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Kira knetet nervös ihre Hände. »Ja, ich weiß, es ist doof, aber ich fühle mich nicht so gut und ich dachte, vielleicht gehe ich mal zum Arzt.«

Frau Heinson mustert sie misstrauisch. »Wenn du krank bist, ist es natürlich etwas anderes – aber du weißt ja, dass wir ohne dich als Hauptdarstellerin eigentlich die ganze Probe absagen müssen. Ich habe mit meinen Kollegen extra zwei Unterichtsstunden freigeschaufelt – das wäre dann völlig umsonst gewesen. Also, wenn es irgendwie geht, dann bleib bitte hier.«

Leonie lächelt spöttisch. »Ich habe mal gehört, dass Russen oft ein bisschen wehleidig sind. Wenn unsereins nur einen Schnupfen hat, dann sind die gleich sterbenskrank.«

Kira zuckt zusammen, als habe Leonie sie geohrfeigt, und auch Frau Heinson schnappt nach Luft. »Leonie, was fällt dir ein! So eine Unverschämtheit! Sofort entschuldigst du dich bei Kira.«

»’tschuldigung«, flötet Leonie ganz unschuldig, »ich weiß ja auch nicht, ob das überhaupt stimmt.«

»Es stimmt natürlich nicht«, fährt Kira sie an. »Im Gegenteil – die meisten Menschen in Russland sind richtig hart im Nehmen. Genau wie ich. Ich fühle mich zwar nicht gut, aber die nächsten zwei Stunden halte ich noch durch!«

Oje! Ich verstehe zwar, dass Kira das nicht auf sich sitzen lassen will, aber gerade jetzt ist eigentlich der falsche Moment, um der doofen Leonie irgendetwas zu beweisen.

Frau Heinson allerdings freut sich über Kiras Sinneswandel. »Sehr gut! Dann können wir ja anfangen. Danke, Kira!« Sie geht wieder in Richtung Bühne und klatscht in die Hände. »So, Kinder! Bitte jeder auf seine Position, es geht los.«

Tom guckt Kira unsicher an, dann zuckt er mit den Schultern und legt eine CD in die Anlage ein.

Kira seufzt und bückt sich zu mir. »Du hast es gehört, Winston – ich kann nicht weg. Da bleibt uns nur eines übrig: Du und deine Katzenfreunde, ihr bezieht schon mal Stellung auf dem Schrottplatz. Wenn Frau Heinson dich vermisst, sage ich, du seist abgehauen. Haltet Augen und Ohren offen – wir kommen, so schnell es geht. Und lass dich nicht wieder erwischen!«

Ich maunze. Nein, diesmal werde ich vorsichtiger sein – keine bösen Überraschungen mehr!

Die erste Überraschung wartet dann doch schon auf dem Schrottplatz auf mich. Allerdings keine böse: Odette taucht endlich wieder auf! Seelenruhig sitzt sie vorn an der Einfahrt und schleckt ihre Pfoten ab.

»Odette! Da bist du ja! Ich habe dich vermisst – was machst du hier?«

»Hallo, Winston! Ich warte auf dich. Und vorher habe ich mich mal ein bisschen genauer auf dem Platz umgesehen. Ich dachte, das wäre eine günstige Gelegenheit. Schließlich ist ein Schulhausmeister morgens in der Schule.«

Mannomann! Eine Weltklasseidee! Ich muss schon sagen: Lange Zeit dachte ich, ich sei die schlauste Katze weit und breit. Aber Odette ist einfach noch schlauer. Sie ist tatsächlich die schlauste Katze, die ich kenne. Vielleicht bin ich noch der schlauste Kater – das wäre immerhin auch etwas.

»Und, hast du etwas gefunden?«, will ich wissen.

»Ja, habe ich. Erstens: Ich weiß jetzt, woher der Geruch nach Weihnachtsbäumen stammt. In der Kiste im Schuppen ist ein ganzer Stapel von kleinen Papierbäumen, die danach riechen. Man kann sie anscheinend aufhängen, jedenfalls haben sie oben an der Spitze ein Band – fast wie Christbaumschmuck. Diese Bäumchen sind aber nicht nur in der Kiste, sie hängen hier auch an anderen Stellen rum. Dieser komische Herr Schmidt scheint die irgendwie zu sammeln. Kein Wunder, dass die Erpresserbriefe auch nach diesen Bäumchen riechen.«

»Aha. Warum sammelt der so was?«

»Keine Ahnung. Aber das ist nicht alles, was ich entdeckt habe. Es kommt noch zweitens: Ich glaube, das Auto für die Lösegeldübergabe steht auch schon da.«

»Echt?«

»Ja. Genau wie im Erpresserbrief beschrieben: Neben dem Kranhäuschen steht ein blaues Auto.«

Heilige Ölsardine! Der Wagen für die Lösegeldübergabe! Das muss er sein. Da ist kein Zweifel möglich, blau ist schließlich eine der zwei Farben, die wir als Katzen richtig gut erkennen können. Es schaudert mich kurz.

»Was machen wir denn jetzt?«, will ich von der schlauen Odette wissen.

»Ähem«, mischt Karamell sich ein, »wieso überhaupt machen? Ich denke, wir wollten diesen Schmidt nur unauffällig beobachten.«

»Karamell«, schnaubt Odette, »nun mach dir nicht gleich in den Pelz! Herr Schmidt ist eben in den Schuppen gegangen. Selbiger wird von Spike bewacht – sobald Schmidt den Schuppen verlässt, wird uns Spike alarmieren. Abgesehen davon glaube ich tatsächlich nicht, dass wir hier noch irgendeinen Hinweis auf Emilia finden. Ich habe mich schon ziemlich gründlich umgesehen und nichts entdeckt.«

Dazu sagt Karamell nichts, ich glaube, er ist beleidigt. Aber soll er ruhig, schließlich hat Odette recht.

»Was haltet ihr davon, wenn wir uns das Auto mal genauer ansehen?«, schlage ich vor. »Immerhin ist es der einzige Ort, von dem wir sicher wissen, dass der Entführer dort auftauchen wird.«

»Gute Idee«, lobt mich Odette. Karamell guckt mich im Gegenzug böse an, aber das ist mir egal. Zu dritt traben wir Richtung Kran.

Tatsächlich. Da steht es, das blaue Auto. Das war gestern definitiv noch nicht da.

»Hast du gesehen, wie es dorthingekommen ist?«, will ich von Odette wissen. Die schüttelt verneinend den Kopf.

»Nee, leider nicht. Als ich kam, stand es schon dort. Herr Schmidt muss es ziemlich früh heute Morgen geparkt haben – noch bevor er zur Schule gegangen ist.«

Ich schleiche um das Auto herum. Sieht ganz normal aus. Nichts Auffälliges. Ein Satz, und ich lande auf der Motorhaube. Neugierig linse ich durch die Frontscheibe. Was mir sofort ins Auge fällt, ist der kleine Papierbaum, der hinter der Scheibe baumelt. Das muss einer von denen sein, die so nach Tannengrün riechen! Mysteriös! Ob das irgendein Zauber ist? Vielleicht, um die Polizei fernzuhalten? Falls ja, funktioniert er Katzen gegenüber schon mal nicht.

»Hey, kommt mal hoch! Hier hängt auch so ein Bäumchen!«, rufe ich Odette und Karamell zu. Aber noch bevor die beiden zu mir hochspringen können, kommt Spike angerannt. Und zwar mit einer Geschwindigkeit, die ich dem fetten Kater gar nicht zugetraut hätte! Schwer atmend und schnaufend kommt er vor Odette und Karamell zum Stehen.

»Schnell! Schmidt ist auf dem Weg zu euch – versteckt euch!«

Heilige Ölsardine! Das muss man mir nicht zweimal sagen. Sofort springe ich von der Motorhaube und sause zusammen mit den anderen hinter einen Haufen alter Autoreifen, die zwischen Kran und Auto lagern. Und tatsächlich: Da biegt Schmidt auch schon um die Ecke. Pfeifend kommt er zum Auto und schließt es auf. Dann geht er zu dem Häuschen neben dem Kran, öffnet die Tür und holt etwas heraus, was entfernt an eine ziemlich große Trommel mit Schlauch erinnert. Was mag das sein? Ob Emilia da drin versteckt ist?

Pfeifend schleppt Schmidt das Trommeldings, das offenbar mit einem Kabel ans Kranhäuschen gebunden ist, zum Auto und öffnet die Fahrertür. Er hält den Schlauch hinein – kurz darauf ertönt ein ohrenbetäubender Krach, der mir ziemlich bekannt vorkommt: Das Trommeldings ist ein Staubsauger! Herr Schmidt saugt das Auto.

Odette schaut mich fragend an. »Was macht der da?«

»Siehst du doch! Der saugt das Auto.«

»Aber warum macht er das?«

»Keine Ahnung. Vielleicht bekommt er Besuch von seiner Mutter? Anna hat auch den Putzfimmel bekommen, als sich Babuschka angekündigt hat.«

Mittlerweile hat Schmidt alle Autotüren geöffnet und saugt sich fröhlich von den Vordersitzen zu den Hintersitzen. Dort nimmt er eine karierte Decke von der Rückbank, faltet sie ordentlich und legt sie wieder hin.

»Oder«, mutmaßt Karamell, »er will Spuren verwischen. Falls er Emilia in dem Auto transportiert hat, dann könnte die Polizei möglicherweise noch etwas von ihr im Wagen finden.«

Auch eine gute Theorie. Karamell ist zwar ein Angsthase, aber dumm ist er nicht.