Tom zuckt mit den Schultern. »Weiß nicht.«
Kira seufzt. »Schade, dass Herr Schmidt Winston schon gesehen hat, sonst könnte der ihn auf Schritt und Tritt verfolgen und uns sofort holen, wenn er etwas entdeckt hat.«
Pauli sagt schon wieder nichts, guckt aber immer noch skeptisch. Grrrr, gleich rollen sich meine Schnurrhaare auf! Was fällt der ein, so an mir zu zweifeln! Ich möchte am liebsten sofort beweisen, dass Kira recht hat und ich Schmidt perfekt beschatten könnte. Aber leider hat sie außerdem recht mit der Feststellung, dass er mich schon kennt. Gut, ich bin nicht die einzige schwarze Katze auf der Welt, trotzdem würde er wahrscheinlich misstrauisch werden. Ha! Das ist es überhaupt: Ich bin nicht die einzige Katze auf der Welt. Und erst recht nicht in Hamburg. Es gibt ja auch noch Spike und Karamell! Die können jetzt endlich mal beweisen, was in ihnen steckt. Hoffentlich nicht nur zwei Schmusekätzchen, sondern echte Löwen!
Ich beschließe, zurück nach Hause zu laufen und die beiden zu holen. Die sollen sich so lange vor das Schultor setzen, bis Schmidt auftaucht, und ihn dann verfolgen. Einfacher Plan – das müssten doch sogar der Dicke und der Ängstliche hinkriegen!
Als Tom, Kira und Pauli die Treppenstufen zum Schuleingang hochgehen wollen, mache ich deshalb kehrt.
»Hey, Winston, wo willst du denn hin?« Kira läuft hinter mir her, kniet sich neben mich und streicht mir mit der Hand über den Rücken. Ich setze mich und schaue ihr fest in die Augen. Liebe Kira, ich weiß, du kannst mich nicht mehr hören, aber vertrau mir einfach: Ich weiß, was ich tue!
Sie lächelt mich an, dann nickt sie. »Okay, Winston. Du weißt, was du tust. Dann mal los!!«
Hat sie mich etwa doch verstanden? Ist da vielleicht noch ein winzig kleiner Rest von Gedankenübertragung zwischen uns übrig geblieben?
»Also verstehe ich das richtig? Wir sollen diesen gefährlichen Kerl jagen, der schon dir und Odette an den Kragen wollte? Und ihr beiden seid vorsichtshalber nicht dabei?« Heilige Ölsardine, Karamell ist so ein Feigling! Seit einer halben Stunde hocke ich mit ihm und Spike im Hinterhof und versuche, die beiden zu überreden, nun endlich zur Schule mitzukommen. Bisher ohne Erfolg. Wenn doch bloß Odette hier wäre – sie hätte die beiden bestimmt schon längst überzeugt. Aber von der schönsten Katze der Welt fehlt leider jede Spur. Ich hole tief Luft.
»Falsch, Karamell. Ihr sollt ihn nicht jagen. Ihr sollt nur aufpassen, dass er uns nicht durch die Lappen geht. Ihr setzt euch ganz gemütlich vor die Schule, und falls Herr Schmidt selbige dann verlassen sollte, heftet ihr euch einfach an seine Fersen. Sobald ihr wisst, wo er hinwill, bleibt einer von euch bei ihm und der andere holt mich. Kein Risiko, überhaupt nicht gefährlich, verstanden?«
»Ich weiß nicht«, Karamell ist noch nicht überzeugt, »nachher tut der uns doch was. Und warum können die Kinder den nicht einfach verfolgen? Die hat er doch auch nicht gesehen, oder?«
Stimmt. Herr Schmidt hat Kira, Pauli und Tom nicht entdeckt, als er hinter Babuschka aus dem Schuppen kam. Aber an Karamells Frage merkt man trotzdem deutlich, dass er noch nie eine Schule von innen gesehen hat. Kann man ihm als Kater allerdings auch nicht vorwerfen.
Ich hole deshalb zu einer Erklärung aus: »Pass auf, Karamell, es ist so: Kira, Tom und Pauli sind vormittags in der Schule. Da kann man nicht einfach kommen und gehen, wie man gerade lustig ist. Dann gibt’s richtig Ärger!«
Karamell und Spike gucken mich verständnislos an.
»Wieso gibt’s da Ärger?«, will Spike wissen. »Sind doch noch genug andere Kinder da. Du hast jedenfalls gesagt, in der Schule sei es ziemlich laut, weil da so viele Kinder rumrennen. Da müssten die Lehrer doch froh sein, wenn mal drei Kinder fehlen.«
Gut. Im Grund klingt das einleuchtend. Wenn ich Lehrer wäre, hätte ich gegen ein paar Kinder weniger im Klassenzimmer überhaupt nichts einzuwenden. Aber so funktioniert Schule meines Wissens leider nicht.
»Spike, ich weiß auch nicht, warum Anwesenheit in der Schule so wichtig ist. Ich weiß nur, dass es so ist. Und dass die Kinder deswegen nicht einfach abhauen und Herrn Schmidt verfolgen können.«
»Na und? Nicht mein Problem«, mault Karamell.
»Also wirklich!«, fauche ich ihn entnervt an. »Wenn ich bei deinem Ausflug in die Mülltonne genauso gedacht hätte, wärst du jetzt bestimmt schon zu einer hübschen Rolle Altpapier verarbeitet worden. Aber nein, ich bin zu dir in die Tonne gesprungen und habe dich gerettet. Obwohl das bei Licht betrachtet auch überhaupt nicht mein Problem war.«
»Na ja, Karamell – da hat Winston recht«, wirft Spike ein. »So kamen wir doch eigentlich auf die Idee mit den Muskeltieren.«
»Die heißen übrigens Musketiere«, verbessere ich Spike.
»Hä? Wieso das denn auf einmal?«
»Äh … weil – ach egal. Merk dir einfach, dass die ab jetzt Musketiere heißen.«
Spike schnauft. »Wenn ich gewusst hätte, wohin das Ganze führen würde, hätte ich mir weder gewünscht, Muskeltier noch Musketier zu sein. Ich hätte mal schön auf meinem sonnigen Fleckchen hier liegen bleiben sollen.«
»Jaja. Aber dafür ist es nun zu spät. Wir sollten jetzt wirklich los. Wisst ihr übrigens, wo Odette steckt?«
Karamell und Spike gucken sich an, dann schütteln sie gleichzeitig den Kopf.
»Nee. Nicht die geringste Ahnung. Die haben wir seit gestern Abend nicht mehr gesehen.«
Von Duftbäumen, Staubsaugern und karierten Decken.
»Schnell, der Mann ist tatsächlich wieder auf dem Schrottplatz!« Karamell kommt in die Aula gehetzt, in der sich alle Kinder gerade auf den nächsten Probendurchlauf vorbereiten. Auch ich habe mich schon auf der Bühne in Position gesetzt, aber nach dieser Nachricht springe ich sofort auf und laufe zu Kira. Fauchend und maunzend streiche ich um ihre Beine – sie kapiert sofort.
»Oh, Mist – es geht los, richtig?«
Ein lautes Miau meinerseits – genau so ist es!
Kira springt von der Bühne und läuft zu Tom hinüber, der weiter hinten in der Aula am Mischpult sitzt. »Tom, es geht los!«
»Ja, weiß ich doch. Die Lichter habe ich schon gesetzt, und wenn ich jetzt noch die richtige CD eingelegt habe, bin ich startklar. Also, mach dir um die Technik keine Sorgen. Nur ein Handzeichen von unserer genialen Regisseurin Leonie und ich lege los!«
»Ach, das meine ich doch nicht! Ich meine unser Kommando ›Rettet Emilia‹! Wir müssen dringend los!«
Tom kratzt sich am Kopf. »Wieder auf den Schrottplatz?«
Ich miaue, so laut ich kann.
»Genau so ist es«, deutet Kira mein Maunzen richtig.
»Aber wie sollen wir das machen? Die Probe ist bis 14.30 Uhr angesetzt, sie kann jeden Moment anfangen.«
Tatsächlich stolziert in diesem Augenblick Starregisseurin Leonie auf uns zu. »Na, kleiner Kaffeeplausch, ihr beiden? Wenn ihr den kurz unterbrechen mögt – wir wären dann alle so weit.« Wieso eigentlich klingt alles, was Leonie von sich gibt, immer so ätzend? Das muss an ihrem Gesichtsausdruck liegen, der keinen Zweifel daran lässt, dass sie auch die netten Sachen, die sie sagt, niemals nett meint. Was für eine üble Zicke!
Kira räuspert sich. »Äh, es ist so … ich muss eigentlich ganz dringend weg. Ein … äh … unvorhergesehener Termin.«
Leonie starrt sie mit großen Augen an. Aber anstatt dann etwas zu erwidern, dreht sie sich einfach um und ruft nach Frau Heinson. »Frau Heinson, Kira sagt, sie müsste mal eben weg. Sollen wir trotzdem mit der Probe anfangen?«
Keine zwei Sekunden später steht Frau Heinson neben uns. Mist. Jetzt gibt’s Ärger, das ist selbst mir klar.
»Was höre ich da, Kira? Das ist ja wohl ein Scherz! Du kannst jetzt nicht gehen. Auf gar keinen Fall!«