«Und wenn wir ihn durch ganz Amerika jagen sollten — Smith —, wir müssen ihn bekommen!«
In den Abendblättern erschien mit großen Schlagzeilen die neue Sensation. Auf den Boulevards in Paris, auf der Königsallee in Düsseldorf, im Bundeshaus in Bonn, auf den Grachten in Amsterdam, in den Streets von London und den Gassen von Harlem und Manhattan riß man sich die Zeitungen aus der Hand und las die kurze Meldung.
«Dr. Bouth entführt. Einer der maßgebenden Atomphysiker von Los Alamos.«
Die Rundfunkstationen funkten es hinaus.
In Santa Fe sammelten sich die Reporter der großen Blätter.
Ein hellblauer Nash jagt durch Amerika…
«An alle… rücksichtslos schießen…«
Dr. Hakanaki zuckte empor, als der Lautsprecher in seinem Zimmer in Nagoi die Meldung durchgab. Er rannte an das Telefon und rief General Simanuschi an.
«Ist das wahr?«schrie er außer sich.»Dr. Bouth ist entführt?!«
Der alte General schwieg. Dann sagte er leise:»Es stimmt, Doktor Hakanaki. Wir haben verloren.«
«Und der blaue Nash? Wem gehört der blaue Nash?«
Hakanaki klammerte sich an der feuchten Felswand an. Um seine Augen zuckte es.
«Wir wissen es nicht. Aber… aber… es ist nicht Rußland.«
«Nicht Rußland? Aber wer soll es denn sein? Wer hat noch ein Interesse an der neuen Bombe?«stammelte Hakanaki.
«Das wissen wir auch nicht. «Simanuschi schien keinen Ausweg zu kennen. Er hängte ein.
Dr. Hakanaki wandte sich ab. Sein Assistent Dr. Yamamaschi lehnte bleich an der Tür.
«Sofort anrufen«, schrie Hakanaki.»Den unbekannten Deutschen von den Blumenbooten. Sie haben die Nummer, Yamamaschi. Ich werde mit Agent B 12 sprechen.«
«Ein hellblauer Nash«, sagte Dr. Sebaio erfreut und klopfte Dr. Ebberling auf die Schulter.»Wir haben Glück, Kamerad. Es ist unser Wagen.«
Dr. Ebberling lächelte.»Kezah ibn Menra?«
«Ja. Wenn er klug ist, kann er Dr. Bouth nach Spanien bringen.«
«Eine gute Idee. «Dr. Ebberling ging an den Telefonapparat und drehte eine Nummer. Während er wartete, dachte er an die Folgen der plötzlichen Wendung. Doktor Bouth in unserer Hand. Das bedeutete — wenn er schon die amerikanischen Patente nicht verriet — doch eine Verzögerung der Produktion und einen Vorsprung für seine eigenen Forschungen.
«Ja?«sagte er laut.»Ja, hier Ebberling. Guten Tag, General Monzalez. Ich beglückwünsche Sie. Der blaue Nash ist unser Wagen, ibn Menra. Wir haben Doktor Bouth. Schicken Sie bitte sofort ein Flugzeug nach
Colorado. Wie, das ist Ihre Sache. Wir müssen versuchen, Doktor Bouth nach Spanien zu bekommen.«
Die Stimme des Generals sprudelte aufgeregt. Dr. Ebberling lachte. Er nickte Dr. Sebaio zu, der am Fenster stand und rauchte.
«Ja, Dr. Sebaio ist auch glücklich. Ich darf Ihnen in dieser Stunde sagen, daß Tanarenia in der Atomforschung jetzt an erster Stelle steht.«
Er legte den Hörer auf. Seine Augen lachten.
«Monzalez schickt einen Düsenbomber nach Amerika. Er will ihn über Kanada unter kanadischer Kokarde einfliegen lassen.«
Heinz Behrenz hatte Santa Fe passiert und jagte durch den beginnenden Abend den Colorado-Canons zu. Er fuhr nicht die Straße wie ibn Menra, sondern schlug einen Bogen und wandte sich dem Blanka Peak zu, um zu der hohen Gebirgskette Sawatsch Range zu kommen, an deren Fuß eine gute Autostraße einen Bogen schlägt und nach dreihundert Kilometer auf die Straße mündet, die der hellblaue Nash nehmen mußte.
Noch immer tickten die Kurzwellensender der Polizei. Ab und zu tönte die Stimme Major Mys' dazwischen. Er gab die Richtung an, die der blaue Nash genommen hatte.
In den Bergen war es bereits Nacht. Die notdürftigen Sperren, die die Colorado-Polizei errichtet hatte, wurden weggefegt. Auf dem Rücksitz des Wagens lag noch immer Dr. Bouth. Ibn Menra hatte ihn bei einer sekundenschnellen Rast gefesselt und ihm aus einer dünnen, kleinen Spritze ein Betäubungsmittel in die Vene gespritzt. Dann war er weitergerast, mit vollen Scheinwerfern, die er ausdrehte, wenn er an eine Kreuzung kam. Ohne Licht heulte er durch die Nacht, aus dem Dunkel stieß er hervor auf die Polizei, die machtlos dem Untier aus dem Schwarzen gegenüb erstand. Ehe sie ihre Scheinwerfer eingerichtet hatte, war der heulende Pfeil in der Dunkelheit entkommen, Angst und Schmerzgeschrei hinter sich lassend.
In ihrer Höhle am Fuße des Emmons Peak saßen Gregoronow und Zanewskij bleich und verstört am Kurzwellensender. Gregoronow nahm die Flüche und Beschimpfungen Professor Kyrills auf und gab sie an Zanewskij weiter.
«Er will uns liquidieren«, sagte er ängstlich. Seine von Natur aus grausame Seele pendelte zur winselnden Angst.»Wir sollen Mabel Paerson töten, sie sei jetzt wertlos für uns.«
Zanewskij saß, in sich gekauert, auf seinem Klappstuhl und las die Blätter durch, die ihm Gregoronow reichte. Er gab keine Antwort. Sein Blick war weit… über die Papiere hinweg, obwohl sein Auge auf den Blättern ruhte. Zwischen den Zeilen, aus dem Weiß des Papiers, schälte sich die grüne Küste der Krim.
Das blaue Meer. Die weißen Häuser. Die breite Uferstraße mit den Palmen.
Wie herrlich die Sonne scheint.
Ein Boot plätschert durch das Wasser. Ein weißes, schnittiges Boot mit einem Außenbordmotor. Ein Mann steht am Ruder, in einer weißen Hose, einem blauen Jackett, er lacht eine Frau an, die hübsch und zart vor ihm sitzt. Hinter ihr drängen sich drei Kinder und jauchzen.
«Väterchen, fahr doch schneller«, schreit der eine Junge.
«Nein… nein!«Der zaghafte Iwanow schaut in das Meer.
Und ganz hinten, da hockt Terufina und läßt das Händchen durch die Wellen ziehen.
Und der Mann am Ruder ist glücklich und lacht der jungen Frau in die blauen Augen.
«Ich liebe dich«, sagt er leise, so, daß es die Kinder nicht hören.»Wanda Feodora, du bist so schön…«
Piotre Zanewskij schrak empor. Gregoronow hatte ihn angestoßen und ihm ein neues Blatt gereicht.
«Kyrill will wissen, wem der blaue Nash gehört«, sagte er zitternd.»Wenn du es nicht herausbekommst, wird übermorgen ein Kommissar in die Krim fahren.«
Zanewskij schnellte empor. Starr stand er in der Höhle, ein Baum, der noch einmal den Himmel sehen will, noch einmal die Sonne trinken, ehe er fällt.
Wortlos drehte er sich um und ging in die hintere Höhle. Mit kräftigem Ruck zog er die Bohlentür hinter sich zu.
«Jetzt wird er sie erschießen«, flüsterte Gregoronow. Er starrte auf die dunkle Tür. Da erfaßte ihn ein plötzliches, unwiderstehliches Grauen vor sich und der Umwelt. Er warf den Sender auf die Erde, hörte, wie die Birnen dumpf zersprangen und rannte hinaus in die Schlucht. Keuchend rannte er eine Strecke und warf sich in einem Seitental auf einen Grasfleck.
«Maria hilf«, stammelte er und schlug das russische Kreuz.»Ich habe das nicht gewollt, ich habe… ich habe…«Er warf sich mit dem Gesicht nach unten und heulte wie ein Hund.
Er hatte Angst um sein Leben.
Zanewskij stand vor Mabel Paerson. Sie saß auf dem Klappstuhl und las ein Buch im Schein einer Öllampe. Als sie Zanewskij eintreten sah, legte sie es zur Seite.
Stumm sah sie der Russe an. In seinem Blick lag Verzweiflung. Mabel erkannte sie, und grenzenlose Angst schnürte ihr plötzlich die Kehle zusammen.
«Wie alt sind Sie?«fragte Zanewskij leise.
«Einundzwanzig. «Sie würgte das Wort hervor.
«Einundzwanzig Jahre. Meine Frau ist neunundzwanzig und hat schon drei Kinder. Der Älteste ist zehn Jahre, Terufina, das Kleinste, ist erst drei. «Er sah an die feuchte, Moder ausströmende Decke.»Können Sie sich denken, daß es einen Mann gibt, der ein dreijähriges Kind durch den Hinterkopf schießt?«
Mabel Paerson schauderte zusammen.»Er kann kein Gefühl mehr haben.«
«Gefühl!«Zanewskij s Mund wurde breit. Man wußte nicht, ob er lachte oder weinte.»In einer Pistole war noch nie Gefühl. Und ich liebe meine Frau und die Kinder.«