sondern habe auch einen eigenen Kopf! Und dass Mama sich so auf den armen Winston gestürzt hat, fand ich nicht in Ordnung. Winston ist mein bester Freund!«
Miau, das geht runter wie Öl! Bester Freund – genau so ist es! Ich würde mich auch jederzeit schützend vor Kira werfen.
Werner seufzt. »Natürlich bist du gut erzogen. Ich verstehe dich vollkommen. Aber deine Mutter verstehe ich eben auch. Und ich möchte, dass ihr euch wieder vertragt. Komm doch bitte mit ins Esszimmer und setz dich zu uns. Ich verspreche dir, dass sich deine Mutter darüber freuen wird. Es tut ihr doch selbst schon leid, dass sie dich eben auf dein Zimmer geschickt hat.«
Kira überlegt einen Moment. »Na gut. Ich komme raus. Aber nur, wenn Sie mir eine Frage ehrlich beantworten.«
Werner nickt. »Gut. Welche denn?«
»Mögen Sie meine Mutter eigentlich gern?«
Hä? Wie kommt sie denn jetzt darauf? Versteh ich nicht. Menschen sind einfach seltsam! Und obwohl es eine Farbe ist, die ich als Kater nur schlecht erkennen kann, sehe ich eines sofort: Werner wird rot!
Warum Katzen keine Erziehung brauchen. Und Agenten kein Spaghettieis.
»Kater ist noch jung?« So, wie Babuschka Kater ausspricht, klingt es eher wie Katerrrrr mit ziemlich vielen Rs am Ende. Sie beäugt mich misstrauisch und ich habe das Gefühl, dass sie mit der Frage nach meinem Alter irgendetwas Unfreundliches sagen will. Pöh! Da stehe ich doch drüber. Oder besser: liege ich drüber. Ich habe mich nämlich unter dem Esstisch zusammengerollt, an dem sich nun endlich – endlich! – alle versammelt haben. Werner räuspert sich.
»Na ja, was heißt schon jung? Mitteljung, würde ich sagen. Kein Kätzchen mehr, aber auch noch nicht alt.«
»Dann hat Erziehung noch Sinn. Vielleicht sollte ich mich um Erziehung kümmern. Kann ich sehr gut. Habe ich schon viele Hunde erzogen.«
FAUCH! Hunde? Heilige Ölsardine – diese Frau vergleicht ernsthaft Hunde mit Katzen? Und was heißt hier überhaupt Erziehung? Ich bin doch kein Menschenkind. Ich bin eine Katze. Verstanden? Eine K-A-T-Z-E. Man kann mich lieben, man kann mich doof finden, aber man kann mich nicht erziehen. Das wäre ja auch noch schöner, wenn mir ein Mensch beibringen wollte, wie ich mich zu benehmen habe. Maunz! Das ist eben der Unterschied zum Hund: Ich bin eine eigenständige Persönlichkeit, da gibt’s nichts zu erziehen. Los, Werner! Sag’s ihr!
»Ähem, ja, Frau Kovalenko, das ist wirklich ein sehr nettes Angebot von Ihnen. Da komm ich gern mal drauf zurück. Ein bisschen bessere Manieren könnten Winston nicht schaden.«
»Warum heißt Winston?« Babuschka klingt so, als dürften Katzen ihrer Meinung nach nur Miezi oder Blacky heißen.
»Nun ja – Winston ist ein sehr edler Rassekater, und zwar Britisch Kurzhaar. Deshalb Winston. Winston Churchill. Wie der britische Premierminister.«
»Aha.« Babuschka sagt nichts mehr dazu, aber allein diesem kleinen Aha kann man deutlich entnehmen, dass sie diesen Namen für einen Kerl wie mich reichlich überkandidelt findet. Maunz! Langsam verstehe ich, warum Anna ihre Mutter einfach in Russland hat sitzen lassen.
»Mama, kann ich mich nach dem Essen mit Tom und Pauli treffen? Wir müssen noch etwas Wichtiges für die Schule erledigen.« Kira klingt zuckersüß. Kaum zu glauben, dass sie ihrer Mutter vor einer halben Stunde noch die Pest an den Hals gewünscht hat. Dann folgte allerdings eine filmreife Versöhnung der beiden mit Umarmung, Aussprache und allem Pipapo, während Werner in der Küche den Gefrierschrank nach einer brauchbaren Alternative zu den nicht mehr vorhandenen Pelmeni durchforstete. Und so sind jetzt alle wieder glücklich vereint und essen Fischstäbchen mit Ketchup. Also, fast alle sind glücklich. Bei Babuschka bin ich mir da nicht so sicher. Wenn die Dame Katzen gerne wie Hunde dressieren würde, ist sie sicher auch der Meinung, dass man Mädchen wie Kira ruhig mal zwei Tage bei Wasser und Brot einsperren sollte.
»Mit Tom und Pauli treffen? Darfst du, Schatz. Grüß die beiden von mir!«
Hällochen, Popöchen! Auch Anna klingt ganz kuschelig. Man kann über meinen Werner sagen, was man will – aber als Parlamentär – oder wie das heißt – ist er einfach Eins-a-Spitzenklasse! Die Versöhnung zwischen Anna und Kira hat er super hinbekommen. Ich wette, der kriegt auch eine harte Nuss wie Babuschka weichgespült.
»Hi, Kira!«, begrüßt uns Tom wenig später in der Eisdiele. »Das ist ja toll, dass wir uns jetzt doch hier treffen können. Pauli ist auch gleich da. Ich besorg schon mal Spaghettieis für alle und für Winston einmal Geschmacksrichtung Hering, oder?«
Kira schüttelt den Kopf. »Nee, bleib mal hier. Ich muss dir unbedingt den Brief zeigen, die Lage ist verdammt ernst!«
»So ernst, dass nicht mal Zeit für ein Spaghettieis ist?« Tom grinst. Mir scheint, er glaubt nicht recht an die Entführung. Oder ist er am Ende gar froh, dass jemand Emilia entführt hat? Immerhin gehört sie zu Leonies Ziegenclub. So richtig vermissen würde er sie vermutlich nicht. Ich kann ihn verstehen! Und die Idee mit dem Heringeis für mich ist natürlich Weltklasse!
»Jetzt hör mal auf mit den Witzen und deinem blöden Spaghettieis! Ich glaube, Emilia ist wirklich entführt worden, und auch wenn sie eine doofe Kuh ist, muss man ihr doch trotzdem helfen, oder? Schon allein, weil es wichtig ist, das Richtige zu tun.«
Das Richtige tun? Hey, das habe ich doch schon mal gehört! Odette hat es gesagt, als ich Karamell erst nicht helfen wollte. Offenbar sind sich Kira und Odette in gewisser Weise sehr ähnlich – kein Wunder, dass ich beide so gern mag.
Kira zieht den Erpresserbrief aus ihrer Tasche, legt ihn auf den kleinen Tisch zwischen sich und Tom und streicht ihn glatt. »Hier. Den hat Winston aus Emilias Haus rausgeschmuggelt.«
Tom liest kurz, dann pfeift er. »Mannomann! Ist ja echt krass! Klar, ich mag Emilia nicht, aber das ist natürlich trotzdem schlimm! Jetzt will ich auch kein Spaghettieis mehr.«
»Was ist schlimm?« Pauli ist angekommen und setzt sich zu Kira und Tom.
Tom deutet auf den Brief. »Lies selbst!«
Pauli nimmt den Zettel und überfliegt ihn. »Alter Verwalter! Ist der Brief echt?«
Kira nickt. »Ich glaube schon. Winston hat ihn aus der Villa mitgebracht. Natürlich weiß ich nicht genau, wo er ihn da gefunden hat. Aber findet ihr nicht auch, dass das alles erklären würde? Emilias plötzliches Fehlen bei der Probe? Das seltsame Verhalten ihrer Mutter?«
»Hm«, Pauli legt den Kopf schief, »du hast recht: Das würde so einiges erklären. Aber: Was haben wir damit zu tun? Wenn ein Kind entführt wird, kümmert sich doch die Polizei darum. Das sind Profis, lass die mal machen!«
»Hast du das denn nicht gelesen?« Kira nimmt Pauli den Zettel aus der Hand und wedelt aufgeregt damit hin und her. »Hier steht doch: Keine Polizei! Sonst kommt Emilia nie wieder!«