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Ob wir gleich alle ins Gefängnis kommen? Oder die Kinder ins Gefängnis und ich ins Tierheim? Für einen ganz kurzen Augenblick überlege ich, einfach abzuhauen. Emilia ist schließlich nicht meine Freundin. Genau genommen ist sie auch nicht Kiras Freundin. Andererseits: Ich kann mein Mädchen doch nicht einfach allein in der Patsche sitzen lassen. Das sähe einem Muskeltier überhaupt nicht ähnlich – und einem Winston Churchill erst recht nicht. Ich verwerfe meine feigen Fluchtgedanken also wieder und versuche stattdessen, niedlich zu gucken. Vielleicht ist Emilias Vater ein Tierfreund und das besänftigt ihn ein bisschen.

Ist er wohl eher nicht. Meinen unglaublich süßen Augenaufschlag erwidert Herr Stetten jedenfalls mit einem weiteren bösen Blick und brummt immer noch sehr grummelig: »Also, was ist nun? Bekomme ich eine Antwort oder muss ich die Polizei rufen?«

Kira räuspert sich. Ah, das ist mein Mädchen! Immer mutig und nie um eine Antwort verlegen. Die Frage ist nur: Wie will sie das erklären?

»Tut mir leid, Herr Stetten. Sie haben recht – unsere Geschichte stimmt so nicht ganz. Sie ist aber auch nicht ganz falsch. Wir haben den Zettel wirklich gefunden – aber nicht vor Ihrem Haus. Mein Kater Winston kam mit dem Brief im Maul an. Deswegen kann ich auch nicht genau sagen, wann und woher er ihn hat. Ich hatte nur vermutet, dass er ihn gestern mitgenommen hat. Es war mir aber peinlich zuzugeben, dass mein Kater etwas bei Ihnen hat mitgehen lassen. Deshalb die Geschichte mit dem Bürgersteig.«

Herr Stetten starrt mich an, sagt aber nichts. Allerdings wechselt sein Blick von böse zu sehr böse. Okay: Hallo, Tierheim, wärmt schon mal ein schönes Plätzchen für mich vor. Ich komme gleich!

Kira schluckt, dann redet sie weiter. »Winston ist mir heute Morgen abgehauen.« Bitte? So stimmt das gar nicht! Ich hatte einfach ein anderes Ziel als Kira, aber mit Abhauen hatte das nun wirklich nichts zu tun. »Ich weiß nicht, wo er hingelaufen ist, aber vielleicht war er tatsächlich noch einmal hier. Und dabei muss er den Brief gefunden haben.«

Schnaubt Herr Stetten oder lacht er? Schwer zu sagen, es ist auf alle Fälle ein unschönes Geräusch. »Ach, dein Kater kommt noch einmal hierher, findet den Erpresserbrief und bringt ihn dir. Und das soll ich glauben?« Sein Gesichtsausdruck verrät, dass er weit davon entfernt ist, das zu tun. Manchmal fällt es mir als Kater schwer, im Gesicht eines Menschen zu lesen, aber hier ist es eindeutig: Herr Stetten hält uns für Lügner. Kira lässt trotzdem nicht locker.

»Aber gucken Sie sich doch mal den Brief an: Dann werden Sie sehen, dass er ein bisschen angenagt aussieht. Von ziemlich spitzen Zähnen. Das war Winston. Ich kann es mir ja auch nicht genau erklären, aber irgendwie ist er an den Brief gekommen. Das ist wirklich die Wahrheit!«

Jetzt mischt sich Emilias Mutter ein.

»Klaus, vielleicht stimmt es ja, was die Kinder sagen. Du weißt doch, dass ich heute Vormittag das Gefühl hatte, jemand sei im Haus. Ich hatte ein Geräusch gehört. Du hast das auf meine angespannten Nerven geschoben, aber vielleicht war es tatsächlich der Kater.«

»Also wirklich, Anja – das ist doch totaler Unsinn!« Emilias Vater schüttelt den Kopf.

Seine Frau zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht – mein Gefühl sagt mir, dass diese Kinder nicht lügen. Warum sollten sie? Ich glaube, sie wollen uns wirklich nur helfen – jedenfalls solltest du nicht die Polizei rufen.«

Genau! Die Frau hat völlig recht! Keine Polizei! Herr Stetten seufzt.

»Na gut. Mach ich nicht. War auch mehr so dahingesagt, meine Nerven sind eben zum Zerreißen gespannt.«

Kira wendet sich an Frau Stetten.

»Danke für Ihr Vertrauen! Und es stimmt: Wir wollen Ihnen helfen. Vielleicht können wir irgendetwas tun, was die Polizei nicht kann. Immerhin schreibt der Erpresser doch eindeutig: keine Polizei!«

Frau Stetten nickt. »Ja, danke! Das ist vielleicht eine gute Idee. Ich denke …«

Bevor sie noch sagen kann, was sie denkt, wird sie von einem bitteren Lachen ihres Mannes unterbrochen.

»Nichts für ungut, Anja, aber wie sollen diese Kinder uns helfen? Die Lage ist viel zu ernst, um sich hier mit drei Kindern und einem Kater an den Tisch zu setzen.« Er guckt noch einmal kurz auf den Erpresserbrief, faltet ihn dann. »Den hier gebe ich gleich der Polizei, der wird nämlich schon verzweifelt gesucht. Und euch«, er guckt Kira, Tom und Pauli direkt an, »bitte ich zu gehen. Bitte lasst die Polizei in Ruhe ihre Arbeit machen. Die werden es schon so anstellen, dass der Entführer sie nicht noch einmal bemerkt. Und vor allem: Zu keinem Menschen ein Wort über diese Entführung! Sonst bringt ihr Emilia in noch größere Gefahr!«

Die Kinder beeilen sich zu nicken. Alle murmeln sie etwas wie »Natürlich, wir halten dicht« oder »Das ist doch selbstverständlich«. Dann schließt Herr Stetten wieder die Tür und wir zockeln davon.

Okay, fassen wir mal unser erstes Ermittlungsergebnis zusammen: Wir sind nicht im Knast gelandet. Aber »rasend erfolgreiche Agenten« geht wahrscheinlich trotzdem irgendwie anders.

Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, du bist nicht nur ein Weihnachtstraum!

»Dann ist unser Abenteuer hier wohl zu Ende.« Karamell bemüht sich um einen enttäuschten Tonfall, aber in Wahrheit scheint er ganz erleichtert, als ich bei meiner Rückkehr in den Innenhof von unserer Schlappe berichte. Mich ärgert das. Wieso sollten wir so schnell aufgeben? Spike macht ein Geräusch, das wie ein sehr tiefer Seufzer klingt.

»Tja. Da kann man wohl nichts machen. Warten wir eben, bis wir ein anderes Abenteuer finden.«

Odette schnaubt wütend. »Wie bitte? Von so einem kleinen Rückschlag sollen die Muskeltiere sich schon entmutigen lassen? Das ist doch wohl nicht euer Ernst! Ich sage euch mal was: In der Geschichte von den drei echten Muskeltieren landen sie zwischendurch sogar mal im Gefängnis und werden mit dem Tode bedroht – und trotzdem kämpfen sie weiter, um die Ehre der Königin zu retten. So geht das, wenn man ein Held ist!«

Genau! Karamell und Spike sind einfach fürchterliche Weicheier. Ich schmeiße mich in Pose. »Männer! Die Dame hat völlig recht! Dieses kleine Problem ist eine Herausforderung, kein Hindernis!«, fauche ich Spike und Karamell an. »Wozu sind wir Katzen? Doch bestimmt nicht, um uns von irgendetwas abhalten zu lassen. Noch dazu von Menschen!«

Odette strahlt mich an, mir wird ganz warm unterm Fell. Ein tolles Gefühl! Dass Spikes Schwanzspitze hin und her zuckt, stört mich dagegen überhaupt nicht.

»Äh, und was willst du jetzt machen?«

»Ist doch sonnenklar!«, behaupte ich. »Wir werden Emilias Haus nun Tag und Nacht beschatten. Irgendwann wird schon etwas passieren.«

Karamell legt den Kopf schief und guckt skeptisch drein. »Aber was nutzt es, wenn wir das Haus bewachen? Im Zweifelsfall tut sich da gar nichts, weil der Entführer sich mit Emilia logischerweise ganz woanders versteckt. Die Polizei bewacht schließlich auch nicht das Haus.«

Hm. Mist. Wenn ich so recht darüber nachdenke, ist dieser Einwand nicht ganz von der Hand zu weisen.

Odette mischt sich ein. »Was wir brauchen, ist ein Hinweis auf den Entführer. Irgendwas! Irgendeine Spur! Dann können wir allein nach ihm suchen, genau wie die Polizei es auch macht. Aber wir haben einen entscheidenden Vorteiclass="underline" Uns bemerkt man nicht, wir können also ganz ungestört ermitteln. Die Polizei hingegen hat der Entführer schon einmal gesehen, die müssen jetzt besonders vorsichtig sein.«

»Einen Hinweis, eine Spur. Was könnte das wohl sein?«, denke ich laut nach.

»Na ja, ist dir vielleicht irgendetwas aufgefallen? Du hast Emilia doch in den letzten Tagen noch gesehen. Denk mal nach!«