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Kira, Tom und Pauli schauen sich an.

»Okay«, seufzt Kira, »dann hole ich mal mein Heft.« Sie schleicht aus dem Wohnzimmer, Pauli, Tom und ich folgen ihr. Nur Odette bleibt unter dem Esstisch liegen. Wahrscheinlich hofft sie, jetzt ein paar Krümel vom Frühstück zu erwischen. Es sei ihr gegönnt, ich habe momentan sowieso keinen Appetit!

Auf dem Flur knufft Pauli Kira in die Seite.

»Kira«, flüstert sie leise, »wir können doch jetzt nicht in aller Seelenruhe für das blöde Musical üben, während Emilia vielleicht gefesselt und geknebelt in irgendeinem Kellerloch hockt! Das geht nicht! Wir müssen raus und sie suchen!«

»Was soll ich denn machen?«, flüstert Kira zurück. »Du kennst Babuschka nicht – wenn die sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist sie nicht zu stoppen. Wir müssen wenigstens mal so tun, als würden wir üben.«

Tom schüttelt den Kopf. »Nee! Pauli hat recht. Wenn du ihr jetzt nicht sagst, dass wir dringend wegmüssen, dann mache ich es. Deine Oma in allen Ehren, aber nur weil du keinen Stress willst, können wir nicht länger warten!«

»Pauli, Tom, bitte!« Kiras Stimme klingt flehentlich. »Nur eine halbe Stunde – dann denke ich mir irgendeine Ausrede aus und wir hauen ab.«

»Wohin das mit den Ausreden führt, haben wir ja gerade gesehen. Hat super geklappt.« Pauli guckt finster.

»Jetzt sei doch nicht so!«, verteidigt sich Kira. »Das war eine Notlüge. Meine Mutter wäre sonst ausgerastet. Sag bloß, du hast das noch nie gemacht.«

Pauli schüttelt den Kopf. »Natürlich habe ich da auch schon mal eine Notlüge gebraucht – aber das hier ist etwas anderes: Jemand ist in Gefahr, es ist ein echter Notfall.«

»Genau«, bestätigt Tom, »da müssen wir jetzt mutig genug sein, deiner Mutter, deiner Oma oder wem auch immer die Wahrheit zu sagen. Selbst, wenn es dann ein bisschen Ärger gibt. Verglichen mit dem, was Emilia gerade durchmacht, ist das doch eine Kleinigkeit.«

»Außerdem wird deine Oma sowieso gleich merken, dass wir geschwindelt haben«, behauptet Pauli und Tom nickt zustimmend.

»Wieso?« Kira klingt erstaunt und ich weiß auch nicht, warum Tom und Pauli sich da so sicher sind.

»Na, wieso wohl?«, fragt Tom spöttisch. »Welchen Text sollen wir denn gemeinsam üben? Schon vergessen: Ich mache die Bühne und Pauli die Kostüme. Wir haben gar keinen Text. Und singen tun wir auch nicht. Warum also sollten wir dich nachts besuchen, um gemeinsam zu üben?«

Kira seufzt. »Na gut, wahrscheinlich habt ihr recht.« Sie atmet tief durch und geht wieder zurück. Noch ein Seufzer, dann drückt sie die Klinke der Wohnzimmertür. »Dann mal los.«

Babuschka hat sich mittlerweile an den Flügel gesetzt und mustert uns interessiert, als wir auf sie zukommen.

»Wo sind Noten? Und Buch?«

»Ja, also«, beginnt Kira, »ich muss dir etwas ganz Schlimmes erzählen, Babuschka.«

Auffällig unauffällig.

»Und denkt daran«, schwört uns Kira ein, als wir am Schrottplatz ankommen, »das Wichtigste ist, dass wir total unauffällig sind.«

Das kann wohl nur ein Scherz sein. Wir sind: drei Kinder, von denen eines ein Punkermädchen mit wild toupierten Haaren ist. Eine ältere Dame, die glitzert wie ein Weihnachtsbaum und die noch dazu eine dramatische Hochsteckfrisur auf dem Kopf spazieren trägt. Sowie vier Katzen. Eine weiße, eine schwarze UND eine fette getigerte und eine struppige braune. Spike und Karamell haben nämlich in letzter Minute beschlossen, sich unserem Kommando anzuschließen. Mit anderen Worten – mir fällt momentan nichts ein, was auch nur annähernd so auffällig ist wie unser bunt zusammengewürfelter Haufen. Noch dazu auf einem Schrottplatz – nicht gerade der natürliche Lebensraum von Kindern, Katzen und Großmüttern.

Apropos Großmütter: Erstaunlicherweise ist Babuschka nicht sofort in Ohnmacht gefallen, als ihr Kira von der Entführung erzählt hat. Ich glaube, Oma Hagedorn hätte mindestens fünf Gläschen Eierlikör gebraucht, um ihr Bewusstsein wiederzuerlangen und diese Nachricht zu verdauen. Babuschka hingegen hat nur die Augenbrauen hochgezogen und gesagt: »Gutt, mache ich Pelmeni lieber später, helfe ich euch jetzt, Verbrecher zu fangen!«

Wobei mich schon allein der Gedanke ans Verbrecherfangen innerlich zum Schlottern bringt. Heilige Ölsardine – hoffentlich fliegen wir nicht sofort auf! Wenn der Entführer merken sollte, dass wir ihm auf der Spur sind … oje, ich mag gar nicht daran denken, was dann passieren könnte! Da kräuseln sich gleich alle meine Schnurrhaare!

»Hey, alles in Ordnung, Winston?« Odette hat offenbar gemerkt, dass ich noch nicht hundertprozentig von unserem Schlachtplan überzeugt bin. Der sieht vor, dass wir zu acht über den Schrottplatz spazieren, alle verfügbaren Augen und Ohren aufsperren und danach eine Auswertung unserer Beobachtungen machen. Ist irgendjemandem etwas Verdächtiges aufgefallen, schauen wir noch einmal genauer hin. So weit, so gut – wenn wir nicht selbst so verdammt auffällig wären!

»Klar, alles paletti! Ich mache mir nur gerade Gedanken, was passiert, wenn der Entführer uns bemerkt, bevor wir ihn bemerken. Unser Vorteil gegenüber der Polizei war schließlich, dass wir viel unauffälliger suchen können – aber das galt, bevor wir so eine Riesentruppe waren. Zumal Babuschka nicht gerade unscheinbar ist.«

»Jetzt mach dir mal nicht so viele Sorgen, Winston! Klar, Babuschkas Kleidungsgeschmack ist tatsächlich eher ungewöhnlich und natürlich sind Kinder nie so leise, wie sie als Agenten eigentlich sein müssten. Aber sieh es doch mal so: Je mehr der Verbrecher durch unsere Menschen abgelenkt wird, desto ungestörter können wir Katzen uns auf dem gesamten Schrottplatz umsehen.«

Ich überlege kurz. »Okay, das klingt logisch. Die verrückte Babuschka ist eine perfekte Tarnung. Wenn jetzt noch Spike und Karamell mal ein bisschen mehr Einsatz zeigen als bisher, dann finden wir vielleicht tatsächlich eine heiße Spur. Das wäre dann mal der Erfolg, den wir brauchen, um uns weiter Die vier Muskeltiere nennen zu dürfen.«

Odette schnurrt. »Genau so ist es! Wegen der Muskeltiere hätte ich übrigens noch eine Anmerkung.«

»Ja?«

»Ähm, es ist nämlich so – die heißen in Wirklichkeit anders.«

»Weiß ich doch. Winston, Odette, Spike und Karamell sind natürlich keine Namen für echte Ritter oder Soldaten oder was auch immer die so genau waren.«

»Nein, ich meine doch nicht unsere Vornamen. Ich meine, dass die Muskeltiere in Wirklichkeit nicht Muskeltiere heißen.«

»Hä?« Vielleicht stehe ich auf dem Schlauch, aber ich habe keinen blassen Schimmer, was Odette mir gerade sagen will.

»Na ja, die heißen Musketiere, nicht Muskeltiere. Das Buch, aus dem du den Spruch hast – du weißt schon: Einer für alle und alle für einen –, also, das Buch heißt Die drei Musketiere. Weil ihre Waffe eine Muskete war, das ist eine Art Gewehr. Nicht wegen ihrer Muskeln. Im Grunde genommen ist es ja auch völlig wurscht, aber ich wollte es dir trotzdem mal sagen.«

Musketiere. Stimmt. So hießen die! Jetzt fällt es mir auch wieder ein. Ich fand das Wort schon komisch, als Werner zum ersten Mal aus dem Buch vorgelesen hat. Mir wird ein wenig warm im Pelz. Die Vorstellung, dass ich einen falschen Begriff benutzt habe und Odette das die ganze Zeit schon weiß, ist mir extrem unangenehm. Was für eine schlaue, gebildete Katze Odette doch ist! Und wie peinlich für mich!

»Aber warum hast du mir das denn nicht gleich gesagt?«, will ich von ihr wissen.

»Ich fand es nicht so wichtig. Und außerdem wollte ich dich nicht vor Spike und Karamell bloßstellen. Ich dachte, es ist irgendwie blöd für dich, wenn ich dich vor ihnen korrigiere.«