»Ach, Quatsch.« Pauli lacht. »Das schreiben die doch immer. Das ist gewissermaßen ein Standard-Erpresserbrief. Mach dir keine Sorgen um Emilia. Es ist bestimmt so, wie wir schon mal gesagt haben: Unkraut vergeht nicht. Den Rest macht die Polizei.«
Tom räuspert sich. »Also, ich weiß nicht. Ich finde: Keine Polizei. Das war meine Bedingung – aber Ihr habt Euch nicht daran gehalten. Ich habe die Bullen gesehen. Schluss damit!, klingt überhaupt nicht nach einem Erpresser-Standardbrief. Sondern so, als hätte die Polizei schon nach Emilia gesucht und der Erpresser hätte es gemerkt.«
»Das sind doch bloß Vermutungen. Genauso wie der ganze Zettel. Ist ja schön, dass Winston den angeschleppt hat. Aber ob der wirklich echt ist? Wer weiß, wo er den herhat.«
»Na, habe ich doch gesagt«, erklärt Kira, »aus Emilias Haus.«
Pauli zuckt mit den Schultern. »Wie kannst du da so sicher sein?«
»Winston hat es mir gesagt. Ähm, also, so in der Art jedenfalls.«
Pauli grinst. »So was in der Art. Nee, schon klar.« Sie fängt an zu kichern. Seltsam, ich wüsste eigentlich nicht, was daran so lustig wäre!
»Wenn Winston eine ganz normale Katze wäre, würde ich jetzt auch lachen«, mischt sich Tom ein, »aber wir wissen ja, dass es nicht so ist.« Stimmt. Tom und Pauli haben die gesamte Körpertausch-Aktion ja hautnah miterlebt. Ohne die beiden hätte der Rücktausch gar nicht geklappt. Pauli müsste also in der Tat wissen, was für ein besonderer Kater ich bin. Und dass ich auch einen ganz besonderen Draht zu Kira habe!
Pauli seufzt und lenkt ein. »Klar, weiß ich ja. Trotzdem: Eine Entführung ist ein echtes Verbrechen. Dagegen war der Zigarettenschmuggel von Vadim direkt harmlos. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, sich da einzumischen.«
»Ich hab’s!«, ruft Kira. Die Freunde mustern sie interessiert. »Wir gehen mit dem Brief zu Emilias Eltern und fragen sie nach der Entführung. Die können uns doch sagen, was die Polizei schon gemacht hat und wie wir vielleicht helfen könnten.«
Tom zieht die Augenbrauen zusammen. »Emilias Eltern fragen? Die werfen uns doch achtkantig aus dem Haus, wenn wir da als Hobbydetektive ankommen. Meiner Erfahrung nach lassen sich Erwachsene von Kindern ungern helfen, wenn es ernst wird.«
»Normalerweise bestimmt – aber ihr habt doch gesehen, wie fertig Emilias Mutter aussah. Und die Polizei hat es offenbar bis jetzt nicht geregelt bekommen. Vielleicht sind Emilias Eltern also froh, wenn wir unsere Hilfe anbieten.«
Stimmt. Was Kira da sagt, klingt gar nicht so abwegig.
Pauli seufzt. »Na gut. Einen Versuch ist es wert. Und wenn der Erpresserbrief echt ist, müssen wir ihn sowieso schleunigst zurückbringen. Dann vermisst ihn die Polizei bestimmt schon. So von wegen kriminaltechnischer Untersuchung und so.«
Kriminaltechnische Untersuchung? Was soll das nun wieder sein? Ich fand meine Idee, das Ding mitzunehmen, super! Die Polizei hatte ihn ja schon gelesen, die braucht ihn doch gar nicht mehr!
Kira lächelt. »Dann sind wir uns also einig: Wir werden wieder zu Agenten! Schlagt ein!« Sie hält ihre rechte Hand über den Tisch, Tom und Pauli legen ihre Hände drüber.
»Genau! Ab sofort sind wir wieder die drei Agenten!«, ruft Pauli.
Alles schön und gut – aber wieso drei? Können die nicht zählen? Ich maunze empört.
»Oh, entschuldige, Winston«, meint Tom. »Es muss natürlich heißen: vier Agenten!«
Schon VIEL besser! Jetzt muss ich meinen Menschenfreunden nur noch irgendwie beibringen, dass nicht nur Agent Winston mit von der Partie ist, sondern auch die vier Muskeltiere. Aber das kriege ich auch noch irgendwie hin.
Das Geheimnis erfolgreicher Agenten?
Keine Ahnung. Wüsste ich auch gern.
Mit dem achtkantig hinauswerfen lag Tom gar nicht so falsch. Nur dass wir momentan gar nicht erst reingelassen werden, weil uns Emilias Eltern zweifelsohne für völlig verrückt halten. Insofern erübrigt sich das mit dem Rauswurf auf natürliche Art und Weise.
Außerdem stimmt die Einschätzung, dass sich Erwachsene nicht gern von Kindern helfen lassen, völlig.
Als wir klingeln, öffnet der Mann, der wohl Emilias Vater sein muss. Jedenfalls taucht direkt neben ihm Emilias Mutter auf und er legt seinen Arm um ihre Schulter, ganz so, als wolle er sie beschützen. Fragt sich nur, vor wem. Denn vor der Tür stehen drei Kinder und eine Katze. Sieht mit Sicherheit nicht besonders gefährlich aus. Trotzdem guckt uns Herr Stetten sehr böse an.
»Ja, bitte?«
»Ähm, wir sind Freunde von Emilia und wir haben eine Frage. Weil sie doch gestern nicht zur Schule gekommen ist und da …«
Weiter kommt Kira nicht, denn der Mann unterbricht sie unfreundlich. »Was geht euch das an? Emilia ist krank und in der Schule entschuldigt.«
Seine Frau mischt sich ein. »Und ihr wart doch gestern schon hier. Was wollt ihr denn noch?«
»Also«, meldet sich Tom jetzt zu Wort und seine Stimme klingt entschlossen, »wir haben gestern auf dem Bürgersteig vor Ihrem Haus noch etwas gefunden, das bestimmt Ihnen gehört, und wollten es zurückbringen.« Diese Geschichte hatten sich Kira, Tom und Pauli vorher ausgedacht, um zu erklären, wie sie überhaupt an den Brief gekommen sind. Hier etwas von Katern zu erzählen, die lesen können und Briefe transportieren, hielten sie für keine gute Idee.
Tom gibt Emilias Vater den Zettel, der mittlerweile nicht mehr ganz so taufrisch aussieht. Gut lesen kann man ihn allerdings noch, was Herr Stetten jetzt auch tut. Er hat ihn noch nicht ganz überflogen, da dreht er sich auch schon wieder zu Tom, holt kurz Luft und: brüllt uns an! Und zwar richtig laut!
»WOHER habt ihr das? Wie kommt ihr an diesen Brief?«
Tom macht vor Schreck einen Schritt rückwärts und tritt mir dabei auf die Pfoten. FAUCH! Pass doch auf!
»Äh«, stammelt Tom dann, »äh … ich sag doch – er lag auf der Straße. Wir haben Emilia gestern ihre Hausaufgaben vorbeigebracht und da haben wir den Zettel gefunden … äh …«
»Ach, habt ihr?« Herr Stetten schreit zwar nicht mehr, aber er klingt immer noch sehr aufgebracht. »Und warum habt ihr ihn denn nicht gleich bei uns abgegeben?«
»Weil«, antwortet Kira anstelle von Tom, »wir nicht gleich gesehen haben, worum es in dem Brief überhaupt geht. Wir dachten, es ist etwas, das Emilia gebastelt hat. Wir wollten nicht noch einmal stören und dachten, wir geben ihn ihr einfach mit den nächsten Hausaufgaben zurück.«
»Dachtet ihr«, echot der Mann böse. Was hat der denn bloß? »Soll ich dir mal sagen, warum ich weiß, dass du lügst?«, fragt er Kira dann.
Die reißt die Augen auf. »Aber ich lüge nicht! Wie kommen Sie darauf?«
»Ganz einfach: Weil wir den Brief erst heute früh bekommen haben. Ihr könnt ihn gestern also noch gar nicht gefunden haben.«
»Ups«, sagt Kira. Dann sagt sie nichts mehr und Tom und Pauli werfen sich erstaunte Blicke zu. Klar, die dachten ja auch, dass ich den Zettel gestern mitgeschleppt hätte. Von meinem heutigen Ausflug wissen die Kinder schließlich nichts. Mist! Da habe ich uns aber aus Versehen richtig in die Pfanne gehauen! Wie kommen wir aus der Nummer bloß wieder raus?
»Wenn ihr den Brief also tatsächlich gefunden habt, dann müsst ihr heute noch mal da gewesen sein«, schnaubt Emilias Vater. »Und da frage ich mich natürlich: Warum? Ihr wart gestern da, ihr kommt heute noch einmal, ihr beobachtet unser Haus ganz genau – denn sonst würdet ihr kaum bemerken, ob hier mal ein Blatt Papier rumfliegt oder nicht. Warum?« Er schnappt jetzt regelrecht nach Luft. »Wenn ihr dafür nicht eine sehr gute Erklärung habt, werde ich jetzt sofort die Polizei rufen! Wahrscheinlich steckt ihr doch mit diesem Entführer unter einer Decke!«
Heilige Ölsardine! Ich merke, wie meine Schwanzspitze beginnt zu jucken UND meine Schnurrhaare sich kräuseln – jetzt stecken wir aber richtig in der Klemme! Und derjenige, der den ganzen Schlamassel aufklären könnte, also ich, kann dummerweise nicht mit Menschen sprechen. Ich bin eigentlich sehr, sehr froh, dass ich nach unserem letzten Abenteuer wieder in meinem Katzenkörper gelandet bin, aber in diesem Moment ertappe ich mich bei dem Gedanke, dass es gerade jetzt ziemlich praktisch wäre, wieder Kira zu sein.