«Wir bieten Ihnen 100.000 Dollar!«schrie Prof. Shuster plötzlich, der die Nerven verlor und dem Weinen nahe war. Er lehnte an dem Felsen und atmete keuchend.
Zanewskijs Schatten drehte sich halb herum.»Ich danke Ihnen, Herr Prof. Shuster. Wenn ich für meine eigene
Tasche arbeiten würde, schlüge ich jetzt zu. 100.000 Dollar sind ein sorgenfreies Leben. Aber«, er stockte.»Ich arbeite nicht für mich, ich stehe hier im Dienst einer fremden Macht. Ich muß die Pläne bringen. Verstehen sie? Ich muß Ich… ich…«, er senkte die Stimme. Man hörte, wie er mit den Worten rang…»ich habe zu Hause, in Rußland, auf der Krim, eine schöne, junge Frau und drei entzückende Kinder. Verstehen Sie, was es heißt, wenn ich die Pläne nicht bringe? Ich hätte 100.000 Dollar, aber Wanda Feodora und Gregor, Iwanow und Terufina, sie würden von Moskau aus…«Und plötzlich schrie er:»Es geht nicht… ich muß die Pläne haben…«
Prof. Shuster schwankte. Er hielt sich mühsam an den Steinen fest.
«Es gibt keinen Weg…«, murmelte er.»Es gibt keinen Weg. Der Weg des Atoms ist mit Blut gepflastert.«
Dr. Bouth trat einen Schritt vor. In diesem Augenblick wußte er, daß dieser Mann dort im Schatten, der Russe Piotre Zanewskij, kein Verbrecher war, kein Agent ohne Herz, sondern ein Gehetzter, der selbst zum Hetzhund wurde, um seinen Treibern zu entkommen. Er sah plötzlich tief in diesen Mann hinein, in die Angst, die Atompläne nicht zu bekommen, in das Grauen, seine Frau und die Kinder nicht wiederzusehen, wenn er erfolglos war, in die Not, irgendwo in einem sibirischen Lager zu verhungern und zu verfaulen mit der Gewißheit vor Augen, daß sein Versagen, seine menschliche Unzulänglichkeit genügte, ihn und seine Familie einfach auszulöschen wie einen Namen auf einer Tafel, über den ein nasser Schwamm gleitet.
«Ich will mit McKinney sprechen«, sagte er. In seiner Stimme war ein Klang, der Zanewskij herumriß.
«Sie verstehen mich, Dr. Bouth?«sagte er leise.
«Ja, Zanewskij. Es ist schwer, aber man muß auch Ihre Not erkennen lernen, um zu sehen, wie groß oder wie klein die eigene ist. Ihre Frau und Ihre Kinder sind Ihnen mehr wert als Mabel Paerson, und wenn Sie sie töten, meine Braut, dann sind Sie nur der Arm, der Mechanismus, der den Schuß zur Auslösung bringt. Ein Roboter, mehr nicht. Die wahren Mörder sitzen drüben, in Rußland.«
Zanewskij schwieg. Aber sein Schweigen war die deutlichste Antwort.
«Sie warten noch vier Tage?«fragte Prof. Shuster.
Der Schatten an den Büschen nickte.»Ja. Vier Tage. Wir treffen uns hier wieder. Ich — «, er stockte wieder,»- ich hoffe sehnsüchtig, daß das Leben meiner Familie und Ihrer Braut, Dr. Bouth, erhalten bleibt. Denken Sie nicht schlecht über mich und grüßen Sie Prof. Paerson von mir. Sagen Sie ihm bitte, Dr. Bouth, daß auch ich ein Vater bin und eine Tochter habe, eine kleine Tochter… schwarzlockig, mit weißer, zarter Haut… Terufina.«
Der Schatten bewegte sich. Die Zweige der Büsche knarrten und rauschten. Dann war die Nacht wieder still, nur das schwere Atmen Prof. Shusters durchschnitt die Stille.
Dr. Bouth ging zu der Stelle hin, wo Zanewskij gestanden hatte. Plötzlich bückte er sich und hob etwas auf. Es war ein Handschuh aus hellem Leder. Er war zerrissen, zerfetzt, als habe eine Hand die Erregung nicht anders zu dämmen gewußt als in der Zerstörung des Lederstücks.
Wortlos steckte Dr. Bouth den zerrissenen Handschuh ein.
«Kommen Sie«, sagte er zu Prof. Shuster und stützte den alten Mann, als er ihn aus dem Canon hinaus auf die
Straße führte, wo ihr Wagen mit abgeblendeten Lichtern stand. Er setzte sich hinter das Steuerrad und starrte hinaus auf die Straße, die im aufblitzenden Scheinwerfer wie ein riesiges, weißes, breites Leinenband aussah.
«Ich habe mir eins geschworen«, sagte er langsam,»und ich werde es wahr machen, Prof. Shuster: Wenn ich Mabel wiederhabe, werde ich Los Alamos nie mehr betreten.«
Kapitel 4
Das Gespräch, das Kezah ibn Menra mit Los Alamos führte, war kurz. Von einer Sekretärin erfuhr er, daß Prof. Dr. Paerson plötzlich erkrankt sei und der Arzt verboten habe, ihn zu stören. Dr. Bouth sei nicht in der Stadt, sondern befände sich mit Prof. Dr. Shuster außerhalb Los Alamos.
Ibn Menra nahm einen kleinen Schluck seines starken Kaffees und blickte wieder auf die Karte, die vor ihm lag. Es gibt gar keine andere Möglichkeit — sie müssen sich hier am Emmons Peak verborgen halten, dachte er. Und solange Mabel Paerson in der Hand der Russen ist, haben sie den größten Vorteil für sich und vielleicht die Möglichkeit, die Pläne in die Hand zu bekommen. Das würde Spanien zurückwerfen, das würde alle Forschungen und Erfolge Dr. Sebaios und Dr. Ebberlings umsonst machen; es wäre ein Unglück, über dessen Folgen sich niemand ein Bild machen kann.
«Sagen Sie bitte Herrn Dr. Bouth, daß ich ihn sprechen muß. So schnell als möglich. «Ibn Menra legte einen beschwörenden Ton in seine Stimme.»Ich bin in der Lage, Fräulein, Herrn Dr. Bouth genaue Angaben über Miß Paerson zu machen!«
«Was sagen Sie da?!«rief die Telefonistin.»Wer sind Sie denn?!«
«Was nützt Ihnen mein Name, Fräulein? Was kann er Dr. Bouth nützen? Ich weiß — das ist genug. Bitte, bestellen Sie: Ich erwarte Dr. Bouth morgen früh um acht Uhr allein — bitte, merken Sie sich — allein auf der Straße nach Chamita. Er wird dort einen hellblauen Nash finden. Das ist alles, Fräulein.«
Er legte den Hörer auf. Dann packte er seine Sachen, nicht in Eile, sondern gemächlich, zahlte seine Zeche und fuhr von der Herberge ab.
Gemütlich fuhr er durch Santa Fe, kaufte bei einem spanischen Obsthändler zwei gute, automatische Revolver und einen kleinen Koffer voll gefüllter Magazine, ließ sich in der Garage des Obsthändlers an dem breiten Rückfenster seines Wagens herunterklappbare Stahlplatten anbringen und fuhr dann in der Nacht über Santa Fe hinaus nach Chamita, wo er in einer Wirtschaft am Stadtrand den Morgen erwartete.
Um halb acht Uhr morgens rollte er die Straße nach Santa Fe wieder hinab und wartete an einer Kurve.
Kritisch beobachtete er die Wagen, die an ihm vorbeirollten. Aber sie nahmen keine Notiz von ihm. Die Fahrer und die Insassen fuhren vorbei. Ibn Menra war zufrieden. Er hat die Polizei nicht verständigt, dachte er erfreut. Er ist klug genug, um zu wissen, daß es sinnlos ist.
Er stieg aus dem Wagen und ging auf der Straße hin und her. Sein heller Anzug leuchtete in der Sonne. Die schwarzen, krausen Haare glänzten fettig.
Von Santa Fe her brummte ein schwerer Ford heran. Knirschend und kreischend hielt er mit einem Ruck vor dem Nash. Ein großer, schlanker Mann sprang heraus. Sein blasses Gesicht war übernächtigt und von Sorgen zerstört. Er stürzte auf Ibn Menra zu und blieb drei Schritte vor ihm stehen.
«Wollten Sie mich sprechen?«keuchte er. Sein Hemd war offen, über die dunkelhaarige Brust lief ein Schweißbach.
Kezah ibn Menra nickte grüßend.»Dr. Bouth?«fragte er.
«Ja!«»Mein Name ist unwichtig. «Ibn Menra ging zu seinem Wagen zurück, Dr. Bouth folgte ihm. An der Tür des Nash blieben sie stehen.»Ich habe Ihnen am Telefon sagen lassen, daß ich weiß, wo sich Mabel Paerson befindet.«