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«Ein Dollar fünfzig.«

«Ganz nett für 'n solch jungen Burschen wie dich. Als ich so alt war wie du, habe ich in Kanada Pelztiere gejagt, mit 'ner alten Flinte, deren Lauf wackelte, bei jedem Schuß… Menschenskind, und doch habe ich was geschossen und habe immer meinen Whisky bezahlt, droben in Big River im Paradies von Saskatchewan. «Er schaute die glimmende Spitze seiner Zigarette an und schnippte die Asche auf den Boden.»Bis zum großen Bärensee, über den nördlichen Polarkreis hinaus bin ich gewandert und habe Bären, Füchse, Hermeline und Silberottern geschossen. Und habe doch nie die Stunde einen Dollar fünfzig verdient. Hm…«

Heinz Behrenz faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch zurück.»Mit Atomen kann man was verdienen«, meinte er vorsichtig.»So eine Bombe, die ganze Städte wegschmilzt, ist schon was wert!«

«Bombe!«Der Alte machte eine wegwerfende

Handbewegung.»Was redet ihr Jungen immer von

Bomben. Bei euch muß es immer krachen, sonst ist alles nichts wert. Ich habe mal gelesen, was der Chef, der Dr. Paerson, in einem Blatt geschrieben hat. Er will keine Bomben… er will mit der Atomforschung uns Menschen glücklich machen. Wie, das weiß ich auch nicht. «Er sah Heinz Behrenz an.»Kannst du glauben, daß man billiger leben wird, wenn man Mehl und Butter und Gemüse und Milch künstlich herstellen kann?«

«Ich weiß nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«

«Der Prof. Paerson schreibt es aber. Er will uns

Menschen von der Sonne unabhängig machen, indem er eine neue, viel stärkere Sonne schafft. Das hat noch kein Mensch gewagt, mein Junge.«

«Und wenn diese Sonne explodiert, gibt es keine Welt und keine Menschen mehr. «Heinz Behrenz stockte. Wie ein Strahl plötzlich aus unbekannter Ferne ein Feuer entfacht, so fiel in sein Herz der Gedanke des großen Untergangs.

Ich bin ja hier, durchzuckte es ihn plötzlich, diesen Untergang zu fördern. Ich soll ja spionieren, damit nicht Amerika, sondern Japan der Staat ist, der es in der Hand hat, die Menschheit wegzufegen. Ich selbst, ich, der kleine Mensch Heinz Behrenz, bin ja mitschuldig an der Katastrophe, vor der sie zittern… draußen, die Mütter und Frauen und Bräute, die Väter, Männer und Verliebten. Ich gehöre ja zu denen, die die Fackel des Entsetzens in den Händen tragen und sich nicht scheuen, durch Lüge und

Betrug, durch Kampf mit allen Mitteln sich dieses einen Wahns zu bemächtigen — Herr über diese Erde zu sein! Ich sitze ja hier in der Arbeitskleidung auf einem Feldbett in Los Alamos, weil Japan, weil die heimliche Atomstadt Nagoi Angst hat, daß einer weiter in der Vernichtung sein könnte als sie. Mein Gott, warum rede ich denn noch? Warum springe ich nicht auf und sage diesem alten Mann da:»Freund, nimm den ersten besten Gegenstand und schlage ihn mir über den Schädel. Ich bin ein Lump. Ein Verräter! Nicht ein Verräter an Amerika oder Japan, sondern ein Verräter der Menschheit und der Menschlichkeit! Mein Gott… o mein Gott… warum hast du mir das nicht früher gesagt…?«

Auf einmal kam ihm sein Hiersein sinnlos vor, verbrecherisch, mörderhaft. Er hatte aus Haß gehandelt, weil ihm ein amerikanischer Major in Okinawa drei Zähne ausschlug… er, der dicke Sieger dem armen, wehrlosen Gefangenen. Das war sein Haß gewesen gegen das Land Amerika, aus diesem Haß ging er nach Los Alamos, um es zu vernichten… wegen drei Vorderzähnen setzte er die Menschheit auf das Spiel.

Er tastete mit den Fingern unter die Lippen und fühlte die drei künstlichen Zähne, die durch eine schmale Goldbrücke mit den gesunden verbunden waren. Ein japanischer Zahnarzt hatte sie ihm eingesetzt, eine unbekannte Kasse hatte sie bezahlt… die Kasse, die nun einen einlösfälligen Wechsel präsentierte: Spionage für Japan. Spionage gegen den Menschen.

«Was würdest du tun, wenn man dir drei Zähne ausschlägt?«fragte er den Alten mit verhaltener Stimme.»Ich würde wiederschlagen.«

«Aber du kannst es nicht. Du bist gefesselt, wehrlos, rechtlos. Du mußt stillhalten, du mußt einfach. Und dann kommt so ein großer dicker Mann und schlägt dir drei

Zähne aus. Mit einem Schlag… und er lacht dabei, wie du Blut und Zähne auskotzt und freut sich, daß dir die Tränen der Wut und Scham über die Backen laufen. Was würdest du da tun?«

«Ich würde still sein und denken: Gebe Gott, daß du nicht einen Menschen findest, der dich einmal noch schlimmer behandelt wie du jetzt mich. Du würdest winseln… ich aber bleib stumm. Und dann würde ich die Augen schließen und nichts mehr sehen.«

«Und das nennt man richtig?!«

Der Alte wiegte den Kopf. Er nahm den Rest der Zigarette zwischen die Nägel und zog noch ein paarmal daran, bis er sie auf den Boden warf und austrat.

«Richtig. Was ist richtig auf der Welt, mein Junge? Der Mensch ist ein Tier, wenn er groß ist und Gewalt hat, und er ist ein Tier, wenn er klein ist und getreten wird. Was liegt dazwischen? Eigentlich nichts. Warum sich über ein Nichts Gedanken machen?«

Heinz Behrenz stützte den Kopf in beide Hände und starrte auf die Beine des Alten, die über der Asche der ausgetretenen Zigarette hin und her pendelten. Die Schuhe waren derb, aber sauber gewichst, die Hose alt, aber an manchen Stellen sorgsam geflickt. Und nun pendelten die Beine hin und her, und der Mund, der weiter oben in einem vergilbten Gesicht war, sagte: Es ist alles Nichts.

Der Alte stieß Behrenz an die Stirn.»Du, woran denkst du?«

«An das, was du gesagt hast. Es muß alles so sein, weil es nichts gibt, was richtig ist. Ich glaube, du, du hast wirklich recht.«

«Das meine ich auch. Ich habe immer so gedacht. Damals, als man mich in Kanada aus der Hütte jagte, weil ich die niedrigen Preise für die Felle nicht annehmen wollte, da habe ich mir die Nase erfroren. Siehst du sie — ganz rot ist sie geblieben. Damals, da habe ich geflucht, da wollte ich den fetten Kerl vom Fellsyndikat einfach in der Nacht umknallen, mit der alten Flinte, weißt du, an der immer der Lauf wackelte. Aber dann habe ich es doch nicht getan, trotzdem mir die Nase einfror, weil sie mir die Mütze vom Kopf gerissen hatten. Die Mütze, Junge, bei vierunddreißig Grad Kälte. Ich habe nicht geschossen, denn sie hätten mich gelyncht, die besten Kameraden, die, mit denen ich am Großen Bärensee im Schnee gelegen habe, um den Füchsen aufzulauern, die aus meiner Flasche den Brandy tranken, denen ich das Leben rettete. Sie hätten mich einfach an den nächsten Ast gehängt, obwohl ich im Recht war. Ich hatte ein moralisches Recht — so sagte man doch so schön. Moral. Guter Junge. Der Fellkerl war ihr Brotgeber, und wenn ich den umgelegt hätte, wären sie ohne Whisky gewesen und ohne Dollars für die Weiber in Winnipeg. Und das wäre schlimm gewesen, schlimm nach fünf Monaten Wildnis und Schnee, wo man höchstens ein Eskimomädchen traf, das widerlich nach Tran stank. Recht? Moral? Es sind schöne Sachen, mein Junge, wenn die anderen auch so denken würden. Aber dann stehst du immer allein, dann bist du immer das Gesicht, das geohrfeigt wird, dann bist du ein Blöder, der an den Weihnachtsmann glaubt. Also sage ich: Alles ist nichts! Und ich freue mich, wenn es dann doch etwas ist… eine Frau und die Kinder, das Häuschen draußen bei Bernalillo und der kleine Garten, in dem ich Tomaten ziehe und wunderschöne gelbe Äpfel, die schmecken wie Ananas. «Der Alte holte tief Atem. Die lange Rede machte ihn durstig. Er schielte nach dem Hintergrund des Schlafsaals, wo eine primitive Theke aufgebaut war.»Wenn du das alles einmal hast, mein Junge, dann machst du dir keine Gedanken mehr, außer einem… wie lebe ich weiter und wie behalte ich das, was ich habe…«Er erhob sich und nickte Behrenz zu.»Komm, ein Gin kann nicht schaden. Man schläft dann besser.«

Behrenz schüttelte den Kopf. Er blickte nicht auf, als der Alte fortstampfte. Wie lebe ich weiter… daran denken die Menschen. Und hier lebe ich und suche einen Weg, dieses Leben auf einen Sekundenblitz zu verkürzen.