Выбрать главу

»Na ja, ich hab schon irgendwie ein schlechtes Gewissen«, räumt Kira ein. »So richtig korrekt ist die Verlosung ja nicht abgelaufen. Ich hoffe, Tom ist nicht allzu sauer auf uns.«

Pauli zuckt mit den Schultern. »Er wird’s überleben.«

»Trotzdem – ich habe mich heute schon ein bisschen schlecht gefühlt, als wir es ihm gebeichtet haben.«

»Na gut, als Buße können wir ihn begleiten, wenn er seinen ersten Einsatz hat. Ich hoffe, es wird nicht so bald sein.«

Kira lacht. »Nee, bestimmt nicht. Emilia ist doch eigentlich nie krank – du weißt schon: Unkraut vergeht nicht.«

Die nächste Stunde verbringen die Mädchen damit, sich gegenseitig Englischvokabeln abzufragen. Laaaangweilig! Das einzig Spannende daran ist, dass ich einen Teil der Vokabeln kenne, weil ich seit meiner Zeit in Kiras Körper auch ein bisschen Englisch kann. Als Mensch konnte ich nämlich auf einmal solchen Schulkram wie Lesen, Schreiben und Rechnen und – jetzt kommt’s: Diese Fähigkeiten habe ich auch nach dem Rücktausch nicht verloren. Somit dürfte ich die einzige Katze auf der Welt sein, die lesen kann. Leider weiß keiner diese Sensation zu würdigen, denn meine Mitkatzen interessieren sich nicht dafür und den Menschen kann ich es schließlich nicht erzählen. Nicht einmal Kira, denn mit dem Gedankenlesen ist es ja vorbei. Maunz! Es ist grausam, ein verkanntes Genie zu sein!

Ich schleiche mich davon und lege mich auf die Fensterbank. Hier kann ich die letzten Sonnenstrahlen des warmen Sommernachmittags genießen. Das Fenster ist gekippt, von draußen strömt warme Luft herein. Herrlich! Wer will schon ein Mensch sein, wenn er ein Kater sein kann?

Kurz bevor mir endgültig die Augen zufallen, holt mich ein lautes Scheppern wieder in die raue Wirklichkeit zurück. Nanu? Was ist denn da los? Kaum hat das Scheppern aufgehört, beginnt ein unglaublich wehleidiges Maunzen und Fauchen. Das klingt ja grauenhaft! Ängstlich werfe ich einen Blick durch das Fenster in den Hof. Ich kann nichts erkennen, aber das jämmerliche Fauchen und Miauen wird immer lauter. Grundgütiges Katzenklo! Da muss etwas Furchtbares passiert sein! Hoffentlich ist Odette nicht in Schwierigkeiten!

Ich presse mein Ohr an den unteren Fensterspalt, um noch besser hören zu können, und tatsächlich: Das ist Odettes Stimme. Sofort stehen meine Nackenhaare senkrecht und mir läuft ein kalter Schauer den Rücken bis zur Schwanzspitze hinunter. Zwar kann ich nicht verstehen, was sie sagt, aber der Klang ihrer Stimme verrät, dass sie große Angst hat. Der Fall ist klar: Ich muss ihr helfen! Und dafür muss ich runter in den Hof – und zwar SOFORT!

Wie ich das Richtige tue und trotzdem in einer Mülltonne lande.

Mit einem Satz hechte ich von der Fensterbank in Richtung Wohnzimmertür. Dann schnell auf den Flur und wieder zu Kira und Pauli ins Zimmer. Laut fauchend werfe ich mich an Kiras Beine: Mädels, macht mir die Tür auf! Und zwar flott!

Aber nicht nur, dass Kira meine Gedanken nicht mehr lesen kann, sie ist offenbar gerade auch völlig unempfänglich für meine hochintelligente Zeichensprache. Anstatt nämlich mit mir zur Wohnungstür zu laufen und diese für mich zu öffnen, bückt sie sich und nimmt mich auf den Arm. »Winston, wie kann es denn sein, dass du schon wieder Hunger hast? Außerdem sollst du nicht betteln.«

Maunzmiaumiaumioooo! Ich habe keinen Hunger! Und ich bettle NICHT! Das musst du doch wissen, Kira! Ich brauche Hilfe, und zwar SOFORT! Ein neuer Anlauf meinerseits – diesmal versuche ich, mich zappelnd aus Kiras Umarmung zu winden, um sie dann aus ihrem Zimmer zu schieben. Was natürlich eigentlich aussichtslos ist, aber irgendwie muss ich ihr begreiflich machen, was ich von ihr erwarte.

Es ist vergeblich: Kira kichert und hält mich noch ein bisschen fester.

Pauli betrachtet mich neugierig. »Also, wenn er ein Hund wäre, würde ich denken, er will mal raus.«

Erstens: Was für eine Mega-Unverschämtheit. Ich bin doch kein Hund! Zweitens: Völlig richtig! Los, Kira, hör auf deine Freundin und lass mich raus!

Kira zuckt mit den Schultern und macht Anstalten, mich wieder runterzulassen. »Wenn du meinst …«

Meine Pfoten haben noch nicht ganz den Boden berührt, da sause ich schon los und bleibe erst wieder stehen, als ich die Wohnungstür erreicht habe. Kira und Pauli kommen hinter mir hergelaufen, diesmal scheinen sie meinen Wink tatsächlich verstanden zu haben. Endlich! Kaum hat Kira die Tür geöffnet, bin ich im Hausflur und renne die Treppe hinunter. Im Erdgeschoss habe ich Glück: Die Haustür steht sperrangelweit auf, weil Klaus-Dieter, der bärtige Zahnarzt aus dem dritten Stock, gerade sehr umständlich seine Wocheneinkäufe vor der Tür abstellt und dann sein Fahrrad in den Flur hievt. Schwupps! bin ich draußen und biege sofort Richtung Innenhof ab.

Dort angekommen, suche ich gleich nach Odette. Aber ich sehe sie nicht und hören kann ich sie auch nicht mehr. Ratlos setze ich mich in die Hofmitte und schaue mich noch einmal um. Nichts.

Oder etwa doch? Kommt da nicht ein leises Wimmern aus dem Unterstand für die Mülltonnen? Ich laufe hinüber und horche noch einmal genau hin. Tatsächlich!

»Odette!«, rufe ich. »Bist du das?«

Aus dem Unterstand dringt ein Rumpeln, dann kriecht Odette zwischen zwei Mülltonnen hervor. Sie sieht furchtbar aus: Ihr weißes Fell ist verklebt und dreckig, außerdem riecht sie so streng, dass es mir fast den Atem verschlägt. »Odette! Heilige Ölsardine! Was ist passiert?«

Odette setzt sich neben mich, sie ist offenbar völlig erschöpft. »Winston – dich schickt der Himmel!«

Na, das ist ja mal eine Begrüßung nach meinem Geschmack. Ich werfe mich in Positur. Wennschon Held, dann richtig!

»Wie kann ich dir helfen?«, erkundige ich mich mit möglichst markiger Stimme.

»Karamell ist in einen der Container gefallen und hat sich eingeklemmt. Ich habe schon versucht, ihn zu befreien, aber ich komme einfach nicht an ihn ran. Er steckt ganz fest zwischen der Containerwand und einer Obstkiste und bekommt kaum noch Luft. Es ist einfach schrecklich! Aber vielleicht schaffen wir es ja zu zweit!«

Ach so. Es geht um den doofen Karamell. Ich merke, wie mein Heldenmut schlagartig schwindet. Also, Odette würde ich natürlich überall und immerzu helfen, da würde mich nichts schrecken – aber Karamell? Für den soll ich in einen dunklen, stinkenden Müllcontainer klettern? Maunz, so hatte ich mir das nicht vorgestellt!

»Hm, wo steckt denn Spike?«, versuche ich, Odette auf das Naheliegende zu bringen. Soll der seinem Kumpel doch helfen!

»Keine Ahnung. Nicht da. Vielleicht mit seinem Frauchen beim Tierarzt.«

»Ach so. Na, der kommt bestimmt bald wieder. Also, ich … äh …« Ich zögere, weil ich überlege, wie ich Odette klarmachen kann, dass ich keine Lust habe, mich für Karamell in die Mülltonne zu stürzen.

»Sag mal, das heißt doch jetzt nicht etwa, dass ich auf Spike warten soll? Weil du uns nicht helfen willst?« Odette klingt unheimlich enttäuscht.

»Äh … nein … ich dachte nur … äh …«

»Winston, Karamell braucht JETZT Hilfe, nicht irgendwann. Und Spike wäre sowieso zu dick – der passt da gar nicht rein! Los, lass uns gemeinsam in den Container springen und versuchen, die Obstkiste irgendwie von Karamell wegzurücken.«

Ich gucke zwischen Odette und dem Container hin und her, immer noch unentschlossen.

»WINSTON!« Odette schnaubt empört. »Hier ist ein Kollege in Not! Hör doch mal hin – Karamell schnauft schon richtig jämmerlich! Ich weiß, ihr versteht euch nicht besonders. Aber wenn ein anderer in Schwierigkeiten steckt, muss man ihm helfen. Nicht, weil man ihn mag. Sondern, weil es einfach das Richtige ist! Verstanden?«

Ich seufze. Vorsichtshalber nur innerlich, denn ich will nicht noch mehr Ärger mit Odette. Okay, also ab in die Mülltonne! Ich habe den ersten Schritt Richtung Container gemacht, da kommt mir eine bessere Idee.