Jetzt stellt Schmidt den Staubsauger aus, greift in seine Hosentasche und zieht ein Handy heraus, das offensichtlich angefangen hat zu klingeln. »Schmidt! Ach, ja, hallo. Bin gerade dabei.« Er lauscht angestrengt. »Ja, muss ich kurz holen. Im Büro, sagen Sie? Moment, ich gehe hin. Ja, ich rufe zurück, wenn ich da bin.« Er steckt das Handy wieder ein und läuft zum Schuppen.
»Na, der hat ja die Ruhe weg«, stellt Spike trocken fest. »Aufgeregt wirkt er jedenfalls nicht. Wenn ich so kurz vor einer Lösegeldübergabe wäre, würde ich nicht mehr in aller Seelenruhe telefonieren.«
»Ein bisschen dauert es doch noch – die Übergabe findet doch erst heute Nachmittag statt«, wirft Odette ein. »Und vielleicht ist Schmidt auch ein Berufsverbrecher mit entsprechender Erfahrung. Da wird man vermutlich mit der Zeit cooler.«
»Stimmt, so wird es sein«, gebe ich Odette recht, »und wenn er erst mal …« Bevor ich noch weiter ausführen kann, was Herr Schmidt machen wird, wenn er erst mal das Geld hat, bleibt mir die Spucke weg. Denn direkt vor uns taucht auf einmal Emilias Mutter auf. Mit einer großen Plastiktüte!
»Das gibt’s doch nicht!«, faucht Odette. »Was will die denn schon hier?«
Frau Stetten läuft zum Auto und beugt sich auf der Beifahrerseite ins Wageninnere. Sie schiebt die Tüte unter den Sitz und zieht ihn anschließend nach vorne, sodass die Tüte nicht mehr zu sehen ist. Dann guckt sie sich kurz um und verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist. Ein gespenstischer Auftritt!
Odette knufft mich in die Seite. »Winston, ich verwette meine Schnurrhaare darauf, dass hier gerade etwas ganz gewaltig an uns allen vorbeiläuft! Und es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.«
Ich starre sie an. »Äh, ja? Welchen denn?«
»Ist doch wohl klar: Ab in den Wagen. Bevor Schmidt zurückkommt.«
»WAS?«, ruft Karamell. »Bist du jetzt völlig verrückt geworden? Du willst doch wohl nicht in dieses Auto einsteigen!«
Ich gebe es nur ungern zu: Aber in diesem Fall bin ich genau der gleichen Meinung wie Karamell. Dieser Vorschlag ist völlig verrückt.
Odette schnaubt. »Doch. Das ist der beste Weg herauszufinden, wo Emilia steckt. Denn Schmidt wird mit dem Lösegeld hier garantiert gleich die Biege machen. Los, Winston – bist du dabei?«
»Ähem«, räuspere ich mich, »also, bist du sicher, dass …«
»Achtung! Er kommt zurück!« Spike macht seinem Amt als Späher alle Ehre.
»Also, was ist jetzt? Kommst du?« Odette schaut mich durchdringend an.
Ich kann es selbst nicht glauben – aber zwei Sekunden später hocke ich zusammengekauert unter der karierten Decke auf der Rückbank des blauen Autos. Grundgütiges Katzenklo, wo bin ich da bloß reingeraten? Und viel wichtiger: Wie komme ich da wieder raus?
Ich weiß nicht, warum ich immer dachte, Verbrecher seien dumm.
Es stimmt nämlich leider nicht.
Die ganze Fahrt über mache ich mir Gedanken, was Entführer wohl mit Katzen anstellen, die sie auf dem Rücksitz ihres Autos unter einer karierten Wolldecke finden. Da die Fahrt aber erstaunlich kurz ist, komme ich diesbezüglich zu keinem eindeutigen Ergebnis. Auf alle Fälle aber wird es böse enden – da bin ich mir sehr sicher!
Das Auto ruckelt etwas und scheint einen Hügel hinunterzufahren, dann hält es an. Um uns herum ist es stockfinster. Und das liegt nicht nur an der Decke.
»Meinst du, wir sind schon da?«, flüstert Odette, die neben mir hockt. »Wir sind doch gerade erst losgefahren.«
»Keine Ahnung! Wie du weißt, sitze ich zum ersten Mal in diesem Auto.« Maunz! Ich glaube, das klang ziemlich unfreundlich.
»Hey, bist du sauer auf mich?«, kommt es prompt zurück.
Ich überlege kurz. Bin ich sauer? »Nein, sauer bin ich nicht. Ich habe nur richtiges Muffensausen und wundere mich, dass du so wahnsinnig gelassen bleibst.«
Odette kichert. »Das ist jetzt wirklich lustig! Und weißt du auch, warum?«
»Überhaupt nicht. Ich kann hier gar nichts Lustiges erkennen.«
»Na – ich bin so ruhig, weil du bei mir bist. In deiner Gegenwart habe ich das Gefühl, dass mir nichts passieren kann. Du bist mein Held, weil du so entschlossen nach Emilia suchst. Und wie du mir gestern geholfen hast – total mutig. Ob du es glaubst oder nicht: Ich habe sogar vorher schon einmal davon geträumt, wie du mich rettest. Ich wusste also einfach, dass ich mich an deiner Seite sicher fühlen kann. Und jetzt sagst ausgerechnet du, dass du Angst hast. Das ist komisch, oder?«
Unter normalen Umständen würde ich jetzt laut jubeln – schließlich hat Odette gerade gesagt, dass ich ihr Held bin. Und dass sie tatsächlich den gleichen Traum hatte wie ich. Zwischen uns muss es also ein ganz besonderes Band geben. Aber die Umstände sind leider nicht normal, und bevor ich noch erwidern kann, dass ich von außen deutlich mutiger aussehe, als ich von innen bin, fängt Schmidt an zu telefonieren.
»Hallo, hören Sie mich?«, sagt er. »Ja, ich stehe jetzt in der Tiefgarage. Sie können runterkommen.«
Ach, deswegen ist es mit einem Mal so dunkel geworden: Das Auto steht in einer Garage. Ich kenne mich damit zwar nicht wahnsinnig gut aus, aber in den Krimis, die Werner und ich so gern im Fernsehen angucken, kommen häufiger mal Garagen vor. In denen ist es meist auch sehr dunkel UND es finden dort sehr häufig Verbrechen statt, schluck! Unwillkürlich rutsche ich ein Stück näher an Odette heran, sie kuschelt sich daraufhin ganz eng an meine Flanke. Schnurrrrr, das fühlt sich nicht schlecht an. Vielleicht kann ich mich mit dem »Held sein« doch anfreunden. Mutiger als Karamell bin ich allemal. Was natürlich kein Kunststück ist.
Das Licht in der Garage scheint anzugehen, jedenfalls wird es unter der Wolldecke heller. Mit einem Klack öffnet Schmidt die Wagentür, es rumpelt kurz, er ist wohl ausgestiegen. Vorsichtig luge ich unter der Decke hervor – was in aller Welt macht Schmidt hier? Und mit wem hat er telefoniert? Vielleicht mit einem Komplizen, der ihm nun Emilia bringt? Schritte nähern sich, aber noch kann ich niemanden erkennen.
»Hallo, Herr Schmidt!« Ein anderer Mann bleibt neben dem Auto stehen. »Danke, dass Sie den Wagen extra vorbeibringen. Ich wäre ja die paar Meter normalerweise einfach zu Fuß gegangen und hätte ihn abgeholt, aber mit dieser blöden Fußverletzung … jeder Schritt tut mir momentan weh!«
»Keine Ursache. Hab ich doch gern gemacht. Er war allerdings überhaupt nicht besonders dreckig, ich habe mich ein bisschen gewundert.«
»Ja, Sie haben recht – aber wissen Sie, meine Mutter reagiert sehr empfindlich auf Tierhaare und ich habe vor Kurzem einen Hund mitgenommen. Ich will doch nicht, dass sie auf der nächsten Fahrt in Atemnot gerät.«
»Keine Sorge. Ich habe ihn ganz gründlich ausgesaugt.«
Hä? Hundehaare? Mutter? Atemnot? Wovon reden die? Und apropos reden: Irgendwie kommt mir die Stimme des anderen Mannes bekannt vor. Die habe ich schon einmal gehört. Bloß: Wo?
»Odette«, flüstere ich, »kennst du die Stimme?«
»Nein, warum?«
»Sie kommt mir so bekannt vor.«
»Mir nicht. Ich wundere mich nur, dass der Typ etwas von einem Hund erzählt. Es riecht nämlich überhaupt nicht nach Hund. Und glaube mir – so gut kann man ein Auto gar nicht saugen, dass ich das nicht riechen würde! Vor Hunden habe ich richtig Angst – ich erkenne sofort, wenn einer in der Nähe war. Und ich sage dir eins: Hier war keiner.«
Hm. Odette hat recht. Normalerweise stinken Hunde ziemlich penetrant und man riecht sie auch noch, wenn sie längst das Weite gesucht haben. Ob ein Staubsauger das so einfach ändern kann, wage ich auch zu bezweifeln. Eins ist klar: Der Mann lügt Schmidt an. Aber warum nur?
»Und wo Sie gerade da sind, Herr Schmidt, habe ich noch eine Bitte«, fährt der Mann fort, »eine Freundin von mir möchte ihr Auto verkaufen. Ich habe Sie als den richtigen Mann empfohlen, um die Karre ordentlich aufzumöbeln. Sie wissen ja – ein gepflegter Gesamteindruck macht bestimmt ein paar Hundert Euro plus beim Preis aus. Noch dazu Ihr Neuwagenduft im Auto – und fertig ist der Käufertraum!«